Das Politische Buch:Mit allergrößter Macht

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Niemals aufgeben: Ein Trump-Fan im Oktober 2023 in Florida. (Foto: Giorgio Viera/AFP)

Donald Trump bald wieder in Washington? Wie konnte es so weit kommen? Annika Brockschmidt erklärt es einleuchtend und präzise mit der Jahrzehnte dauernden Radikalisierung der Republikanischen Partei. Arthur Landwehr versucht es mit einer gesamtgesellschaftlichen Analyse der "zerrissenen Staaten".

Rezension von Viola Schenz

"Die Simpsons" hatten ihn früh prophezeit. Schon im Jahr 2000 gab es einen "Präsidenten Trump" bei Amerikas lustigster Fernsehfamilie, und in einer Folge von 2015 sieht man ein Wahlkampfschild, auf dem "Trump 2024" steht. Witzige Fiktionen, die Jahre später bitterer Ernst werden sollten.

Was sich die Simpsons-Macher nicht ausgemalt hatten: Auf seinem Weg ins Weiße Haus kaperte Donald Trump die Republikanische Partei. Wie konnte ihm das gelingen? Und warum widersetzt sich die Grand Old Party (GOP) ihm nicht, jetzt, da seine diktatorischen Instinkte manifest sind? Wie und warum wurden die Republikaner überhaupt zu einer Heimstatt für Ultrakonservative und Rechtsextreme, für reaktionäres Gedankengut und "weißen" Nationalismus?

Es begann schon in den 1940er-Jahren

Annika Brockschmidt, eine 31 Jahre junge Journalistin, Podcasterin und Autorin ("Amerikas Gotteskrieger. Wie die religiöse Rechte die Demokratie gefährdet", Rowohlt 2021) geht solchen Fragen nach und dröselt die Geschichte der GOP auf. Die einstige "Partei Lincolns", die angetreten war, die Sklaverei in den USA abzuschaffen, radikalisierte sich, lange bevor Trump die politische Bühne betrat. Brockschmidt veranschaulicht, wie Amerikas Konservative extreme Strömungen in ihren Reihen nicht nur tolerierten, sondern auch hofierten: Bürgerwehren, Anti-Establishment-Bewegungen wie die Tea Party oder die Moms for Liberty, rechte Milizen mit Verbindungen bis in den Kongress.

Der Messias? Oder doch nur ein Politiker? Enthusiastische Trump-Anhänger in Rapid City, South Dakota, im September 2023. (Foto: Andrew Caballero-Reynolds/AFP)

Herausgekommen ist eine erkenntnisreiche, spannende Parteiengeschichte, sehr gut recherchiert, flüssig geschrieben und klug kommentiert. Die studierte Historikerin findet historische Parallelen zu aktuellen Entwicklungen und verwebt sie elegant mit Politikerporträts. Sie spricht mit GOP-Kennern und erzählt, wie Strippenzieher und Machtkämpfe die Partei immer wieder aufwiegelten, sie entdeckt bemerkenswerte Biografien, Zitate und Appelle ("Extremismus bei der Verteidigung der Freiheit ist keine Sünde!", Präsidentschaftskandidat Barry Goldwater auf dem GOP-Parteitag 1964).

Annika Brockschmidt: Die Brandstifter. Wie Extremisten die Republikanische Partei übernahmen. Rowohlt, Hamburg 2024. 368 Seiten, 24 Euro. E-Book: 19,99 Euro. (Foto: Rowohlt)

Brockschmidt geht weit zurück, bis in die 1940er-Jahre zum Beispiel, als es sich Präsident Harry Truman, ein Demokrat, mit seinen Maßnahmen gegen die Segregation in den Streitkräften mit vielen seiner Südstaaten-Parteigänger verdarb. Einige Republikaner witterten daraufhin ihre Chance und füllten geschickt diese Lücke. 1964 setzte der demokratische Präsident Lyndon B. Johnson mit dem Civil Rights Act Bürgerrechte für Schwarze durch. Solche Reformen polarisierten Amerika; das eine befürwortete Pluralismus, das andere eine "weiße Vorherrschaft". Und nach dem Ende der Sowjetunion ersetzten rechte Wortführer innerhalb der Republikanischen Partei wie Pat Buchanan den überflüssig gewordenen Antikommunismus mehr und mehr durch "migrationsfeindliche und isolationistische Außenpolitik", so Brockschmidt.

Schon vor Jahrzehnten gab es die Idee für einen Zaun an Mexikos Grenze

Seine radikalen Forderungen muss sich Trump nicht einmal selbst ausdenken: In der Tradition etwa der America-First-Aktivisten der 1930er-Jahre warb er 2015 für einen neuen Isolationismus. Die Zeit der "endlosen Kriege [...] in fernen Ländern, von denen die meisten noch nie gehört haben, um uralte Konflikte zu lösen", sei zu Ende, so sein Versprechen. Auch der ehemalige Nixon-Berater Pat Buchanan stellte seinerzeit die Stationierung amerikanischer Soldaten im Ausland und "alte Bündnisse gegen kommunistische Feinde, die nicht mehr existieren", also unter anderem die Nato, ebenso infrage wie die "Auslandshilfe". Und Buchanan warb drei Jahrzehnte vor Trump für eine Mauer an der Grenze zu Mexiko ("Buchanan-Zaun"). Selbst den Slogan "Make America Great Again" hat sich Trump von Ronald Reagan abgekupfert.

Immer wieder konnten "konservative Urgesteine" wie William Buckley, Pat Buchanan, Paul Weyrich, Pat Robertson, Phyllis Schlafly, Antonin Scalia oder Newt Gingrich den Ton setzen. Im Gegenzug resignierten gemäßigte Konservative und "Never-Trumper" wie Bill Kristol, Adam Kinzinger oder Liz Cheney.

Seit dem 6. Januar 2021, als ein rechter Mob das Kapitol stürmte, befinde sich die Republikanische Partei in einer regelrechten Radikalisierungsspirale, schreibt Brockschmidt. Es lasse sich eine massive Eskalation in der Rhetorik beobachten, einige republikanische Politiker äußerten offen Gewaltfantasien. Die Basis sehe in dem versuchten Staatsstreich keineswegs einen unverzeihlichen Fehler - im Gegenteil. Unverzeihlich sei für sie vielmehr, dass einige Republikaner im Kongress Trump zur Verantwortung ziehen wollten. Sie sehe in Trump "alles, was sie sich erträumt hatte: Jemanden, der all das aussprach, was sie fühlte, der schockierte, den politischen Gegner beleidigte, erniedrigte und einfach fertigmachte". Viele republikanische Mandatsträger in Senat und Repräsentantenhaus wüssten durchaus, dass Trump die Wahl 2020 verloren habe, zitiert Brockschmidt den Historiker Seth Cotlar - aber sie würden das öffentlich nie sagen, um ihre Wähler nicht zu verprellen. Dieser offene Bruch mit dem "demokratischen Rahmen" sei neu.

Vordenker der Radikalisierung: Pat Buchanan, hier im Jahr 2000 als Präsidentschaftskandidat der Reform Party mit seiner Frau. Alle seine Kandidaturen waren erfolglos. (Foto: Scott Nelson/AFP)

Dabei stellte die Partei seit den 1980er-Jahren durchweg moderate Präsidentschaftskandidaten auf: George W. Bush, Bob Dole, John McCain oder Mitt Romney. Auch für 2016 hieß der Favorit der Parteigranden Bush, Jeb diesmal, Ex-Gouverneur von Florida. Trump sahen sie als Clown, als nützlichen Agitator, der Stimmen von Empörten mobilisieren konnte.

"Antidemokratischer Griff nach der Macht"

Doch der ließ sich nicht mit Nebenrollen abspeisen, vielmehr nutzte er die Schwächen der ältesten Demokratie der Welt aus. Verfassung und Institutionen der USA sind den politischen Verhältnissen aus den Anfängen als Kolonien längst entwachsen, sie entsprechen nicht mehr den Anforderungen einer heterogenen Massenwählerschaft. So liegt der Eroberungszug einer tyrannischen Minderheit auch im politischen System begründet, das schlüsselt die Autorin überzeugend auf.

Trumps Wunsch, als "Strongman" autoritär zu regieren, sei nichts Neues. "Neu ist jedoch die Bereitschaft des Republikanischen Establishments, diesen anti-demokratischen Griff nach Macht offen zu unterstützen", so Brockschmidts ernüchterndes Fazit.

Endspiel vor dem Supreme Court? Das Gericht ließ im Februar nicht erkennen, dass es Donald Trump von der Aufstellung zur Wahl abhalten will, wie es einige Anti-Trump-Demonstranten forderten. (Foto: Roberto Schmidt/AFP)

Arthur Landwehr, ARD-Korrespondent im Ruhestand, beobachtet den Riss, der durch die Nation geht, aus seiner Reporterzeit in den USA. "Stadt gegen Land, Schwarz gegen Weiß, Frau gegen Mann. Ein Land voller Gretchenfragen, deren Antworten jeden einer Gruppe zuordnet, als gut oder böse, für mich oder gegen mich bestimmt", umschreibt er den Kulturkrieg in den Vereinigten Staaten und fragt: "Wann hat das eigentlich angefangen, wann haben die Menschen Amerikas aufgehört, miteinander zu sprechen, und begonnen, sich stattdessen anzuschreien, sich gegenseitig Verrat vorzuwerfen (...)?"

Arthur Landwehr: Die zerrissenen Staaten von Amerika. Alte Mythen und neue Werte - ein Land kämpft um seine Identität. Droemer-Verlag, München 2024. 288 Seiten, 24 Euro. E-Book: 19,99 Euro. (Foto: Droemer)

Gut 270 Seiten lang erzählt Landwehr Geschehnisse, Entwicklungen, Debatten der vergangenen zwei Jahrzehnte nach: den Tod des Schwarzen George Floyd, die "Black Lives Matter"-Bewegung, den Sturm aufs Kapitol, die Abtreibungs- und Einwanderungsdiskussionen. Nebenbei erklärt er Gesundheits- und Schulwesen, Alltagssorgen, Situation der Hochschulen und Rentensystem und All-American-Topoi: Waffenbesitz, Mobilität, Freiheitstraum, Cowboy-Mythos. Dazwischen finden sich Exkurse über Think Tanks und Manifeste politischer Extremisten, über Einkommens- und Kriminalitätsstatistiken, über die Thesen allzu bekannter Politologen und Soziologen (etwa Francis Fukuyamas "Ende der Geschichte") oder lange Porträts etwa des Autors und Politikers J. D. Vance oder des rechtsradikalen Putin-Beraters Alexander Dugin. Warum Landwehr ausgerechnet Dugin, der allenfalls beim Trump-Einflüsterer Steve Bannon zwischenzeitlich Gehör fand, so viel Platz widmet, bleibt sein Geheimnis.

Alle Amerika-Floskeln sind dabei

Das ist solide und verständlich geschrieben, vor allem die "Angst der Weißen" arbeitet Landwehr gut heraus. Allein: Es ist eben auch sehr bekannt, was ihn aber nicht abhält, alles en détail wiederzukäuen und mit schier endlosen Einzelschicksalen und Meinungsäußerungen "aus dem Volk" noch mal zu verlängern. Landwehr mutiert dann fast zum Seelsorger mit pastoralem Unterton ("Ich treffe mich mit einigen Amerikanern, um über den amerikanischen Traum zu sprechen, über ihr Leben und wie sie in diesem Land leben. Vor allem möchte ich wissen, wie ihr Alltag aussieht, welche Sorgen sie haben, worüber sie zu Hause sprechen, wenn sie ihr Leben organisieren. Männer und Frauen erzählen mir von diesen Freuden und Sorgen ..."), und er greift allen Ernstes zu ausgelaugtesten Amerika-Floskeln ("Vom Tellerwäscher zum Millionär", "Land der unbegrenzten Möglichkeiten"). Die zehn Kapitel gleichen sich inhaltlich, alle bemühen ähnliche Beispiele und Phänomene. Sie bleiben deskriptiv, eine Einordnung sucht man ebenso wie neue Gedanken oder Erkenntnisse. Die findet man zum Beispiel bei Politikwissenschaftler Torben Lütjen ("Amerika im Kalten Bürgerkrieg. Wie ein Land seine Mitte verliert", wbg Theiss 2020).

Landwehrs Buch ist die ideale Lektüre für Menschen, die sich für die USA interessieren, die die Entwicklungen der vergangenen Jahre aber genauso verpasst haben wie hellsichtige Folgen der "Simpsons".

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