Finanzminister Christian Lindner (FDP) und die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, haben sich offen für eine Debatte über eine gemeinsame nukleare Bewaffnung in Europa gezeigt. Lindner verweist in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung darauf, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Kooperationsangebote gemacht habe. "Die jüngsten Äußerungen von Donald Trump sollten wir als Aufforderung verstehen, dieses Element europäischer Sicherheit unter dem Dach der Nato weiterzudenken", schreibt der FDP-Chef.
Der frühere US-Präsident Donald Trump hatte kürzlich erklärt, er würde Nato-Partnern, die ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen, keinen Schutz vor Russland gewähren. So habe ihn der "Präsident eines großen Landes" einmal gefragt, ob die USA das Land auch vor Russland beschützen würden, wenn es die Verteidigungsausgaben nicht zahle. Er habe geantwortet: "Nein, ich würde euch nicht beschützen." Vielmehr noch: Er würde Russland "sogar dazu ermutigen, zu tun, was auch immer zur Hölle sie wollen". In seiner ersten Amtszeit hatte Trump Deutschland wiederholt vorgeworfen, zu wenig Geld für Verteidigung auszugeben.
Strack-Zimmermann widerspricht Barley
Die Frage sei, so FDP-Chef Lindner, unter welchen politischen und finanziellen Bedingungen die französische und auch die britische Regierung bereit seien, ihre Atombombe für eine kollektive Sicherheit vorzuhalten oder auszubauen. "Und umgekehrt, welchen Beitrag sind wir bereit zu leisten?" Eine Antwort darauf gibt Lindner nicht.
Auch Barley äußert nach Trumps Aussagen Zweifel an der Verlässlichkeit des US-Atomwaffen-Schutzschirms für Europa. "Angesichts der jüngsten Äußerungen von Donald Trump ist darauf kein Verlass mehr", sagte sie dem Tagesspiegel. "Auf dem Weg zu einer europäischen Armee kann also auch das ein Thema werden", antwortete die SPD-Politikerin auf die Frage, ob die EU eigene Atombomben brauche.
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Lindners Parteikollegin Marie-Agnes Strack-Zimmermann widerspricht Barley im Deutschlandfunk und warnt vor einer leichtfertigen Debatte. "Ich möchte Frau Barley nicht zu nahe treten, aber ich glaube, dass sie überhaupt keine Vorstellung hat, was das letztlich bedeutet", sagt die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. "Das bedeutet nämlich nicht, man stellt mal zehn Atombomben an die eine Grenze oder an die andere, sondern das ist letztlich ein gewachsenes, ausgefeiltes System, in dem eben ganz Europa geschützt werden muss." Darüber könne man nachdenken - "aber ich warne davor, dass mal so am Kaffeetisch zu sagen".
Bundeskanzler Scholz lehnt eine Diskussion über die Veränderungen des Systems ab
Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius rät davon ab, Trumps Worte zu ernst zu nehmen. Dieser würde mit der Aufkündigung der Beistandspflicht "am Ende auch den Ast absägen, auf dem Amerika sitzt". Ähnlich sieht es der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter. Man müsse die USA überzeugen, ihre Atomwaffen hierzubehalten. "Weder können französische noch britische Atomwaffen das ausgleichen, noch sind wir Europäer in der Lage, innerhalb weniger Jahre den amerikanischen Nuklearschutzschirm zu ersetzen", fügte er hinzu.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lehnt eine Diskussion über die Veränderungen des bisherigen Systems ab. "Ich weiß nicht, was diese Diskussion heute soll", sagte er im Januar der Zeit. Er halte die nukleare Teilhabe mit den USA "für den realistischeren Weg". Deutschland verfügt nicht über eigene Atomwaffen, eine atomare Bewaffnung wurde auch bisher nie angestrebt. Die Bundesrepublik hat aber mit den USA über die sogenannte "nukleare Teilhabe" vereinbart, dass im Kriegsfall deutsche Kampfjets US-Atomwaffen zu ihren Zielen fliegen.