Sollten die ausländischen Besucher, die Olaf Scholz an diesem Freitag im Kanzleramt bewirtet, einen Blick in die örtliche Tagespresse geworfen haben, dürfte sie die Lektüre erstaunt haben. Die Nachricht, ihr Gastgeber habe ein Machtwort gesprochen, muss sie wundern. Dort, wo sie herkommen, ist jedes Wort, das sie sprechen, ein Machtwort. Scholz empfängt die Staatspräsidenten aller fünf ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens (C5). Sie alle eint, dass sie ihn ihrer Heimat - Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan - mehr oder weniger autoritär herrschen.
Verbunden sind sie allerdings auch in ihrer Sorge wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und des imperialen Gebarens ihres großen Nachbarn. Intensiv sind die Zentralasiaten auf der Suche nach neuen Partnern. Am Rande der UN-Generalversammlung vergangene Woche kamen die C5-Oberhäupter in New York mit US-Präsident Joe Biden zusammen, nun sprechen sie mit Scholz in Berlin über eine strategische Partnerschaft.
Noch verläuft die Pipeline aus Kasachstan durch russisches Gebiet
Man messe dem Ausbau der Beziehungen zu Europa und Deutschland große Bedeutung bei, betonte der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew am Donnerstag nach einem Gespräch mit Scholz. Tokajew bildete als Präsident des größten C5-Staates die Vorhut und setzte den Ton, indem er einerseits um deutsche Investitionen warb und andererseits verstärkte Rohstofflieferungen in Aussicht stellte. Nach dem Ausfall Russlands als Lieferant von Erdgas und Erdöl ist Kasachstan gerne bereit, zumindest einen Teil der so entstandenen Lücken zu füllen.
Schon jetzt verarbeitet die ursprünglich von Lieferungen aus Russland abhängige Raffinerie in Schwedt Öl aus Kasachstan. Man sei bereit, das Volumen zu erhöhen, versprach Tokajew. Allerdings führt der Weg durch die Druschba-Pipeline über Russland - weshalb die Bundesregierung Wert darauf legt, die Raffinerie notfalls auch ohne kasachisches Öl weiterbetreiben zu können.
Kasachstan sei ein "wichtiger Partner" im Bestreben, sich unabhängig zu machen von russischen Energielieferungen, betonte Scholz. Auch bei kritischen Rohstoffen und der Energiewende setze Deutschland auf Kasachstan. Man sei sich einig, dass die dafür nötigen Transportwege schnell ausgebaut werden müssten. Im Vordergrund stehe dabei der "mittlere Korridor", eine geplante Route unter Umgehung Russlands. Kasachstan befindet sich, ähnlich wie seine zentralasiatischen Nachbarn, seit dem russischen Überfall auf die Ukraine in einem Zwiespalt. Einerseits ergibt sich aus der Flucht westlicher Unternehmen aus Russland die Chance, Investoren auf den eigenen Markt zu locken. Anderseits bleibt Russlands Einfluss immens. Mit Kritik an Russland halten sich die Zentralasiaten zurück, jedenfalls öffentlich.
Manches Land gilt als großes Schlupfloch im Sanktionszaun
Er habe mit Tokajew auch über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gesprochen, berichtete Scholz. Die deutsche Forderung sei dabei klar: "Putin muss sein Vorhaben abbrechen und Truppen zurückziehen." Solange er seinen "mörderischen Angriffskrieg" fortsetze, werde man "das Notwendige tun, um ihn zur Umkehr zu bewegen", auch mit den Sanktionen. "Es ist gut und hilfreich, dass die kasachische Seite uns dabei unterstützt, Sanktionsumgehungen zu verhindern, und aktive Gegenmaßnahmen beschlossen hat", lobte Scholz.
Tatsächlich stand Kasachstan bisher eher im Verdacht, ein großes Schlupfloch zu bieten für westliche Güter, die nicht nach Russland geliefert werden dürfen. Dafür sprach der in manchen Bereichen plötzlich boomende Handel. In Berlin will man allerdings mittlerweile das Bemühen Kasachstans ausgemacht haben, das Schlupfloch zu schließen.
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Kasachstan habe "eindeutig erklärt, dass wir das Sanktionsregime unterstützen", betonte Tokajew. Die deutsche Seite solle "da keine Angst haben, dass möglicherweise von unserer Seite irgendetwas unternommen werden könnte, das Sanktionsregime zu umgehen". Im Ukraine-Konflikt sei nun die Zeit "für eine kluge Diplomatie, für eine weise Diplomatie". Kasachstan sei dafür, alle "militärischen Handlungen ganz schnell und sofort einzustellen und die UN-Resolutionen einzuhalten".
Auf die Frage, ob Kasachstan selbst fürchte, dem Moskauer Imperialismus zum Opfer zu fallen, verwies Tokajew darauf, dass sein Land freundschaftliche Beziehungen zu Russland unterhalte. Der Grenzverlauf sei von den Parlamenten beider Länder ratifiziert worden. "Wir haben keine Ängste", versicherte Tokajew, "dass Russland irgendwie auf unser Staatsgebiet Anspruch erheben könnte".