Ferrari in der Formel 1Warnfarbe: Rot

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Ernüchterung nach dem Qualifying: Ferrari-Pilot Carlos Sainz wirkt ratlos.
Ernüchterung nach dem Qualifying: Ferrari-Pilot Carlos Sainz wirkt ratlos. (Foto: William West/AFP)

Der Traditionsrennstall hat weiter große Probleme. Die Konkurrenz scheint enteilt, in Melbourne starten Charles Leclerc und Carlos Sainz nur von den Plätzen fünf und sieben. Alle warten auf einen echten Neuanfang - doch der verschiebt sich.

Von Elmar Brümmer, Melbourne

Die Streitfrage, ob das Rot von Ferrari für das Herzblut des Formel-1-Rennstalls steht, oder eher eine Warnfarbe ist, kann man zumindest an dem grauen Qualifikationssamstag zum Großen Preis von Australien klar beantworten: Die Startplätze fünf und sieben für Carlos Sainz jr. und Charles Leclerc sind erneut alarmierend. Hatte doch der neue Teamchef Fred Vasseur zum Einstand gleich die Devise ausgegeben: "Zweiter zu werden ist für Ferrari nicht genug." Demnach müssen sie sich in Maranello jetzt damit befassen, was weniger als nicht genug ist - denn momentan ist es nur der vierte Platz in der Konstrukteurs-WM.

Erst zweieinhalb Rennwochenenden in der neuen Saison, und es hat sich nichts verbessert gegenüber dem bereits enttäuschenden vergangenen Jahr: der eigentliche Herausforderer des dominierenden Red-Bull-Rennstalls ist deren eigene Technik, erst danach kommen Aston Martin und neuerdings vielleicht auch Mercedes. Ferraris Können blitzt nur gelegentlich auf. Max Verstappen konnte in Melbourne seine erste Pole-Position überhaupt in down under einfahren, obwohl er zum Schluss wieder über verdächtige Getriebeprobleme berichtet hatte. Sein Teamkollege Sergio Perez muss als Letzter ins Rennen gehen, da der Mexikaner schon in der ersten Qualifikationsrunde offenbar nach einem Aussetzer der Motorbremse ins Outback der Rennstrecke ausritt. Die Überraschung an einem kühlen Herbsttag waren George Russell und Lewis Hamilton, die sich an Fernando Alonso vorbei auf die Ränge zwei und drei schieben konnten.

Vasseur hat Seilschaften gekappt und eine belebende Unruhe ausgelöst - aber das reicht nicht

Was für einen Unterschied ein Jahr doch machen kann, obwohl sich am Reglement kaum etwas geändert hat. Vergangene Saison verließen Charles Leclerc und seine Scuderia Ferrari den Albert Park nicht nur als Tagessieger, sondern auch noch als stolze WM-Führende. Die Melbournians, unter denen Ferrari noch aus Michael Schumachers Zeiten eine große Fangemeinde anzieht, waren sicher, die kommenden Champions gesehen zu haben. Doch der Große Preis von Australien leitete eine Trendwende ein. Von da an begann Ferrari zu straucheln, Max Verstappen und Red Bull Racing nahmen so stark Fahrt auf, dass sie nicht mehr zu stoppen waren.

Leclerc blickt voller Sehnsucht zurück, und er wirkt dabei wie einer, der mit 25 schon fürchtet, als ewig vergeblicher Herausforderer zu enden: "Wir sind nicht so gut wie letztes Jahr." Das ist vermutlich eine Untertreibung. Ferrari hat mit Fred Vasseur zwar einen neuen Teamchef bekommen, aber in Maranello ist noch einiges beim Alten, was auch bedeutet: Es liegt im Argen. In knapp 100 Tagen hat der 54-Jährige zwar schon ein paar Seilschaften gekappt. Außerdem können sich auch altgediente Mitarbeiter ihres Jobs nicht mehr sicher sein, weshalb wiederum eine durchaus belebende Unruhe entsteht. Doch das reicht nicht - das italienische Nationalteam unter neuer französischer Führung braucht einen echten Neuanfang. Der kommt wahrscheinlich erst zum Europastart mit dem Heimspiel in der Emilia Romagna, bis dahin soll der SF-23 seine Badewannen-Seitenkästen verlieren. Doch fraglich ist, ob bis Ende Mai schon alle Sorgen passé sind.

Red Bull fährt Kreise um die Herausforderer - und kann sich wohl nur selbst schlagen

Reichlich Zeit für Panikattacken, die in Italien meist in den Sportzeitungen abgehandelt werden. Frederic Vasseur könnte eine Schicksalsgemeinschaft mit seinem alten Kumpel Toto Wolff bilden, denn den Mercedes-Teamchef drücken mindestens so schwere Sorgen. Aber die Silberpfeil-Fraktion scheint robuster und strukturierter darin zu sein, wie Probleme angegangen werden. Es geht um Schadensbegrenzung auf höherem Niveau, während Red Bull Kreise um die Herausforderer fährt und sich momentan wohl nur durch technische Unzuverlässigkeit selbst schlagen kann. Während Mercedes mit kühler Analyse den eigenen aerodynamischen Fehleinschätzungen begegnet, werden die Themen bei Ferrari leidenschaftlicher verhandelt. Dass zugleich eine Phase des Umbruchs herrscht, macht es nicht einfacher.

Sich selbst zu schlagen tut am meisten weh. Bei der Berufung des 54 Jahre alten Ingenieurs Vasseur vom Kundenteam Alfa Romeo mag der Wunsch eine Rolle gespielt haben, die eigene Historie zu kopieren. Denn die erfolgreichste Ära in der Königsklasse hatte Ferrari mit Jean Todt, dem Strippenzieher hinter fünf Fahrer- und sechs Markentiteln zu Beginn des Jahrtausends, vollstreckt durch Michael Schumacher. Danach scheiterten die Versuche, eine italienische Nationalmannschaft zu installieren, vier Teamchefs wurden verschlissen.

Der Scuderia fehlt schon länger neben dem Erfolg auch Kontinuität, wobei eins zum anderen führt. Es braucht mehr denn je Stabilität, bei den Menschen wie den Maschinen. Letzter prominenter Abgang war der Aerodynamiker David Sanchez. Mit der frischen Kraft eines potenziellen Retters von außen strukturiert Vasseur gewaltig um, aber kritischen Fragen stellt er sich nicht mit erhellenden Antworten, sondern meist mit einem nichtssagenden Lächeln und der Pole-Position im Plattitüden-Rennen: "Wir kämpfen." Dass sich Fred Vasseur mit Rücken- und Knieproblemen auf dem langen Weg nach Australien quälen musste, passt irgendwie ins Bild.

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