EU-Gipfel:Warnungen an Moskau

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Der neue Bundeskanzler erlebt in Brüssel gleich einen langen Gipfel. Die Themen sind brisant: Ukraine, Corona, Energiepreise, Migration. Olaf Scholz zeigt sich zufrieden, auch die gute Kooperation mit Frankreich scheint gesichert zu sein.

Von Björn Finke und Matthias Kolb, Brüssel

Für Olaf Scholz ist diese Choreografie nur folgerichtig. "Wir haben zusammen angefangen mit einem Gespräch, das wir mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskij geführt haben, und das ist auch ein guter Grund, gemeinsam aufzuhören", sagt der Bundeskanzler und blickt nach rechts, wo Emmanuel Macron sitzt. Es ist kurz nach Mitternacht, der erste EU-Gipfel von Olaf Scholz hat 14 Stunden gedauert, und mit ihrem Auftritt wollen die Männer vor allem ein Zeichen in Richtung Moskau schicken. Zudem soll der Auftritt zeigen: Auch die neue Bundesregierung will eng mit Frankreich kooperieren und Macron bei seiner Ratspräsidentschaft unterstützen, die im Januar beginnt.

Zuvor haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union Russland in einer Erklärung vor einem Angriff auf die Ukraine gewarnt und zum Dialog aufgefordert. Es folgt die bekannte Formel: Jede weitere militärische Aggression werde "massive Konsequenzen und hohe Kosten" zur Folge haben. Die genannten Strafmaßnahmen werden nicht näher beschrieben: Erwogen werden Sanktionen gegen Staatsunternehmen und Oligarchen aus dem Umfeld von Präsident Wladimir Putin; zudem könnte Russland aus dem internationalen Zahlungsverkehrssystem Swift ausgeschlossen werden.

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Viele andere Themen, die Paris wichtig sind, wurden ebenfalls beim Gipfel behandelt: Die Beziehungen zur Afrikanischen Union sollen gestärkt, Fortschritte in der Migrationspolitik erzielt werden. Als Reaktion auf die "hybriden Attacken" und die Instrumentalisierung von Migranten durch Belarus will die EU Drittstaaten wie etwa den Irak dazu bringen, Rückführungen ihrer Bürger zuzustimmen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell wird beauftragt, alle verfügbaren Instrumente der EU "als Druckmittel" einzusetzen - darunter Entwicklungshilfe, Handelspolitik und die Visavergabe.

Breiten Raum nahm die Diskussion über die Corona-Pandemie ein. Italiens Entscheidung, wegen der Omikron-Variante von geimpften Einreisenden aus EU-Staaten einen negativen Test zu verlangen, hat viele verärgert - vor allem, weil Rom die Partner nicht vorgewarnt hatte. Wer das digitale Impfzertifikat der EU auf dem Handy hat, konnte bisher sicher sein, in der Union problemlos reisen zu können. Beschränkungen, wie sie auch Irland, Griechenland und zuletzt Österreich eingeführt haben, könnten nun zu einem Flickenteppich nationaler Regelungen führen.

Mehr als 180 Millionen Impfstoff-Dosen sind zusätzlich bestellt

In der Pressekonferenz stimmt Scholz der Position Macrons zu einer PCR-Testpflicht zu: "Wir haben nicht vor, in der Europäischen Union diese Tests einzuführen, weil wir viel Wert auf das reibungslose Funktionieren unseres gemeinsamen Raums legen." In der Sitzung hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Folien und Statistiken erläutert, wie wichtig schnelle Impfkampagnen sind. Auch bei den Booster-Impfungen, die Schutz vor Omikron bieten, gibt es EU-weit gewaltige Differenzen: So haben in Ungarn, Österreich und Malta mehr als ein Viertel der Bürger schon ihren dritten Piks erhalten, in Polen nahezu niemand.

Nach dem Gipfel berichtet von der Leyen, dass die EU-Staaten mehr als 180 Millionen Impfstoff-Dosen zusätzlich bei Biontech und Pfizer bestellt hätten - und zwar Impfstoff, der an Omikron angepasst ist. Zudem verspricht sie, ein Gesetz vorzulegen, das die Regeln für die digitalen EU-Impfpässe ändert. Eine Booster-Impfung soll innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss der Erstimpfung vorgenommen werden - und ohne Nachweis der Auffrischung werden die digitalen Bescheinigungen nach neun Monaten ihre Gültigkeit verlieren.

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Am brisantesten war jedoch die Diskussion über die hohen Energiepreise. Ratspräsident Charles Michel kann nach dem Treffen nur verkünden, dass das Thema im März wieder aufgenommen wird. Die Fronten sind verhärtet: So fordern Staaten wie Spanien und Frankreich, das Design der EU-Energiemärkte zu ändern. Andere Regierungen - wie die deutsche - sind überzeugt, dass die Märkte gut funktionieren und die hohen Preise schlicht ein normales Ergebnis von Angebot und Nachfrage seien. Polen nutzte die Debatte zudem für einen Angriff auf das EU-Emissionshandelssystem und wiederholte, dass die hohen Preise auch das Werk von Spekulanten seien. Dafür haben die EU-Börsenaufsicht Esma und die Energiebehörde Acer aber keine Belege gefunden.

Der Streit über das grüne Label für Kernkraft ist erstmal vertagt

Der zweite Streitpunkt in der Energiepolitik ist die sogenannte Taxonomie. In diesem Klassifizierungssystem legt die Kommission fest, welche wirtschaftlichen Aktivitäten klima- und umweltfreundlich sind - und sie muss bald entscheiden, wie Atom- und Gasmeiler einzustufen sind. Dem Vernehmen nach wollte unter anderem der scheidende tschechische Premier Andrej Babiš in den Gipfel-Schlussfolgerungen festschreiben, dass die Kommission den sogenannten delegierten Rechtsakt wirklich kommende Woche präsentiert - und Kernkraft das begehrte grüne Label verleiht. Atomkraftgegner wie Österreich und Luxemburg blockierten dies, sodass keine Schlussfolgerungen zur Energie verabschiedet wurden.

Obwohl das atomfreundliche Frankreich und Ausstiegsland Deutschland in diesem Disput auf verschiedenen Seiten stehen, bemühen sich Scholz und Macron, den Streit zu entschärfen. "Die Frage wird völlig überbewertet", sagt Scholz über die Taxonomie in der Pressekonferenz, diese sei nur wichtig für die Anleger. Auch Macron versichert, dass Berlin und Paris "schnellstmöglich" eine Lösung finden wollten. Auf die Frage, wie er den ersten EU-Gipfel als Bundeskanzler erlebt habe, sagt Scholz, dass ihn die gerade abgeschlossenen Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP gut vorbereitet hätten: "Die sind auch sehr lang gewesen." Er spricht von einer guten Erfahrung und sagt: "Ich habe mich wohlgefühlt."

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