Globaler Finanzpakt:Wo bleiben die Milliarden für die Ärmsten der Welt?

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Mehr als 1000 Menschen starben beim extrem starken Zyklon "Freddy" Anfang des Jahres in Malawi. (Foto: AMOS GUMULIRA/AFP)

Viele arme Länder stecken in der Schuldenfalle, die Klimakrise verschärft sich. Ein Gipfel in Paris mit Kanzler Scholz soll wenigstens die Finanzprobleme lösen. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Thomas Hummel

"Die Ungerechtigkeiten in der heutigen Welt sind unhaltbar", rief Emmanuel Macron bei der Weltklimakonferenz 2022 in Ägypten ins Plenum. An diesem Donnerstag und Freitag lädt der französische Präsident zum "Gipfel für einen neuen globalen Finanzpakt" nach Paris, Regierungsvertreter aus mehr als 100 Staaten folgen dem Ruf. Darunter Bundeskanzler Olaf Scholz. Entscheidungen werden hier nicht getroffen, dennoch könnten von Paris Signale ausgehen, die den Weg vorzeichnen für spätere Treffen der Vereinten Nationen oder der führenden Industriestaaten G 20.

Wen treffen die gegenwärtigen Krisen besonders hart?

30 Jahre lang waren Armut und Hunger auf dem Rückzug. Nun geht es in die andere Richtung. Seit 2019 stieg die Zahl der Hungernden um 150 Millionen auf insgesamt 828 Millionen an. Die Corona-Pandemie führte gerade in Entwicklungsländern zu hohen Einnahmeausfällen, der russische Krieg in der Ukraine dann zu steigenden Preisen für Energie oder Lebensmittel. Laut Internationalem Währungsfonds (IWF) sind 42 der ärmsten Länder, viele davon in Afrika, überschuldet, wobei hier die Probleme mittelreicher Staaten wie Tunesien, Sri Lanka oder Argentinien gar nicht erfasst sind. Nun stiegen die Zinsen für den Schuldendienst, Länder wie Ghana, Sambia, Malawi und viele andere wandeln dem Staatsbankrott entgegen.

Wie wirkt sich die Klimakrise aus?

Die Erderwärmung verursacht in Afrika, Südasien oder in der Karibik immer größere Probleme und Kosten. In der Gerechtigkeitsdebatte wirkt das Thema wie ein Katalysator, denn der sogenannte globale Süden hat kaum Treibhausgase ausgestoßen, erlebt aber mit die schlimmsten Katastrophen. "Dürren, Hochwasser, Stürme, Hitzewellen, ausgelaugte Böden - es wird alarmierend schlechter", sagt Álvaro Lario, Präsident des UN-Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung ( IFAD), der Kleinbauern in armen Ländern hilft, der SZ. Der Druck auf den reichen Norden, aber auch auf Aufsteiger wie China oder die arabischen Staaten, einen finanziellen Ausgleich zu überweisen, wird immer größer. Etwa wenn Pakistan wie 2022 von einer nie gesehenen Flutwelle überspült wird und Schäden in Höhe von circa 40 Milliarden Dollar beklagt. Zudem könnte es künftig bei der Rückzahlung von Krediten für einen solchen Katastrophenfall eine Stundungsklausel geben.

Was bremst reiche Staaten?

Ein Blick nach Berlin zeigt: Auch in den Industriestaaten wird das Geld knapper. Finanzminister Christian Lindner will seine Ampelkoalition zum Sparen zwingen. Nach Informationen des Dachverbands deutscher Entwicklungsorganisationen Venro sollen auch die Etats für Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe um etwa 30 Prozent gekürzt werden. Das UN-Welternährungsprogramm warnte zuletzt, man wisse nicht, woher künftig die nötigen Mittel kommen sollen. Denn Deutschland ist kein Einzelfall.

Kommt ein neuer Finanzpakt?

Statt auf die Gaben der Reichen angewiesen zu sein, fordern viele Staaten eine Reform des internationalen Finanzsystems. An ihrer Spitze die Premierministerin des Karibikstaates Barbados, Mia Mottley, die in Paris als Co-Gastgeberin auftritt. Mottley kritisiert, dass ärmere Länder viel höhere Zinsen zahlen müssen als reichere. Das zementiere die Ungleichheit. Im Fokus stehen der IWF, die Weltbank und andere Entwicklungsbanken, die anteilig je nach Wirtschaftsstärke den Staaten gehören.

Gerade die Weltbank soll viel mehr Geld mobilisieren, höhere Risiken eingehen und dazu ihren Auftrag ändern. Bislang bekämpft sie extreme Armut und regt Wachstum an. Das führt bis heute auch zu Investitionen in Öl-, Gas- oder Kohleprojekte. Jetzt soll der Schutz von "globalen öffentlichen Gütern" hinzukommen, was den Kampf um ein stabiles Klima, gegen das Artensterben, für gesunde Luft oder Trinkwasser einschließen würde.

"Wir können uns nicht abwenden, wir müssen uns den Problemen stellen", sagt Geschäftsführer Axel van Trotsenburg der SZ. Er verweist darauf, dass die Weltbank ihre Geldzusagen bereits erhöht habe, von durchschnittlich 42 Milliarden US-Dollar jährlich auf zuletzt 70 Milliarden. "Aber der Bedarf ist wesentlich höher, die Probleme sind groß", berichtet van Trotsenburg. Kritiker monieren, dass die bisherigen Reformvorschläge der Bank bei Weitem nicht ausreichten.

Was könnte der IWF tun?

Auch der Umbau hin zu klimaneutralem Wirtschaften oder zum Schutz der Artenvielfalt kostet. Experten rechnen mit einer Billion US-Dollar jährlich allein für Entwicklungs- und Schwellenländer. Mottley blickt dafür auf die sogenannten Sonderziehungsrechte des IWF, eine Art stille Währungsreserve. Während der Corona-Pandemie mobilisierte der IWF damit 650 Milliarden US-Dollar, eine nie dagewesene Finanzspritze.

Allerdings erhielten Länder unterschiedlich hohe Summen, entsprechend ihrem Kapitalanteil am IWF. Heißt: Für die reichen Staaten gab es viel, für die armen wenig. Für Deutschland etwa 30 Milliarden US-Dollar, für die 31 ärmsten Länder zusammen nur 20,8 Milliarden.

Dabei nutzten die reichen Länder die IWF-Option oftmals gar nicht. Mottley fordert deshalb, diese Sonderziehungsrechte ärmeren Staaten zu übertragen. Im April 2021 versprachen die Länder der G 20 auf diesem Wege eine Umverteilung von 100 Milliarden Dollar, doch auch das wurde bislang nicht eingelöst. Ein Bremser: Deutschland. Das Finanzministerium verweist darauf, dass die Bundesbank die Sonderziehungsrechte verwaltet, die unabhängig agiere. Und die sieht sich aufgrund ihres gesetzlichen Auftrags nicht in der Lage, die Rechte anderen Ländern zu übertragen.

Würde eine Steuer auf Schiffsverkehr helfen?

Auf dem Gipfeltisch in Paris liegt der Vorschlag einer weltweiten CO₂-Steuer auf Schiffsverkehr. Es wäre eine Geldquelle, die laut deren Befürwortern gleich mehrere Vorteile hätte. Erstens stoßen die oft mit Schweröl betriebenen Frachter fast drei Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen aus, die Steuer könnte einen Wandel hin zu klimaneutralen Kraftstoffen anstoßen. Zweitens machten die Unternehmen zuletzt hohe Gewinne, eine Steuer könnte zwischen 60 und 100 Milliarden Dollar pro Jahr einbringen, die direkt den ärmeren Ländern zugutekommen könnte. Einführen kann eine solche Abgabe nur die Internationale Seeschifffahrtsbehörde der UN (IMO), sie tagt Anfang Juli. Bedenken haben Länder angemeldet, die viele Güter per Schiff exportieren, etwa Argentinien oder Brasilien.

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Kommt ein Schuldenerlass?

Ähnlich wie Mitte der 1990er-Jahre ist ein Schuldenerlass für die Ärmsten im Gespräch. Doch während damals die westlichen Industriestaaten quasi im Alleingang einen solchen Schritt beschließen konnten, ist heute China der größte Kreditgeber vieler Entwicklungsländer. Ob Peking hier mitmacht, ist unklar.

Welche Rolle spielt Deutschland?

Hilfsorganisationen loben die Bundesregierung für ihr relativ großes Engagement für Länder des Südens. Der Bruch mit Russland führt zudem dazu, dass Deutschland Partner in Afrika braucht für die Energieerzeugung der Zukunft. Deshalb schloss die Ampel Abkommen etwa mit Kenia, Südafrika, Ägypten oder Namibia. Die Bundesregierung drängt die Weltbank nun zu wirkungsvollen Reformen, und in Paris wird von Kanzler Scholz erwartet, eine Initiative zum Schuldenerlass zu unterstützen.

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