Europa:Dominoeffekt nach dem Impfstopp

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Immunisierungen mit dem Impfstoff von Astra Zeneca sind auf Rat des Paul Ehrlich Instituts in Deutschland einstweilen ausgesetzt. (Foto: Christoph Hardt /Imago)

Deutschlands Entscheidung, Impfungen mit Astra Zeneca auszusetzen, bringt andere Länder unter Zugzwang. Italien und Frankreich etwa pausieren nun ebenfalls - und kritisieren die deutsche Dominanz.

Von Barbara Galaktionow, Cathrin Kahlweit, Oliver Meiler, Nadia Pantel und Kai Strittmatter, Rom

Der Beschluss Deutschlands, Immunisierungen mit dem Impfstoff von Astra Zeneca auszusetzen, hat vor allem in Frankreich und Italien eine Polemik ausgelöst: Hat Berlin mit diesem Vorpreschen Paris und Rom einfach überrumpelt? Übt es am Ende politischen Zugzwang aus? Die Regierungen beider Länder sind dem Beispiel gefolgt, müssen sich nun deshalb erklären - und sind ziemlich genervt. Bei einem so sensiblen Thema hätten sich die Nachbarn ein konzertiertes, zeitlich abgestimmtes Vorgehen gewünscht, auch bei der Kommunikation.

Italiens Premier Mario Draghi diskutierte die Panne am Dienstagabend mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron am Telefon. Danach ließ Draghi ein Kommuniqué herumschicken, damit die Unzufriedenheit auch ja zu aller Ohren kam. Das ist sonst nicht seine Art. Sobald die europäische Arzneimittelbehörde EMA die Bedenken ausräume, werde man wieder mit Astra Zeneca impfen, hieß es.

In Italien hatte es zuletzt einige fragwürdige Todesfälle gegeben, allerdings konnte bei den Obduktionen kein kausaler Zusammenhang mit dem Impfstoff gefunden werden. Dennoch hatten schon vor der Suspendierung offenbar Tausende Italienerinnen und Italiener, die für den Impfstoff von Astra Zeneca vorgesehen waren, ihren Termin abgesagt. Nun herrscht die Sorge vor, dass die Suspendierung nachhaltig der Impfbereitschaft schaden könnte - gerade weil Deutschland es war, das davor warnte.

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Italiens Gesundheitsminister Roberto Speranza erklärte den zeitlichen Hergang der Entscheidung in der Zeitung Corriere della Sera so: "Wenn in einem Land wie Deutschland, das der EU mit Kraft und Prestige vorausgeht, etwas Neues auftaucht, ist es richtig, dass alle sich vorsorglich und vorsichtig verhalten." Was er damit sagen wollte: Ohne Deutschland hätte man eher mit dem Stoff weitergeimpft.

Stimmungsmache gegen Deutschland

In Frankreich schlachtet die Opposition die Impfpause von Astra Zeneca aus. Besonders gehässig waren die Kommentare vom äußersten rechten Rand. "Deutschland entscheidet, Frankreich gehorcht", schrieb Florian Philippot, Ex-Vizechef des Rassemblement National auf Twitter. Aber auch die konservative Senatorin Valérie Boyer von den Republikanern beschwerte sich: "Schon wieder entscheidet Deutschland alleine."

Die Staatsspitze tritt diesem Eindruck nur halbherzig entgegen. Französische Medien berichten übereinstimmend aus Regierungskreisen, man sei dort vom deutschen Impfstopp "überrumpelt" worden. Staatspräsident Macron erfuhr beim französisch-spanischen Gipfeltreffen in Montauban von der Ankündigung Jens Spahns und sah sich gezwungen, spontan nachzuziehen. Die Zeitung Politico zitiert einen Berater Macrons, zwar sei "nicht mit einem pawlowschen Reflex reagiert" worden, Berlin habe jedoch die "französische Entscheidung psychologisch beeinflusst". Sprich: Keiner will in den Verdacht geraten, leichtfertig die Bürger zu gefährden.

Für Frankreichs Pandemiemanagement ist der kurzfristige Wegfall des Impfstoffs besonders bitter. Gerade in der Region um Paris steigen die Infektionszahlen rasant, die Krankenhäuser sind überlastet, der Inzidenzwert liegt bei 400 pro 100 000 Einwohner. Die Regierung setzte zuletzt auf eine optimistische Kommunikation, die vermitteln sollte, man könne durch schnelleres Impfen einen erneuten Lockdown vermeiden. Diese Hoffnung schwindet nun.

Premierminister Jean Castex wird von der satirischen Wochenzeitung Canard Enchainé zitiert: Der Impfstopp habe "der Verwirrung noch Verwirrung hinzugefügt". In einem Interview am Dienstagabend sagte Castex, er werde sich umgehend mit Astra Zeneca impfen lassen, sobald dies wieder möglich sei. Frankreichs Gesundheitsminister Olivier Véran erinnerte daran, dass er bereits damit geimpft sei und dass "keine Gefahr für die Geimpften" bestehe.

Auch Spanien und Portugal haben die Impfungen mit Astra Zeneca ausgesetzt. In Spanien werden drei verdächtige Fälle untersucht, einer endete tödlich. Getroffen hat es eine 43-jährige Lehrerin ohne Vorerkrankungen aus Marbella.

Österreich, Finnland und Estland scheren aus

70 Prozent aller Spanier sollen bis Ende des Sommers gegen das Coronavirus geimpft werden. Allerdings herrschen im Land Zweifel daran, ob sich dieser Plan halten lässt. Schon vor der Aussetzung von Astra Zeneca beklagten einige Regionen einen schleppenden Nachschub an Impfdosen. Ein Drittel der rund 930 000 in der vergangenen Woche herausgegebenen Dosen stammten von Astra Zeneca, berichtet die Zeitung El País. Wegen des Stopps für das Vakzin wurden in einigen Regionen Impftermine von Menschen unter 55 Jahren, die in besonders gefährdeten Berufen arbeiten, vorerst abgesagt.

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Die nordischen und die baltischen Länder haben mittlerweile ebenfalls fast alle die Nutzung von Astra Zeneca ausgesetzt. Am Dienstag verkündete auch Schweden, "als Vorsichtsmaßnahme" pausieren zu wollen. Die Regierung will abwarten, was die Untersuchungen der EMA ergeben. Astra Zeneca hat seinen Hauptsitz in Großbritannien, ist jedoch zum Teil ein schwedisches Unternehmen. Dänemark und Norwegen hatten den Einsatz schon vergangene Woche unterbrochen, beide Länder meldeten Fälle von Thrombosen nach der Impfung mit Astra Zeneca.

Estland und Finnland scheren dagegen aus: Beide Länder sehen derzeit keinen Grund, das Vakzin nicht zu verimpfen. In Finnland seien bislang keine schweren Reaktionen auf Astra Zeneca registriert worden, sagte am Dienstag Hanna Nohynek von der finnischen Gesundheitsbehörde. "Im Gegenteil: Es sieht so aus, als hätten wir bislang weniger solcher Zwischenfälle als erwartet."

Auch Österreich impft vorerst weiter mit Astra Zeneca, das hat das nationale Impfgremium am Montagabend beschlossen. Gesundheitsminister Rudi Anschober sagte, bis auf Weiteres gebe es keinen Beweis für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Impfstoff und den jüngsten Vorkommnissen, "die auch bei ungeimpften Personen auftreten" könnten.

Man wolle, so Anschober, vor weiteren Entscheidungen die nächsten Einlassungen der EMA abwarten. Bundeskanzler Sebastian Kurz hatte am Montag eine Reihe von Amtskollegen vor allem aus dem Osten der EU empfangen, die gemeinsam mit ihm die undurchsichtige Impfstoffzuteilung in der EU kritisierten. Hintergrund ist unter anderem, dass Österreich auf die Bestellung zusätzlicher Impfdosen von Pfizer/Biontech auf dem Sekundärmarkt verzichtet und beim Einkauf vor allem die Kontingente für Astra Zeneca und Moderna ausgeschöpft hatte.

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