Deutsches Nationalteam startet in die WM:Das Rätselraten um die Verteidigung setzt sich fort

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Die Ferse der Nation: Die Verletzung von Abwehrchefin Marina Hegering lässt eine Entscheidung über ihre Einsatzfähigkeit nur von Tag zu Tag zu. (Foto: Jones/Beautiful Sports/Imago)

Die Abwehrchefin verletzt, ihre Vertreterin auch: Vor dem ersten WM-Spiel des deutschen Teams bereitet ihre Hintermannschaft der Bundestrainerin Kopfzerbrechen. Ein Systemwechsel zu diesem Zeitpunkt wäre gewagt.

Von Anna Dreher, Melbourne

Melbourne empfing die deutschen Nationalspielerinnen höchst unfreundlich, mit grauem Himmel, Nieselregen und Wind. Dichte Wolken hingen in der Skyline, der Yarra River wirkte noch ein bisschen trüber als sonst. Als die Deutschen am Sonntag für ihre Abschlusseinheit den Trainingsplatz des im Albert Park gelegenen Lakeside Stadiums betraten, regnete es zwar nicht mehr. An der Temperatur von elf Grad hatte sich jedoch nichts geändert. Was die Generalprobe für die kommenden Spiele nur authentischer machte: In Australien ist während dieser Weltmeisterschaft schließlich Winter, die Fußball-Abende sind kalt.

Wenn dieses Turnier am Montag gegen Marokko im Rectangular Stadium von Melbourne für das Team von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg startet, endet eine vierwöchige, zwischendurch nur kurz unterbrochene Vorbereitung. Und die große Frage ist, ob die Weichen in dieser Zeit so gestellt wurden, dass ein Lauf bis ins Finale wie bei der EM 2022 wiederholt werden kann.

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Dass es schwieriger wird, sich in diesem Jahr durchzusetzen, haben die ersten Partien gezeigt. Gastgeber Neuseeland bezwang Favorit Norwegen, Gastgeber Australien tat sich gegen Irland schwer, die Engländerinnen mühten sich dank einer Elfmeter-Wiederholung zu einem 1:0 gegen Haiti, Frankreich kam nicht über ein 0:0 gegen Jamaika hinaus. Lediglich Titelverteidiger USA wurde seiner Rolle beim 3:0 gegen Vietnam gerecht. So richtig eindeutig war bisher nur das 5:0 der Japanerinnen gegen Sambia. Damit ist eingetreten, was für den Entwicklungsprozess des Frauenfußballs prognostiziert wurde: "Wir haben genau das vorausgesagt, dass die Nationen hier nicht nur sehr stolz sind, bei einer Weltmeisterschaft zu spielen, sondern auch absolut die Qualität haben, jede Mannschaft vor Probleme zu stellen", sagte Voss-Tecklenburg auf der Abschlusspressekonferenz.

Für die Freiburgerin Janina Minge ist die WM bereits zu Ende

Die 55-Jährige hatte von Beginn an betont, wie ernst man Marokko, Kolumbien (30. Juli) und Südkorea (3. August) als Gegner nehmen werde. Nun gehört das gewissermaßen immer zum Spiel dazu: die anderen loben. Wer den Gegner stärkerredet, steht am Ende ergebnisunabhängig ja auch selbst besser da. Abgesehen von dem allgemein höheren fußballerischen Niveau bei dieser WM kommt nun aber noch ein Aspekt hinzu, den die Bundestrainerin anfangs gar nicht erahnen konnte. Sie hat drei angeschlagene Spielerinnen in ihrem Kader, zwei davon Leistungsträgerinnen: Mittelfeldspielerin Lena Oberdorf (Oberschenkelverletzung), Abwehrchefin Marina Hegering (Fersenprellung) und deren erste Vertreterin, Sjoeke Nüsken (Außenbanddehnung im Knie). Das macht die Angelegenheit tatsächlich schwieriger.

Bei Hegering werde von Tag zu Tag geschaut, hieß es; Oberdorf trainierte zuletzt wieder mit, ist aber erst für das zweite Gruppenspiel eingeplant; Nüsken absolvierte die Einheit in Melbourne wie Hegering nicht komplett. Die 22-Jährige, ab kommender Saison bei Chelsea WFC, kam am Sonntag mit dick bandagiertem Oberschenkel auf den Rasen. Das wirkte eher nicht, als würde sie einspringen können. "Ich kann nur sagen, dass alle Spielerinnen im Kader bleiben werden", sagte Voss-Tecklenburg. Und, logisch, angeschlagen soll keine auf den Platz.

Damit war klar, dass die WM-Reise von Back-up-Spielerin Janina Minge zu Ende gehen wird. Die für den Fall einer Nachnominierung mitgereiste Mittelfeldspielerin vom SC Freiburg reist nach dem Marokko-Spiel zurück nach Deutschland.

Dick einbandagiertes rechtes Bein: Sjoeke Nüsken (2. v. r.) hat sich am Mittwoch im geheimen Test gegen eine U 15 verletzt. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Das Rätselraten um die Abwehr setzt sich hingegen fort. Bevorzugt soll eine Viererkette zu einem stabilen Auftreten bei dieser WM beitragen. Durch den Ausfall von Giulia Gwinn (Reha nach Kreuzbandriss) wird Flügelspielerin Svenja Huth die Position der Rechtsverteidigerin übernehmen. Beim 1. FFC Frankfurt hat die 32-jährige Co-Kapitänin diese Rolle vor vielen Jahren schon gespielt, seit April wurde über diesen Wechsel nachgedacht, der ihr wohl keine großen Schwierigkeiten bereitet. Im Test gegen Sambia war Huth schon auf dieser Position zu sehen.

Hinten links sollte unverändert Felicitas Rauch auflaufen, in der Innenverteidigung ist Kathrin Hendrich gesetzt - und nun könnten Sara Doorsoun oder Sophia Kleinherne noch etwas Eintracht Frankfurt in die Wolfsburger Mischung bringen. Grundsätzlich ist auch ein Wechsel auf Dreierkette denkbar. Aber die Fallhöhe einer solchen Systemumstellung, wenn die Gruppenphase misslingt, dürfte dann doch zu hoch sein. Lieber demonstrierten Voss-Tecklenburg und ihre Spielerinnen ostentativ großes Vertrauen in ihre Abwehr. Egal, wer welche Position besetzt.

Ein bisschen Pathos schwang so kurz vor dem Start auch noch mit. "Heute gibt es auf der Welt die Möglichkeit, den Beruf der Fußballerin zu ergreifen und das sind Riesenchancen", sagte die Bundestrainerin. "Wir dürfen ein Teil davon sein, darauf sind wir stolz. Das leben wir, das lieben wir." Emotionalisieren, Freude vermitteln, auch darum gehe es. Am leichtesten fällt einem das natürlich mit erfolgreichen, unterhaltsamen Spielen. "Aggressiv, intensiv und attraktiv" Fußball spielen, mutig und mit hohem Pressing, so stellt sich das die Bundestrainerin in Australien vor. Dieses Jahr lief bisher holprig, von Montag an aber soll über dem deutschen Nationalteam wieder die Sonne strahlen.

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