Handelspolitik:Getreide aus der Ukraine darf wieder in die EU

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Die Ukraine gehört zu den größten Getreideexporteuren der Welt und hat die EU-Nachbarländer geflutet mit billigen Produkten. (Foto: Efrem Lukatsky/AP)

Die EU-Kommission erkennt in den Nachbarländern keine "Marktverzerrungen" mehr und hebt das Importverbot auf. Sehr zum Unmut von Polen, Ungarn und der Slowakei.

Von Jan Diesteldorf und Viktoria Großmann, Brüssel/Warschau

Die Europäische Kommission hat das vorübergehende Einfuhrverbot für ukrainische Agrarprodukte nicht verlängert und geht damit auf Konfrontation mit den Regierungen Polens und Ungarns. Die bis einschließlich Freitag geltende Ausnahmeregelung werde nicht erneuert, teilte die Behörde am Freitagabend mit. Von Samstag an dürfen Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumen aus der Ukraine wieder in der EU verkauft werden. "Die Marktverzerrungen in den 5 an die Ukraine angrenzenden Mitgliedstaaten sind verschwunden", hieß es in einer Mitteilung der Kommission.

Die Ukraine ist einer der größten Exporteure von Agrarrohstoffen weltweit. Weil Russland die üblichen Exportwege blockiert, hilft die EU dabei, das Getreide und die Ölsaaten auf den Weltmärkten zu verkaufen. Sie hat vor bald einem Jahr Einfuhrzölle abgeschafft und alternative Exportrouten angeboten. Diese sogenannten "Solidaritätskorridore" funktionierten aber nicht: Anstatt an seinen Bestimmungsorten auf der Südhalbkugel landete das ukrainische Getreide in benachbarten Staaten, vor allem in Polen, Ungarn und der Slowakei, und verdarb den dortigen Landwirten die Preise.

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Das Getreide könne über spezielle Korridore dorthin gebracht werden, wo es wirklich benötigt werde. Einem General zufolge sind die ukrainischen Truppen beim Dorf Werbowe im Bezirk Saporischschja hinter eine wichtige russische Verteidigungslinie gekommen.

Suche nach alternativen Exportrouten für Agrargüter aus der Ukraine dauert an

Polen und Ungarn schlossen daraufhin eigenmächtig ihre Grenzen für Agrarimporte aus der Ukraine und legten sich mit Brüssel an, denn die Handelspolitik ist allein Sache der EU. Anfang Mai einigte sich die EU-Kommission dann mit den fünf betroffenen Ländern, darunter auch Bulgarien und Rumänien: Die Grenzen sollten wieder geöffnet werden, der Import bestimmter Güter in die EU aber verboten bleiben. Nur deren Transit bliebe erlaubt. Einen Monat später verlängerte sie die Maßnahme bis zum 15. September.

Ohne Marktverzerrungen fällt die Begründung für das Einfuhrverbot weg. Die Ukraine habe sich im Gegenzug verpflichtet, den Export präziser zu steuern, damit der EU-Agrarmarkt nicht mehr überschwemmt wird, teilte die Kommission mit. Innerhalb von 30 Tagen werde die Ukraine Maßnahmen wie etwa ein System von Ausfuhrlizenzen einführen, "um eine Getreideflut zu vermeiden".

Seit Juni tagen die betroffenen Länder gemeinsam mit der Kommission und der Ukraine im Rahmen einer Koordinierungsplattform, um die Handelsströme zu verbessern. Zuletzt habe man Griechenland, Italien, Kroatien und die baltischen Staaten zu dieser Plattform eingeladen, um mehr alternative Exportwege nutzen zu können, sagte eine Kommissionssprecherin.

Es geht in dieser Causa aber um mehr als Weizen, Sonnenblumenkerne und deren Preise, es geht auch um das Ausmaß der Solidarität mit der Ukraine. In Polen ist sie offenbar dann erreicht, wenn der Unmut der Bauern die Regierenden in Warschau erreicht. Als im Frühjahr ukrainischer Weizen die polnischen Silos füllte und den Bauern die Geschäftspläne durcheinanderbrachte, war die Aufregung groß. Firmen verkauften die ukrainische Ware auf dem heimischen Markt, die Preise fielen - und die Bauern protestierten, gingen auf die Straßen, fuhren zu Grenzübergängen und warfen der PiS-Regierung Versäumnisse vor. Die Regierung tauschte schließlich den Landwirtschaftsminister aus. Und die EU-Kommission reagierte mit milliardenschweren Soforthilfen für die Bauern und erlaubte den Importstopp.

"Wir warten nicht auf die Zustimmung der Berliner und Brüsseler Beamten"

Zuletzt schob Ministerpräsident Mateusz Morawiecki die Verantwortung wieder auf die EU ab. Diese habe lange die Probleme der Landwirte nicht zur Kenntnis nehmen wollen, sagte er am Dienstag. Man werde aber nicht zulassen, dass die polnische Landwirtschaft zerstört werde, "nicht durch die Nachlässigkeit der Brüsseler Bürokraten". Diese hätten zwei Monate lang versäumt, eine Regelung für die Zeit nach dem 15. September zu finden. Tatsächlich hatten die EU-Nachbarländer der Ukraine schon im Juli auf eine Verlängerung des Einfuhrverbots gedrängt.

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Morawiecki hatte angekündigt, das Verbot auf jeden Fall aufrechtzuerhalten: "Wir warten nicht auf die Zustimmung der Berliner und Brüsseler Beamten, wenn es darum geht, polnische Interessen zu verteidigen", sagte er. Auch Ungarn hatte erklärt, notfalls wieder in eigenem Ermessen Einfuhren zu untersagen. Diplomatischer, aber in der Sache gleich, äußerte sich der slowakische Landwirtschaftsminister. Bulgarien hingegen hatte am Donnerstag beschlossen, das Importverbot aufzuheben.

Die PiS wirbt um die Bauern im Land auch mit Blick auf die Parlamentswahl im Oktober. Zumindest ein Teil der polnischen Bauern vertraut ihr nicht; die Bauernpartei Agrounia hat sich der Bürgerkoalition von Oppositionsführer Donald Tusk angeschlossen. Der ehemalige polnische Ministerpräsident und spätere EU-Ratspräsident Tusk setzt auf Gespräche mit Brüssel, will aber dasselbe wie die PiS: dass die ukrainischen Waren nicht im Land bleiben. Nur will Tusk das "im Einvernehmen, nicht im Konflikt mit der EU" erreichen, wie er mitteilt. Die Agrounia schlägt vor, in den polnischen Häfen Danzig und Stettin Platz für die Verschiffung der Waren zu machen und staatliche Getreidesilos zu bauen.

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