Münchner Sicherheitskonferenz:"Die transatlantische Allianz ist zurück"

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Appell zum gemeinsamen Handeln: US-Präsident Joe Biden sprach per Live-Übertragung aus dem Weißen Haus bei der digitalen Münchner Sicherheitskonferenz. (Foto: Kevin Lamarque/REUTERS)

US-Präsident Joe Biden nutzt das Forum, um persönlich die alte Verbundenheit zu beschwören. Und den Worten sind sogar schon ein paar Taten vorausgegangen.

Von Daniel Brössler und Paul-Anton Krüger

Vor zwei Jahren hatte Joe Biden auf der Münchner Sicherheitskonferenz angekündigt: "We will be back!" - wir werden zurück sein. Biden kam damals als "Professor ohne Regierungsamt", wie er sagte. Er stellte ein anderes Verhältnis zu den Alliierten diesseits des Atlantiks in Aussicht, als es Donald Trump mit seiner Devise "America first!" pflegte.

"Jetzt spreche ich als Präsident der Vereinigten Staaten zu Ihnen", hebt Biden am Freitagabend an, er nutzt die virtuelle Sonderausgabe des traditionellen Münchner Treffens für eine Grundsatzrede zu seiner Außenpolitik; wegen der Corona-Krise ist die eigentliche Konferenz vorerst auf den Sommer verschoben.

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Für das digitale Zwischentreffen am Freitag hat Konferenz-Chef Wolfgang Ischinger die vorsichtige Überschrift "Nach der Westlessness" gewählt. Biden dürfte die Erwartungen in dieser Hinsicht jedenfalls mehr als erfüllt haben: "Amerika ist zurück", bekräftigt er, "die transatlantische Allianz ist zurück". Was dann folgt, ist nicht nur ein routiniertes Plädoyer für Diplomatie und Multilateralismus, sondern ein leidenschaftlicher Appell, die Demokratie zu verteidigen.

"Wir können das Rennen gewinnen", sagt der US-Präsident

Die Demokratie sei auch in den USA und vielen Orten in Europa gefährdet, warnt Biden - ein Verweis auf die Erstürmung des Kapitols in Washington durch Trump-Anhänger wie auch auf autoritäre Tendenzen in EU-Ländern wie Ungarn oder Polen. Die Welt stehe an einem Wendepunkt, an dem die eine Seite behaupte, dass Autokratien am besten geeignet seien, Herausforderungen wie die digitale Revolution oder die Corona-Pandemie zu bewältigen, sagt Biden. Er dagegen sei mit "jeder Faser seines Körpers überzeugt, dass sich die Demokratie durchsetzen muss und durchsetzen wird". Sie müsse aber immer wieder erkämpft und verteidigt werden.

Was das aus Sicht der USA heißt, dekliniert er durch - und in der Reihenfolge kann man durchaus Prioritäten ablesen, worauf später auch Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hinweisen wird. Die Demokratien müssten sich auf eine langfristige, strategische Konkurrenz mit Peking einstellen, verlangt der US-Präsident - diese Auseinandersetzung werde scharf sein und auch die folgenreichste. "Wir können das Rennen um die Zukunft gewinnen", aber dafür müsse man sich im Klaren sein, welche Partnerschaften nötig seien.

Es gehe darum, Chinas Firmen denselben Regeln zu unterwerfen, die für Unternehmen in den USA oder in der EU gelten. "Wir müssen uns gegen den Missbrauch und den Zwang wehren, mit dem Chinas Regierung die grundlegenden Werte unseres globalen Wirtschaftssystems unterhöhlt", fordert Biden. Das Investitionsschutzabkommen, das die EU kurz vor dem Machtwechsel in den USA geschlossen hatte, lässt er unerwähnt - dass Washington irritiert ist darüber, ist kein Geheimnis.

Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin wirft Biden vor, die europäische Einigung ebenso wie die transatlantische Allianz schwächen zu wollen. Für ihn sei es einfacher, einzelne Länder unter Druck zu setzen und zu bedrohen, als sich mit einem starken, geeinten Bündnis anzulegen. Es gehe nicht darum, den Kalten Krieg wieder aufleben zu lassen, sagt Biden, aber Russlands Provokationen dürften nicht unbeantwortet bleiben - USA und Europa müssten einstehen für die Souveränität und die territoriale Integrität der Ukraine.

Biden verbindet dies mit einem Bekenntnis zur Nato: "Die Vereinigten Staaten sind unserer Nato-Allianz voll und ganz verpflichtet", stellt der neue Präsident klar. "Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle." Und ganz nebenbei begrüßt er, dass die Verbündeten ihre Ausgaben für die "gemeinsame Verteidigung" erhöhen wollen. Der Kontrast zu seinem Vorgänger könnte größer kaum sein.

Vor einem Jahr hieß das Motto der Konferenz noch "Westlessness"

Ein koordiniertes Vorgehen der demokratischen Industriestaaten beschwört Biden auch im Kampf gegen die Corona-Pandemie und den Klimawandel, hier sieht Biden auch Potenzial für Kooperation mit Peking. Auch verspricht er Zusammenarbeit beim Umgang mit dem iranischen Atomprogramm - eines der schwierigsten Streitthemen, nachdem Trump aus dem Atomabkommen ausgestiegen war.

Vor einem Jahr hatten die Staatenlenker beim jährlichen Klassentreffen der Transatlantiker eben unter dem Motto "Westlessness" getagt - Untergang und Finsternis klangen da mit. Ein Westen, im Inneren gespalten und von illiberalen Kräften getrieben, dem der weltpolitische Gestaltungsanspruch immer stärker abhandenkommt. "Ich weiß, die vergangenen vier Jahre haben unser transatlantisches Bündnis belastet und auf die Probe gestellt", gesteht Biden zu. "Aber die Vereinigten Staaten sind entschlossen, wieder mit Europa zusammenzuarbeiten."

Bundeskanzlerin Angela Merkel nimmt den Ball auf, den Biden ihr zugeworfen hat. Von der neuen Regierung in Washington kämen nicht nur Worte, sondern bereits Taten wie die Rückkehr in die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und ins Klimaabkommen, lobt sie. Sie könne nur "unterstützen, dass es an den demokratischen Ländern ist, nicht nur über Freiheit, über Werte zu sprechen, sondern auch Ergebnisse zu bringen". Das bringt sie dann auch zum eigentlichen Punkt ihres Referates: "Was heißt das jetzt für Deutschland?"

Ziemlich schnell wird klar, dass Merkel sich nicht nur an Biden richtet, sondern an alle in Washington, die den von Trump ständig erhobenen Vorwurf der deutschen Drückebergerei nicht für ganz abwegig halten. "Wir müssen auch da handeln, wo man sich anstrengen muss", sagt sie.

Merkel arbeitet dann eine Art To-do-Liste ab, beginnend beim 2014 beschlossenen Ziel der Nato, dass die Mitgliedstaaten bis 2024 mindestens zwei Prozent der Wirtschaftskraft für Verteidigung ausgeben. Deutschland habe sich von 1,1 Prozent 2014 auf 1,5 Prozent verbessert, vermeldet die Kanzlerin. "Wir fühlen uns natürlich diesem Zwei-Prozent-Ziel weiter verpflichtet und werden auch weiter daran arbeiten", verspricht sie.

Was Russland angeht, klingt Merkel sehr ernüchtert

Außerdem sei Deutschland seit 18 Jahren "an ganz entscheidender Stelle in Afghanistan mit dabei" und bereit, auch länger zu bleiben, wenn es dem Erfolg der Mission diene. "Der Abzug darf nicht damit enden, dass die falschen Kräfte die Oberhand gewinnen", mahnt sie. In Libyen habe Deutschland "mehr diplomatische Verantwortung" übernommen, listet Merkel einen weiteren aus ihrer Sicht wichtigen Haben-Punkt auf. Die Gefahr, dass Libyen zum "Spielball äußerer Mächte" werde, sei aber immer noch groß.

Ziemlich ernüchtert klingt Merkel, als sie auf ihrer Strichliste bei Russland angekommen ist. Beim Schutz der ukrainischen Souveränität sei man in den letzten Jahren nicht vorangekommen. "Die Fortschritte lassen zu wünschen übrig", sagt sie über den Minsker Friedensprozess. Russland verwickele EU-Länder überdies "immer wieder in hybride Auseinandersetzungen". Deshalb sei eine gemeinsame "transatlantische Russland-Agenda" so wichtig, die "kooperative Angebote macht, aber auf der anderen Seite auch klar die Unterschiede benennt".

Am Ende kommt Merkel auch noch auf China zu sprechen, das Biden zuvor als große Herausforderung beschrieben hat. "China hat in den letzten Jahren an globaler Schlagkraft gewonnen", sagt auch Merkel, "dem müssen wir als transatlantisches Bündnis und als Demokratien der Welt auch etwas an Taten entgegensetzen".

Emmanuel Macron greift dann die Ausrichtung der USA auf China und den Pazifik auf, um daraus einen Punkt für seine Forderung zu machen, dass Europa seine strategische Autonomie stärken und mehr Verantwortung für seine eigene Sicherheit übernehmen müsse. Was unter Trump als Reaktion auf die Abkehr von Europa gedacht war, will Macron nun als Beitrag zu einer faireren Lastenteilung mit den Amerikanern verstanden wissen. Den Europäern, so lässt sich daraus auch schließen, stehen noch Debatten bevor, wie sie mit den zurückgewonnen Freunden auf der anderen Seite des Atlantiks zusammenarbeiten wollen.

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