Haushalt:Worum es beim Streit um die Kindergrundsicherung geht

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Wie hoch liegt das Existenzminimum von Kindern? Das ist eine der Fragen, über die in der Koalition diskutiert wird. (Foto: xmitsuapx/Pond5/IMAGO)

Zwei Milliarden Euro oder zwölf? Klar ist: Die Ampel will hilfsbedürftigen Familien das Leben leichter machen. Warum die Vorstellungen über die Kindergrundsicherung dennoch weit auseinander liegen. Eine Übersicht.

Von Markus Balser und Roland Preuß

Seit Monaten liegen Grüne und FDP im Streit über die Kindergrundsicherung, nun erreicht der Konflikt einen neuen Höhepunkt. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat in seine mittelfristige Finanzplanung lediglich zwei Milliarden Euro jährlich für die Reform eingestellt, einen Bruchteil der zwölf Milliarden, die Familienministerin Lisa Paus (Grüne) fordert. Noch laufen Verhandlungen, am kommenden Mittwoch allerdings soll der Haushalt samt Planung für die kommenden Jahre beschlossen sein. Die wichtigsten Aspekte der Auseinandersetzung.

Warum soll es überhaupt eine Kindergrundsicherung geben?

Jedes fünfte Kind in Deutschland gilt als armutsgefährdet, gleichzeitig kommen staatliche Hilfen für Kinder und Jugendliche häufig nicht an. Dies liegt nach Überzeugung von Fachleuten meist daran, dass die Hilfsangebote unübersichtlich sind, die Eltern zahlreiche Anträge stellen müssen und zudem die Behörden die Leistungen untereinander und mit dem Einkommen verrechnen. Zusätzliches Einkommen oder staatliche Unterstützung an einer Stelle wird dann an anderer Stelle wieder abgezogen. Deshalb sollen die vielfältigen staatlichen Hilfen für Familien vom Kindergeld über den Kinderzuschlag für ärmere Familien bis hin zum Bürgergeld gebündelt, vereinfacht und digital zugänglich gemacht werden.

Auch die Höhe der bisherigen Unterstützung ist umstritten. Grüne, SPD und Linke halten sie für zu niedrig. Kinder und Jugendliche würden damit Ausgrenzung erleben, hätten schlechtere Bildungschancen. Deshalb müsse der Staat mit höheren Sozialleistungen helfen.

Worum dreht sich der Streit?

Vor allem um die Kosten. Familienministerin Paus hat für das Jahr 2025, wenn die Kindergrundsicherung in Kraft treten soll, einen Bedarf von mindestens zwölf Milliarden Euro zusätzlich angemeldet. Lindner will nur zwei Milliarden einplanen - und zwar für 2025 und die Folgejahre bis 2027. Das ist noch weniger als im Frühling, als er noch von zwei bis drei Milliarden Euro sprach. Der FDP-Vorsitzende will laut Finanzplanung nur Geld ausgeben für die Digitalisierung der Verfahren, das heißt, für neue IT in den Behörden, Software und ähnliches, sowie dafür, dass dann ein größerer Teil der Anspruchsberechtigten die Hilfe tatsächlich beantragt. Paus dagegen will die Hilfen ausweiten, gerade ärmere Familien sollen deutlich mehr Geld bekommen.

Wie kommt Familienministerin Paus auf die zwölf Milliarden Euro?

Das ist nicht ganz klar, weil Paus noch immer kein durchgerechnetes Konzept vorgelegt hat. Allerdings hat sie die Elemente skizziert, die besonders viel Geld kosten würden: Erstens soll das soziokulturelle Existenzminimum von Kindern neu berechnet werden. Paus rechnet mit einer höheren Untergrenze, dadurch würden ärmere Familien mehr Geld erhalten. Zweitens soll es sich für Eltern und Jugendliche mehr lohnen zu arbeiten. Ein höheres Einkommen hätten dann weniger Abzüge bei den Sozialleistungen zur Folge als bisher, der Staat würde weiterhin mehr Geld überweisen. Drittens soll die Hilfe digitalisiert und automatisiert ausgezahlt werden, also nicht mehr auf Antrag, sondern selbständig von der Behörde. Damit sollen auch diejenigen die Leistung erhalten, die bisher darauf verzichten. Paus schätzt sie auf zwei Drittel der Berechtigten. Allein dieser Posten, sagte Paus Ende April, summiere sich schätzungsweise auf bis zu fünf Milliarden Euro extra. Viertens kostet die Digitalisierung der Ämter und des Verfahrens Geld.

Wie könnte man die Reform finanzieren?

Diese Frage ist besonders schwierig, weil mit der Rückkehr zur Schuldenbremse ohnehin schon an vielen Stellen gespart werden muss. Ein Teil der Kosten könnte nach Vorstellung des Familienministeriums und der SPD-Fraktion durch das Abschmelzen des steuerlichen Kinderfreibetrags kommen. Dadurch sparen reiche Eltern bis zu 100 Euro monatlich mehr als Eltern mit geringeren Einkommen an Kindergeld bekommen. Lindner lehnt das aber als faktische Steuererhöhung ab.

Was sagen Grüne und SPD zu Lindners Plänen?

Die Grünen machten am Montag klar, dass zwei Milliarden Euro keinesfalls reichen werden. "Es ist relativ klar, dass wir mit zwei Milliarden Euro die Kinderarmut nicht eindämmen können", sagte Parteichef Omid Nouripour. Am Ende müsse sich die Koalition zur Finanzierung der Kindergrundsicherung auf eine höhere Zahl einigen. Er sei froh, dass auch der Finanzminister die im Haushalt aufgeführte Zahl lediglich als Merkposten bezeichnet habe. Die SPD hielt sich am Montag zurück, unterstützt das Vorhaben aber, insbesondere Parteichefin Saskia Esken hat mehr Geld für die Kindergrundsicherung gefordert, auch die SPD-Bundestagsfraktion verlangt eine umfassende Reform. Bei der Summe, was es kosten darf, legen sich die Sozialdemokraten allerdings nicht fest. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) unterstützt das Vorhaben grundsätzlich, gibt sich beim Haushalt aber ebenfalls bedeckt. Intern soll er auf eine Verringerung der Kosten für die Reform gedrungen haben.

Wie geht es nun weiter?

Kanzler Scholz hat das Thema an sich gezogen und arbeitet nach eigenen Angaben an einer Einigung. In einem Brief an die Bundesfamilienministerin, aus dem die ARD zitiert, stellte Scholz am Montag eine Einigung der Regierung über das Gesamtkonzept bis Ende August in Aussicht. Zugleich schrieb er von einer "beabsichtigten Leistungsverbesserung" bei der Kindergrundsicherung, was zu bedeuten scheint, dass er Paus und ihrer Position entgegenkommt. Die Familienministerin reagierte denn auch am Montagabend in einer Erklärung entsprechend: Sie sei "Bundeskanzler Scholz dankbar, dass er mit seiner Entscheidung Klarheit bei der Kindergrundsicherung geschaffen hat". Die Kindergrundsicherung werde "als wichtige gemeinsame sozialpolitische Reform der Bundesregierung kommen". Auch der Kanzler habe "deutlich gemacht, dass es sich um eine wirksame Leistung handeln muss", sagte Paus. Was das nun für die künftige Finanzierung des Vorhabens genau bedeutet, bleibt aber damit weiterhin noch offen.

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