Krieg in Nahost:Was über den Deal zwischen Israel und der Hamas bekannt ist

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Porträts von Hamas-Geiseln an einer Wand in Tel Aviv. (Foto: Ahmad Gharabli /AFP)

Wann werden die ersten Geiseln freigelassen? Wer sind sie - und welche Häftlinge wird Israel gehen lassen? Was bedeutet das Abkommen für den Krieg? Antworten auf die wichtigsten Fragen. 

Von Julia Bergmann und Katja Guttmann

Israel und die islamistische Hamas haben im Gaza-Krieg einem Abkommen über eine mehrtägige Feuerpause zugestimmt. Im Gegenzug soll der Austausch von israelischen Geiseln gegen palästinensische Häftlinge ermöglicht werden.

Was ist bisher bekannt?

Die israelische Regierung von Premier Benjamin Netanjahu billigte am frühen Mittwochmorgen eine Vereinbarung mit der islamistischen Hamas, wie ein Regierungssprecher bestätigte: Etwa 50 Geiseln, die in den Gazastreifen verschleppt wurden, sollen freigelassen werden - vor allem Frauen und Kinder. Im Gegenzug werden 150 palästinensische Gefangene aus israelischen Gefängnissen entlassen. Die Regierung hat dafür eine Liste von 300 Insassen erstellt, die infrage kommen. Außerdem sieht der Deal mit der Hamas eine viertägige Feuerpause vor, die auch für humanitäre Hilfe im Gazastreifen genutzt werden soll.

Wer hat vermittelt?

Der Entwurf des Abkommens war in wochenlangen Gesprächen in der katarischen Hauptstadt Doha zwischen Israel, den USA und der Hamas ausgearbeitet worden. Eine Schlüsselrolle bei der Vermittlung spielte Katars Regierungschef Mohammed bin Abdulrahman al-Thani, der langjährige Beziehungen zur Terrororganisation Hamas hat. Das Emirat beherbergt hochrangige Hamas-Führer wie Ismail Hanija, der dort auch in den Medien präsent ist.

Wann werden die ersten Geiseln freigelassen?

Die ersten 50 Geiseln sollen innerhalb der von Israel und der Hamas vereinbarten viertägigen Feuerpause freigelassen werden - jeden Tag mindestens zehn. Israel rechnet damit, am Donnerstag die ersten freigelassenen Geiseln empfangen zu können, sagte Außenminister Eli Cohen im Armee-Radio. Ein Hamas-Sprecher gab bekannt, dass der Waffenstillstand am Donnerstag um 10 Uhr (Ortszeit) beginnen soll, Israel bestätigte das bisher nicht.

Bei den ersten 50 Geiseln handelt es sich Medienberichten zufolge um 30 Minderjährige, acht Mütter sowie zwölf ältere Frauen. Israel soll im Gegenzug 150 palästinensische Gefangene freilassen.

Die Freilassung soll laut der Zeitung Times of Israel in zwei Phasen ablaufen. In der zweiten Phase wird Israel schließlich "bis zu" 150 weitere palästinensische Gefangene entlassen, wenn die Hamas "bis zu" 50 weitere Menschen freilässt, die aus Israel verschleppt wurden. "Die Freilassung jeweils weiterer zehn Geiseln hat einen weiteren Tag Feuerpause zur Folge", heißt es in der Erklärung der israelischen Regierung. Der gesamte Austausch und die Kampfpause sollen aber auf maximal zehn Tage ab Ende der ersten Phase begrenzt sein.

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Die Terrororganisation will mehr palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen freipressen, Israels Ministerpräsident Netanjahu besteht auf die Freilassung von zehn Geiseln am Tag. US-Präsident Biden kündigt an, sich für eine Verlängerung des Abkommens einzusetzen.

Die israelische Regierung hat am Mittwochmorgen Teile des Abkommens und eine Liste mit 300 Namen von Gefangenen veröffentlicht, die für die Freilassung infrage kommen. Danach trat eine 24-stündige Frist in Kraft, während derer die israelische Öffentlichkeit beim Obersten Gericht Berufung gegen das Abkommen oder die Freilassung bestimmter Gefangener einlegen kann. Dass das Gericht das Abkommen tatsächlich kippt, wird nicht erwartet.

Welche Gefangenen will Israel freilassen?

123 der 300 Palästinenser, die für eine Entlassung infrage kommen, sind der israelischen Regierung zufolge Jugendliche unter 18 Jahren. Die Jüngsten sollen 14 Jahre alt sein. 33 der Häftlinge sind Mädchen und Frauen. Die meisten von ihnen sollen wegen Brandstiftung oder Messerattacken im Westjordanland oder in Ost-Jerusalem festgenommen worden sein. Geplant ist, dass die freigelassenen Häftlinge in die Orte zurückkehren, in denen sie zuvor gelebt haben. Israelischen Medienberichten zufolge sollen keine Gefangenen freikommen, die wegen Mordes in Haft sitzen.

Was bedeutet die Vereinbarung für den Krieg?

Bisher sieht es so aus, als würden die Angriffe auf den Gazastreifen nach Ende der Feuerpause von israelischer Seite weitergehen. Die Pläne der israelischen Regierung haben sich nicht geändert. "Wir befinden uns im Krieg und wir werden ihn fortsetzen, bis wir alle unsere Ziele erreicht haben", sagte Netanjahu. Dazu gehöre vor allem die Eliminierung der Hamas, die Rückkehr aller Geiseln und Vermissten sowie die Garantie, dass von Gaza aus keine Bedrohung mehr für Israel ausgehe. Auch während der Feuerpause werde man weiter geheimdienstliche Erkenntnisse sammeln, damit sich die Streitkräfte auf die nächsten Kriegsphasen vorbereiten könnten, erklärte Netanjahu.

Die Hamas sprach ebenfalls davon, die Hände "weiter am Abzug" zu haben. Vor der geplanten Feuerpause gab es am Mittwochmorgen im Grenzgebiet zu Israel erneut Raketenalarm, wie das israelische Militär auf Telegram mitteilte.

Welche Details sind noch unklar?

Fraglich ist, ob die Hamas von der Feuerpause profitiert. Derlei Bedenken gibt es in Israel. Wie die Hamas mitteilt, sollen israelische Flugbewegungen während der Feuerpause im Süden des Küstenstreifens komplett eingestellt werden und im Norden täglich für sechs Stunden. Die Terrororganisation könnte die Zeit nutzen, um sich neu aufzustellen und somit gestärkt aus der Kampfpause hervorgehen, so die Befürchtung.

Israel hat bereits angekündigt, die Kriegshandlungen nach Ablauf der Kampfpause wieder aufzunehmen. Unklar ist allerdings, was das für die dann immer noch im Gazastreifen verbleibenden Geiseln bedeutet. Ihre Angehörigen fürchten, dass das Leben der Zurückgebliebenen in immer größere Gefahr gerät, wenn der militärische Erfolg gegen die Hamas wieder im Vordergrund steht. "Wer jetzt ein Teilabkommen abschließt, der ermordet meinen Sohn", sagte die Mutter einer Geisel der Nachrichtenseite Ynet. "Er wird kein Tageslicht mehr sehen, es wird keine zweite Chance geben", fürchtet sie.

Wie reagiert die Politik auf das Abkommen?

Israels Staatspräsident Isaac Herzog befürwortet die Vereinbarung trotz Kritik der extremen Rechten. Das Abkommen zur Freilassung voranzutreiben, sei "eine moralische und ethische Pflicht". Herzog brachte die Hoffnung zum Ausdruck, dass die nun getroffene Vereinbarung ein "erster Schritt zur Heimkehr aller Geiseln sein wird".

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock schreibt auf der Plattform X: "Die angekündigte Freilassung einer ersten größeren Gruppe von Geiseln ist ein Durchbruch - auch wenn nichts auf der Welt ihr Leid ungeschehen machen kann. Die humanitäre Pause muss genutzt werden, um lebensnotwendige Hilfe zu den Menschen in Gaza zu bringen."

US-Präsident Joe Biden erklärt: "Ich bin außerordentlich froh, dass einige der mutigen Menschen, die in den vergangenen Wochen unsagbares Leid ertragen mussten, nun zu ihren Familien zurückkehren können, wenn die Vereinbarung voll umgesetzt ist." Das Abkommen werde auch die Heimkehr weiterer amerikanischer Geiseln ermöglichen.

Katars Ministerpräsident und Außenminister Mohammed bin Abdulrahman al-Thani schreibt auf X: "Wir hoffen, dass diese Feuerpause eine umfassende und nachhaltige Vereinbarung schaffen wird, die die Kriegsmaschine und das Blutvergießen stoppt."

Der Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde, Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, begrüßte die humanitäre Vereinbarung und rief zu umfassenderen Lösungen für den andauernden israelisch-palästinensischen Konflikt auf.

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