Krieg in der Ukraine:Lage im Schwarzen Meer spitzt sich zu

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Ein türkisches Frachtschiff verlässt den Hafen von Odessa. (Foto: IMAGO/Zozulia Yulii/Ukrinform/ABACA/IMAGO/ABACAPRESS)

Nach Moskau droht auch Kiew an, möglicherweise gegen Frachtschiffe vorzugehen. Außenministerin Baerbock will die Suche nach anderen Transportwegen für ukrainisches Getreide forcieren.

Von Nicolas Freund und Hubert Wetzel, München/Brüssel

Die Hafenstädte im Südwesten der Ukraine sind in der Nacht zum Donnerstag erneut das Ziel russischer Angriffe geworden. Vor allem Mykolajiw und Odessa sollen schwer getroffen worden sein, in beiden Städten wurden laut Angaben der ukrainischen Behörden Wohnhäuser beschädigt und teilweise zerstört. Allein in Mykolajiw soll dabei mindestens ein Mensch getötet und 19 verletzt worden sein, darunter auch Kinder.

In ihrem Abwehrkampf gegen die russischen Angreifer nutzt die Ukraine nun auch die von den USA gelieferte Streumunition. "Sie setzen sie angemessen ein, sie setzen sie effektiv ein", sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, am Donnerstag. Wo die Streumunition eingesetzt wird, sagte er nicht.

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Die ukrainische Flugabwehr ist derzeit nicht gut genug ausgestattet, um alle Ballungsräume und potenziellen Ziele ausreichend zu schützen. So sollen auch die ukrainischen Schwarzmeerhäfen wieder getroffen worden sein. Bereits in der Nacht auf Mittwoch waren unter anderem Getreidespeicher am Schwarzen Meer das Ziel der russischen Angriffe mit Drohnen und Raketen gewesen. Im Hafen von Tschornomorsk südlich von Odessa sollen 60 000 Tonnen Getreide vernichtet worden sein. Es ist noch unklar, welche Schäden die neuen Angriffe verursacht haben. Der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, kritisierte die Angriff am Donnerstag scharf. Hafenanlagen und Getreidespeicher zu bombardieren, sei "barbarisch", sagte Borrell bei einem Treffen der Außenministerinnen und -minister der EU in Brüssel.

Ähnlich äußerte sich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. Sie warf dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor, das ukrainische Getreide, das über das Schwarze Meer in viele arme Weltgegenden exportiert wird, "als Waffe" einzusetzen. Anfang der Woche hatte die russische Regierung das Abkommen auslaufen lassen, das trotz des Kriegs die Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine über das Schwarze Meer ermöglicht hatte.

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Nach der russischen Aufkündigung des Getreideabkommens und der Drohung Moskaus, künftig alle Schiffe im Schwarzen Meer, die ukrainische Häfen ansteuern, als "potenzielle Transporter von Militärgütern" und damit als "Gegner" zu betrachten, warnten die Vereinigten Staaten nun vor Angriffen auf die zivile Schifffahrt in der Region. Es gäbe Hinweise darauf, dass vor ukrainischen Häfen weitere Seeminen ausgelegt worden seien. Adam Hodges, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates im Weißen Haus, sagte: "Wir glauben, dass dies ein koordiniertes Vorgehen ist, um Angriffe auf zivile Schiffe im Schwarzen Meer zu rechtfertigen und der Ukraine die Schuld für diese Angriffe zu geben."

Das ukrainische Verteidigungsministerium reagierte am Donnerstag ebenfalls auf die Drohung aus Moskau und kündigte an, seinerseits alle Schiffe, die russische oder von Russland besetzte Schwarzmeerhäfen anlaufen, als potenziell mit Militärgütern beladen anzusehen. Man verfüge außerdem über die Mittel, russische Aggressionen auf dem Meer abzuwehren. Auch wenn die ukrainische Seite damit vor allem die russische Ankündigung spiegelt, ist das als Drohung gegenüber allen Staaten zu verstehen, unter deren Flagge Schiffe im Schwarzen Meer unterwegs sind. Ein weiterer Exporte von Getreide über den Seeweg scheint bis auf Weiteres ausgeschlossen.

Es gibt bereits Korridore für den Transport über Land, sie funktionieren nur nicht

Außenministerin Baerbock sagte in Brüssel, die EU solle angesichts der blockierten Transportroute über das Schwarze Meer dabei helfen, dass mehr ukrainisches Getreide auf dem Landweg via Osteuropa exportiert werden könne. Die EU hat dazu sogenannte Solidaritätskorridore geschaffen. Sie führen durch Polen und das Baltikum an die Ostsee sowie über den Balkan ans Schwarze und ans Mittelmeer. Über die Korridore kann Getreide per Schiene zu Häfen in der EU gebracht und von dort aus verschifft werden. Derzeit exportiert die Ukraine etwa 60 Prozent ihres Getreides auf diesem Weg.

Allerdings funktionieren diese Korridore nicht problemlos. Mehrere osteuropäische Länder haben sich in den vergangenen Monaten darüber beklagt, dass das ukrainische Getreide bei ihnen im Land bleibe und den heimischen Landwirten die Preise verderbe. Einige osteuropäische Staaten hatten deswegen ihre Grenzen für Getreide aus der Ukraine gesperrt. Länder wie Polen und Ungarn fordern von Brüssel Garantien, dass ukrainisches Getreide nur als Transitgut zu ihnen kommt und weitertransportiert wird.

Der Verkauf von ukrainischen Agrargütern auf dem EU-Binnenmarkt ist möglich, weil die Union dem angegriffenen Land aus Gründen der politischen Solidarität und wirtschaftlichen Unterstützung temporär zollfreien Zugang zu ihrem Markt gewährt hat. Um die protestierenden Osteuropäer zu beruhigen, zahlte die EU Ländern wie Polen und Ungarn zusätzliche Hilfen in dreistelliger Millionenhöhe.

Die EU-Außenminister berieten in Brüssel auch über einen Vorschlag von Borrell zur langfristigen Finanzierung der europäischen Militärhilfe für die Ukraine. Borrell will dazu einen EU-Sonderfonds mit 20 Milliarden Euro für vier Jahre ausstatten. Einen solchen Fonds, aus dem Staaten entschädigt werden, die Waffen an die Ukraine abgeben, gibt es bereits. Er wird aber jeweils von den EU-Ländern ad hoc mit einigen wenigen Milliarden aufgefüllt, wenn er leer ist. Die von Borrell vorgeschlagene Lösung stieß bei den EU-Außenministern auf wenig Begeisterung. "Es reicht nicht, einfach Summen in den Raum zu stellen", sagte Baerbock.

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