Formel 1 in Australien:Verstappen entgeht dem Chaos

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"Diese roten Flaggen, ich weiß nicht, die erste kann man geben, die anderen - das war alles chaotisch", sagt Sieger Max Verstappen (Mitte) nach dem Rennen. (Foto: Peter Fox/Getty Images)

Der amtierende Weltmeister sichert sich in einem von Unterbrechungen geprägten Rennen seinen zweiten Saisonsieg. Zweiter wird Lewis Hamilton, Dritter Fernando Alonso - und Ferrari erlebt wieder einen Tag zum Vergessen.

Von Anna Dreher

Wenige Runden vor Schluss kam dann noch einmal das Safety Car auf die Strecke beim Großen Preis von Australien, zum wiederholten Mal an diesem Sonntag. Kevin Magnussen war in Kurve zwei zu weit von der Strecke abgekommen und mit seinem Haas in die Streckenbande geknallt. Funken flogen, die hintere rechte Aufhängung brach, und der Däne lenkte fortan ein Dreirad: Sein vierter Pneu lag mitten auf der Straße, ebenfalls Teile seines Wagens. Das Rennen wurde nicht nur unterbrochen, sondern gestoppt. Rote Flagge, alle Autos in die Boxengasse des Albert Park Circuit! Alles auf neu.

"Was zum Teufel, was soll das heißen, rote Flagge?", fluchte Max Verstappen durch den Funk. Mehr als neun Sekunden Vorsprung hatte der amtierende Formel-1-Weltmeister auf seinen Verfolger Lewis Hamilton herausgefahren. Nun würde das Rennen nochmal stehend gestartet. Damit war sein großer Vorteil hinüber - und die Spannung für die verbleibenden zwei Runden und etwa 10,5 Kilometer ordentlich erhöht.

Das war auch deshalb keine gute Nachricht für Verstappen, weil er von der Parkbucht an diesem Sonntag in Melbourne vorher schlecht weggekommen war. Schon zweimal hatte es zuvor die Situation gegeben: einmal regulär, einmal nach einem Crash. Beim dritten Mal kam der 25-Jährige deutlich besser weg, setzte sich gegen Hamilton durch und fuhr problemlos weiter - im Gegensatz zu diversen Kollegen weiter hinten. Dieser Neustart lief denkbar chaotisch ab, kostete manches Team sehr viel Geld und löste im Fahrerlager Diskussionen aus.

Ferrari in der Formel 1
:Warnfarbe: Rot

Der Traditionsrennstall hat weiter große Probleme. Die Konkurrenz scheint enteilt, in Melbourne starten Charles Leclerc und Carlos Sainz nur von den Plätzen fünf und sieben. Alle warten auf einen echten Neuanfang - doch der verschiebt sich.

Von Elmar Brümmer

Carlos Sainz berührte mit seinem linken vorderen Rad das hintere Rad des Aston Martin von Fernando Alonso, der sich daraufhin drehte, jedoch mit niemandem sonst kollidierte und den Grand Prix fortsetzen konnte. Es ging so eng zu, dass sich Sergio Perez nicht anders zu helfen wusste, als mit seinem Red Bull aufs Kiesbett auszuweichen. In der nächsten Kurve dann knallten die beiden Alpine von Pierre Gasly und Esteban Ocon in die Wand, Trümmerteile flogen umher. Die rosa lackierten Autos: Totalschaden. Das Rennen: schon wieder abgebrochen, rote Flagge!

Und nun? Würde die Rennleitung angesichts der letzten Runde das gesamte Feld wieder auf die Gerade bitten und einen weiteren Neustart hinter dem Safety Car anordnen? Das forderte der aufgebrachte Alonso im Funk. Oder würde sie den Grand Prix komplett abbrechen? Während die Rennleitung sich über das Regelwerk beugte und über die aus ihrer Sicht richtige Entscheidung debattierte, blieb manch ein Fahrer im Auto sitzen. Alonso unterhielt sich mit seinen Mechanikern, Hamilton hingegen setzte sich in der Garage auf einen Stuhl und hörte Musik, Verstappen wartete beim Kommandostand mit seinen Ingenieuren. Nach einigen Minuten stand schließlich fest: Es würde einen rollenden Neustart hinter dem Safety Car geben mit Verstappen, Hamilton, Alonso auf den vorderen Plätzen.

Eine entspannte Ehrenrunde später feierte Verstappen seinen zweiten Saisonsieg im dritten Rennen, vor Hamilton und Alonso. In der Gesamtwertung führt Verstappen nun mit 69 Punkten vor Teamkollege Sergio Perez (54) und Alonso (45). "Mit diesem zweiten Platz hatte ich nicht gerechnet", sagte Hamilton. "Drei Weltmeister auf dem Podium. Ich denke, das ist für die Formel 1 eine tolle Sache."

Der einzige deutsche Stammpilot, Nico Hülkenberg, holte als Siebter erstmals nach seinem Comeback WM-Punkte, weil er noch von einer Strafe gegen Sainz profitierte. Nur zwölf von 20 Autos rollten ins Ziel. "Diese roten Flaggen, ich weiß nicht, die erste kann man geben, die zweite verstehe ich nicht - das war alles chaotisch", sagte Verstappen nach dem Rennen. Mercedes-Teamchef Toto Wolff fand bei Sky: "Wenn die Regel das so sagt, dann muss man das so machen."

Für Ferrari setzt sich auch in Australien die Misere fort: Charles Leclerc scheidet früh aus

Als noch niemand etwas von diesem Verlauf ahnen konnte, startete Verstappen erstmals von der Pole Position bei diesem Grand Prix und hatte von früher gewohnte, zuletzt aber seltene Nachbarschaft um sich: Die beiden Mercedes gesellten sich zu ihm, George Russell startete als Zweiter, hinter dem 25-Jährigen lauerte Lewis Hamilton. "Das ist absolut unerwartet. Es fühlt sich toll an", sagte der siebenmalige Weltmeister nach der Qualifikation und verband direkt eine Ansage damit: "Wir sind zu zweit gegen nur einen Red Bull."

Und tatsächlich kamen die Silberpfeile besser weg: Russell fuhr in der ersten Kurve innen an Verstappen vorbei. Als wäre das nicht genug, sah der Niederländer in der dritten Kurve Hamilton rechts an sich vorbeiziehen. Zu weit aber konnten sich die beiden Mercedes nicht absetzen; weiter hinten war es unmittelbar vor diesem Manöver so eng zugegangen, dass sich erst der Ferrari von Carlos Sainz und der Aston Martin von Fernando Alonso berührten, ohne Folgen, bevor die Autos ihrer Teamkollegen Charles Leclerc und Lance Stroll auf Tuchfühlung gingen, mit Folgen.

Leclerc landete im Kiesbett, gelbe Flagge, Rennunterbrechung. Damit setzte sich die Misere der Scuderia fort, die doch dieses Jahr eigentlich beendet werden sollte. Vergangenes Jahr noch hatte Leclerc auf dem Albert Park Circuit gewinnen können und führte die WM an, danach aber lief nur noch wenig zusammen - ein Muster, das sich in den ersten drei Rennen 2023 fortsetzt. Platz vier von Carlos Sainz in Bahrain war bisher das beste Ergebnis unter dem neuen Teamchef Fred Vasseur, eine Wiederholung wurde durch die Zeitstrafe verhindert. "Wieder ein Rennen ohne Punkte", sagte Leclerc. "Das ist sehr frustrierend und wirklich der schlimmste Start in die Saison."

Die an Verstappen verlorene Führung von Hamilton ist schon bald das kleinere Problem für Mercedes

Während er Richtung Fahrerlager unterwegs war, nutzten die ersten seiner Konkurrenten die Pause zum Reifenwechsel. Drei Runden später wurde das Rennen wieder freigegeben - um im siebten Durchlauf erneut unterbrochen zu werden. Diesmal war Alex Albon am Ausgang der sechsten Kurve in die Bande geschlagen, als Sechster mit der Aussicht auf Punkte, was für das nicht gerade erfolgsverwöhnte Williams-Team besonders bitter war.

Und weil der Einschlag so heftig und zu viel Kies auf die Strecke geflogen war, wurde aus der gelben eine rote Flagge, alle Autos mussten zurück in die Boxengasse. Damit war der Vorteil des eigentlich cleveren Zugs eines Reifenwechsels während der gelben Flagge, den Mercedes mit Russell und Ferrari mit Sainz gewählt hatten, weg. "Das hat mir einen massiven Nachteil gebracht", hatte Hamilton nach dem Reifenwechsel seines Kollegen noch an seine Box gemeldet. Wenige Minuten später musste Mercedes-Teamchef Wolff an Russell funken: "Sorry, George, das hat es uns vermasselt."

Denn durch die rote Flagge erhielten alle Fahrer einen freien Boxenstopp, ohne ihre Position zu riskieren. Davon profitierten der neue Führende Hamilton und der nun zweitplatzierte Verstappen. Russell war nur noch Siebter hinter dem Haas von Hülkenberg.

Motor kaputt, Grand Prix vorbei: George Russell verlässt geknickt die Rennstrecke. (Foto: Simon Baker/Pool via Reuters)

In der neunten Runde erfolgte der zweite stehende Start des Tages, wieder lief es nicht optimal für Verstappen: Hamilton zog davon, immerhin den drittplatzierten Alonso konnte Verstappen hinter sich halten. Aber er pirschte sich immer weiter nach vorne, bis er die Schnelligkeit seines Dienstwagens doch ausspielen konnte: In der zwölften Runde zog Verstappen an Hamilton vorbei - und war dann auf und davon, Sekunde um Sekunde vergrößerte er den Abstand.

Die verlorene Führung aber war dann schon bald das kleinere Problem für Mercedes, denn weiter hinten wurde Russell immer langsamer, verlor einen Platz nach dem anderen, bis Flammen aus seinem W14 stachen. So schnell kann aus der Aussicht auf einen grandiosen Arbeitstag ein vermaledeiter werden. Russell musste am Ende der Boxenausfahrt rechts ranfahren, Streckenposten eilten mit Feuerlöschern herbei, auch für ihn war der Grand Prix vorzeitig zu Ende.

Nach dem virtuellen Safety Car musste Hamilton vor allem in den Rückspiegel schauen, der Abstand zum Aston Martin schrumpfte. "Alonso ist ziemlich schnell", funkte Hamilton. "Ich weiß nicht, ob die Reifen bis zum Ende durchhalten werden." Verstappen sah er da gar nicht mehr, der hatte sich bereits einen Vorsprung von mehr als sieben Sekunden herausgefahren und fing an, andere zu überrunden. Der amtierende Weltmeister konnte das tun, was er schon so oft getan hatte: die Führung verwalten - bis Magnussen seinen Reifen verlor. Aber auch das Ende dieses kuriosen Grand Prix mit insgesamt drei Abbrüchen und drei Safety-Car-Phasen konnte ihm seinen 37. Formel-1-Sieg nicht nehmen.

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