Deutschland bei der Frauen-WM:Zur Sicherheit eine Polizistin dabei

Lesezeit: 3 min

"Das sind Erfahrungen, die ich für die Zukunft mitnehmen kann": Janina Minge (links neben Chantal Hagel) ist als Back-Up bei der WM dabei. (Foto: Sebastian Widmann/Getty Images)

Janina Minge ist mit dem deutschen Nationalteam nach Australien gereist, für den Fall, dass nachnominiert werden muss. Die Konstellation birgt eine Herausforderung für Körper und Geist - zumal zwei wichtige Spielerinnen noch nicht fit sind.

Von Anna Dreher, Wyong

Bevor sich das deutsche Nationalteam vergangene Woche auf den Weg zur Weltmeisterschaft machte, hatte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg Gespräche geführt. Mit wenigen Spielerinnen, die nicht dabei sein würden. Mit vielen Spielerinnen, die sicher dabei sein würden. Und mit Janina Minge.

Auch sie durfte mit nach Australien. Aber vielleicht ist dieses Turnier für die 24-Jährige vom SC Freiburg wieder vorbei, bevor es überhaupt richtig angefangen hat. Minge ist in einer Sonderrolle hier, die es nur wegen besonderer Umstände gibt: Sie ist ein Back-up, um bei Ausfällen nachnominiert werden zu können. Bis 24 Stunden vor dem ersten Gruppenspiel kann bei einem entsprechenden Nachweis eine verletzte oder kranke Spielerin ersetzt werden. Noch ist unklar, ob das nötig sein wird.

Fußball-WM
:DFB-Frauen wählen Kapitäninnenbinde aus

Das deutsche Nationalteam entscheidet sich bei der WM für die Kapitänsbinde mit der Botschaft "Vereint gegen Gewalt gegen Frauen". Der Weltfußballverband Fifa hatte acht Varianten zur Auswahl gestellt.

Von Anna Dreher

Die Stimmung nach dem ernüchternden 2:3 gegen Sambia wenige Tage vor der WM-Abreise war nicht nur wegen der Leistung gedrückt im deutschen Team. Sondern vor allem, weil sich Linksverteidigerin Carolin Simon das Kreuzband gerissen, Abwehrchefin Marina Hegering die Ferse geprellt und Mittelfeldspielerin Lena Oberdorf am Oberschenkel verletzt hatte. Alles wichtige Spielerinnen. Das warf die Planung durcheinander und brachte Chantal Hagel als Simon-Ersatz sowie Janina Minge noch Tickets für die große Reise.

Wie die Deutschen in die WM starten, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob Hegering und Oberdorf fit sind

Minge hat seit der U15 alle Nachwuchsteams des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) durchlaufen, sie war schon bei Europa- und Weltmeisterschaften. Aber eben noch nie bei den Großen. "Das ist natürlich noch ein Stück weit professioneller und aufregender", sagte sie in dieser Woche vor dem Teamhotel in Wyong. Das gehört hier jetzt für sie auch dazu: Interviews vor großen Kameras und vielen Mikrofonen, Training mit den besten Spielerinnen, umfassende Betreuung. "Ich freue mich genauso, als 24. Spielerin dabei zu sein, weil ich einfach alles voll miterleben und mit dem Team zusammen sein darf. Das sind Erfahrungen, die ich für die Zukunft mitnehmen kann", sagte Minge.

Wie sich ihre nächsten Wochen gestalten, hängt mehr von anderen ab als von ihr. Bis zur Eröffnung der WM am Donnerstag hatte etwa Hegering nicht mit der Mannschaft gearbeitet, sondern war auf einem Ergometer Fahrrad gefahren. Bei ihr werde von Tag zu Tag geschaut, hieß es. Oberdorf hat seit Sonntag wieder auf dem Rasen trainiert, erstmal zwar nur individuell, aber offensichtlich wieder belastbar. Beide wären ohne Blessuren gesetzt, vor allem Oberdorf auf der Sechs ist kaum zu ersetzen.

In einem Interview mit der Sportschau dämpfte Voss-Tecklenburg die Erwartungen einer rechtzeitigen Rückkehr jedoch: Hegering und Oberdorf fallen beim Auftakt am Montag gegen Marokko (10.30 Uhr, ZDF) wahrscheinlich aus. "Es sieht so aus, als ob wir im ersten Spiel auf beide nicht zurückgreifen können", sagte die 55-Jährige am Donnerstag und ergänzte: "Uns wird nicht alles gelingen. Aber wir versprechen: Wir werden Leidenschaft und Intensität sehen. Wir werden an und über unsere Grenzen gehen."

Sind sie rechtzeitig für den Auftakt gegen Marokko fit? Hinter den Einsätzen von Lena Oberdorf und Marina Hegering (rechts) stehen noch Fragezeichen. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Was das für Minge heißt? Schwierig. Die Konstellation birgt für sie in jedem Fall eine gewisse Herausforderung. Sie muss Körper und Kopf so gut einstellen, dass sie bereit ist, auf der größten Bühne ihres Sports einspringen zu können. Und sich gleichzeitig darauf vorbereiten, im nächsten Gespräch mit der Bundestrainerin zu hören, dass sie doch nicht gebraucht wird. Wie geht sie damit um? "Ich versuche einfach, soweit es geht, alles mitzuerleben und fühle mich voll ins Team integriert." Für sie ist allein das Dabeisein schon eine Auszeichnung, mit der sie "auf gar keinen Fall gerechnet" hatte - und eine Bestätigung, "dass ich jetzt nicht so viel so schlecht mache".

Die Saison beendete die Mittelfeldspielerin mit neun Treffern als viertbeste Bundesliga-Torschützin aller Nationalspielerinnen. Mit dem SC Freiburg stand sie zudem im Pokalfinale. Als dann zum ersten Lehrgang fünf Spielerinnen des FC Bayern verspätet anreisten und sich das Trainerteam daraufhin zu einer Nachnominierung entschied, war Minge eine von Dreien. Im vorletzten WM-Test gegen Vietnam (2:1) schoss sie ihr erstes Tor bei ihrem zweiten Einsatz für die DFB-Frauen - und überzeugte insgesamt derart, dass sie beim zweiten Lehrgang wieder dabei sein durfte.

Die Schnelligkeit, die Präzision, die Intensität der Trainings von Australien versucht die am Bodensee aufgewachsene Minge so gut es geht aufzusaugen. Jede Einheit, so sieht sie das, hilft ihrer Entwicklung. Vergangenen Sommer, als die DFB-Auswahl knapp den EM-Titel verpasste, wurde Minge mit dem deutschen Nationalteam der Polizistinnen Europameisterin. Dafür dürfte die Streifenpolizistin in Zukunft eher keine Zeit mehr haben.

© SZ/pps/lib - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusStart der Fußball-WM
:Darf's ein bisschen mehr sein?

Über Generationen haben Fußballerinnen kämpfen müssen für ihren Sport. Nun soll er endgültig dieselbe Richtung einschlagen wie bei den Männern: hin zum Geld. Die Frage ist nur, was dann verloren geht.

Essay von Anna Dreher

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: