Essen und Trinken:"Biervielfalt ist in"

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Binderbräu-Chef Andreas Binder (links) und Braumeister Michael Pichler am kupfernen Sudkessel. (Foto: Manfred Neubauer)

Der Gesamtabsatz deutscher Brauereien sinkt seit Jahrzehnten. Gegen den Trend behaupten sich die klein- und mittelständischen Betriebe in der Region - und zeigen sogar, wie Wachstum geht.

Von Astrid Becker und Benjamin Engel, Bad Tölz-Wolfratshausen/Waakirchen

Am Reutberg wird das nahende Josefifest Mitte März den Bierabsatz zumindest kurzfristig sprunghaft nach oben treiben. Alljährlich zieht es viele Freunde des Gerstensafts ins Festzelt, um den direkt vom Fass ausgeschenkten Bock zu probieren oder - falls es sich um Genossen der Klosterbrauerei handelt - die zwei Mass Bier als Dividende bei der Generalversammlung einzulösen.

Langfristig sinkt allerdings der Bierabsatz im Freistaat wie deutschlandweit seit Jahrzehnten stetig. Der kurze Aufschwung nach der Hochphase der Pandemie war im Jahr 2023 wieder passé - mit 2,5 beziehungsweise 4,5 Prozent weniger Absatzmenge als im Vorjahr. Gegen den Trend halten die heimischen Brauer meist noch recht erfolgreich dagegen -etwa in und um die Landkreise Bad Tölz-Wolfratshausen und Starnberg. Gleichzeitig sind die Betriebe gefordert, sich im Markt zu positionieren, um bestehen zu bleiben.

Am Reutberg hat die lange Biertradition mit den Nonnen im 17. Jahrhundert begonnen. Seit 1924 produziert eine Genossenschaft die Klosterbiere, die womöglich wegen dieser Organisationsstruktur regional besonders stark verwurzelt ist. Das eigene Bier zu trinken und dafür zu werben, ist für die Mitglieder - ihre Anzahl ist auf 5200 Personen gedeckelt - selbstverständlich. Zwischen 2012 und 2022 ist der Absatz von 19 400 auf 22 300 Hektoliter Eigenbier und damit um knapp 15 Prozent gestiegen.

Stephan Höpfl ist Geschäftsführer der Klosterbrauerei Reutberg. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Bürokratie und hohe Betriebskosten

Für das Vorjahr 2023 rechnet Stephan Höpfl allerdings mit einem leichten Rückgang. "Die Zukunft ist ungewiss", sagt der Geschäftsführer der Reutberger Brauerei-Genossenschaft. Zunehmende Bürokratie und Auflagen erschwerten den Unternehmensalltag. In den vergangenen beiden Jahren seien die Betriebskosten - für Rohstoffe, Energie und Personal bis zum Treibstoff der Liefer-Lastwagen - enorm gestiegen. Auf einem begrenzten Markt sei es schwierig, das an die Kunden weiterzugeben. Mit um die 18 bis 19 Euro koste der Kasten Reutberger Helles im Vergleich zu größeren Produzenten schon relativ viel. Erstes Ziel sei es, den Ausstoß konstant zu halten, so Höpfl. Zu wachsen, bedeute in einem schrumpfenden Markt einen Verdrängungswettbewerb.

Bier wird laut dem Geschäftsführer der Reutberger Brauerei aber niemals ganz "out" sein. Der Betrieb mit dem großen Absatzmarkt bis in die Landeshauptstadt München sei regional verwurzelt. Die Reutberger Klosterbrauerei werde sich weiter auf ihr relativ breites Sortiment traditioneller Biere inklusive Saisonspezialitäten konzentrieren. "Das Wichtigste ist, dass die Qualität konstant ist", sagt Höpfl. Mit guten Serviceangeboten von der Lieferung bis zur Betreuung möchte die Brauerei insbesondere Gastronomie-Kunden an sich binden.

Auf dem Markt behauptet sich auch die Klosterbrauerei Andechs, die sich selbst auf ihrer Website damit rühmt, eine der wenigen echten Klosterbrauereien zu sein, die bis heute von einer lebendigen Ordensgemeinschaft konzernunabhängig geführt wird- und dies bereits seit mehr als 500 Jahren. Rund 100 000 Hektoliter Bier sollen mittlerweile dort im Jahr produziert werden. Damit wird Andechs zu den mittelgroßen Brauereien gezählt. Ihren Erfolg verdankt sie ihrer Brautradition, aber wohl auch der Berühmtheit des Klosters als einer der bedeutendsten Wallfahrtsorte Bayerns. Etwa eine Million Menschen pilgern pro Jahr auf den sogenannten Heiligen Berg, einerseits um zu beten, andererseits, um sich im Bräustüberl oder im Klostergasthof weltlichen Genüssen hinzugeben. Zudem werden die Biere der Klosterbrauerei längst nicht mehr nur vor Ort oder allenfalls in München getrunken: Andechs exportiert seine Erzeugnisse national, aber auch international. Wichtige Geschäftspartner sitzen den Angaben der Brauerei zufolge in Italien, Russland, USA, Frankreich, England und Skandinavien.

Export - in diesem Fall bisher vor allem national - nennt auch der Gründer des Starnberger Brauhauses im Feldafinger Ortsteil Wieling als maßgeblichen Wachstumsfaktor. Erst seit 2015 gibt es diese Brauerei, sie dürfte also eine der jüngsten der Region sein. Seither expandiert sie - wenngleich nicht im gewünschten Maß. Die Nachfrage würde stimmen: Das Starnberger Helle gilt in Berliner Szenebars zum Beispiel bei den Gästen als beliebtestes Helle. Das bescheinigte zumindest der Biermonitor des Unternehmens Kollex den Starnbergern im Sommer 2023. Im Brauhaus selbst spricht man von einem Umsatzplus von 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Und auch dies könnte noch gesteigert werden, so der Brauereigründer Florian Schuh - wenn man denn die Produktionskapazitäten ausweiten könnte. In diesem Punkt stößt das Starnberger Brauhaus an gewaltige Grenzen: In der Produktionsstätte in Wieling gibt es ein Problem mit dem Wasser. Ein geplanter Neubau im Starnberger Gewerbegebiet am Schorn scheitert bislang an den dafür nötigen Abwasserkapazitäten.

Vor zwei Jahrzehnten lag der Bierabsatz um 25 Prozent höher

Dabei ist der Bierabsatz deutschlandweit seit der Jahrtausendwende stark zurückgegangen. Mit 11,2 Milliarden Litern lag der Bierabsatz vor 20 Jahren laut Daten des Statistischen Bundesamts um 25 Prozent höher. Im Jahr 2023 ist die Absatzmenge auf 8,4 Milliarden Liter gesunken. Der Anteil des Freistaats lag im selben Jahr bei 2,33 Milliarden Hektolitern Bier. Laut dem bayerischen Brauerbund stehen 624 von 1507 deutschen Braustätten im Freistaat (Stand 2022). Zum Vergleich waren in Bayern vor drei Jahrzehnten noch 768 von bundesweit 1311 Braustätten ansässig. Seit der Wiedervereinigung hat es eine Gründungswelle von Gasthaus- und Kleinbrauereien von bis zu 5000 Hektolitern Jahresausstoß gegeben. Laut dem bayerischen Brauerbund sind im Freistaat mehr Brauereien stillgelegt als neu gegründet worden, vorwiegend im Mittelbau mit 5000 bis zu 200 000 Hektolitern Jahresausstoß.

Aus dem Segment der Kleinbrauereien ist das Hoppebräu im östlich an Reichersbeuern (Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen) angrenzenden Waakirchen (Landkreis Miesbach) innerhalb von nur sechs Jahren hinausgewachsen. Der Mittdreißiger Markus Hoppe hat seinen Betrieb samt dem Gasthaus Zapferei im Jahr 2018 eröffnet. Inzwischen produziert er 8000 Hektoliter - von Craftbier mit besonderen Hopfensorten, mit denen er bekannt geworden ist, bis zu Klassikern wie dem Hellem. Dafür bekam der zweifache Familienvater, der sich mit seiner Ehefrau Christine die Geschäftsführung teilt, erst kürzlich den Wirtschaftspreis des Landkreises Miesbach.

Wer authentisch bleibe, könne Kunden langfristig an sich binden, so Markus Hoppe

Das Erfolgsgeheimnis aus Hoppes Sicht: "Massenbier ist out. Biervielfalt ist absolut in." Er setze auf Qualität mit nachhaltigen Produktionsketten inklusive langen Lagerzeiten und kalter Gärung. Für Gäste organisiere er Führungen auf Nachfrage und neuerdings zusätzlich zu festen Terminen durch die Brauerei. So könne jeder erleben, wie die Biere hergestellt würden. "Wir machen die Türen auf", sagt Hoppe. Authentisch zu bleiben, sei entscheidend, um Gäste und Kunden an sich zu binden.

Genauso hat Hoppe auf die Marktentwicklung zu alkoholfreien Bieren reagiert und produziert eines unter dem Titel "Ruhige Kugel". Das Indian Pale Ale mit 8,1 Prozent Alkoholgehalt sei dafür aus dem ständigen Sortiment herausgefallen. Für Spezialbiere kooperiert Hoppe auch regelmäßig mit anderen Craftbierbrauern. "Wir wollen frischen Wind in die konservative Landschaft bringen", sagt er.

Womöglich erklärt das, warum Hoppebräu besonders bei jungen Erwachsenen zwischen 19 und 37 Jahren gefragt ist. Das ergeben jedenfalls Hoppes Daten aus dem Online-Shop. Im 75-Kilometer-Umkreis liegt sein Hauptabsatzgebiet. Er verkauft seine Biere indes auch in kleinen Chargen in die ganze Welt.

Braumeister Florian Sedlmaier ist für das Bier vom Mühlfeldbräu mitverantwortlich. (Foto: Manfred Neubauer)

Weniger als zehn Kilometer entfernt im Tölzer Mühlfeldbräu war Hoppe vor fast zehn Jahren Braumeister, ehe er sich auf seinen eigenen Betrieb konzentrierte. Die Gasthausbrauerei in der Kreisstadt existiert seit 2008. An die 1000 Hektoliter im Jahr werden dort hergestellt. "Wir setzen darauf, die Qualität zu halten, und unsere regionale Kundschaft mit handwerklich gebrautem Bier zu versorgen", sagt Braumeister Florian Sedlmaier. Die Produkte zählen zum höherpreisigen Segment. Im Online-Shop kostet die 18er-Box unfiltriertes Helles 27,50 Euro ohne Pfand.

Gefragt ist das Bier wohl trotzdem. Im Vergleich von Januar 2023 zu 2024 berichtet Sedlmaier von einem Absatzplus von 77 Prozent. "Letztes Jahr war aber auch extrem schwach." Generell funktioniere der Markt für kleine Betriebe wie das Mühlfeldbräu aber anders als bei den großen Massenherstellern. Der Einzugsbereich sei regionaler. Die Kunden wollten ganz bewusst, ein handwerklich produziertes "Bier von hier" trinken. Genau beobachtet Sedlmaier, der erst seit Sommer 2023 verantwortlicher Braumeister im Tölzer Mühlfeldbräu ist, aber auch den Trend zu alkoholfreien und Promille-schwächeren Sorten. "Da sind wir dran", sagt der Mittzwanziger aus Gaißach.

In diesen Kesseln entstehen die Gerstensäfte des Tölzer Mühlfeldbräus. (Foto: Manfred Neubauer)

Ein leichtes Helles mit weniger Alkoholgehalt gibt es schon zu kaufen. Ein alkoholfreies Bier zu brauen, sei aber nicht so einfach. Eine Entalkoholisierungsanlage koste ein Vermögen. Alternativ gebe es zwar eine für Alkoholfreies entwickelte Spezialhefe. Das bedeute aber penibel sicherzustellen, dass die nicht mit den Hefen für die anderen Biere vermischt werde, betont Sedlmaier.

Alkoholfreies und Biere mit weniger Promille werden gefragter

Eine ebenso typische Gasthausbrauerei ist das vor zehn Jahren eröffnete Binderbräu im Tölzer Kurviertel. Wirt Andreas Binder setzt auf vielfältige Produkte. Auch er hat saisonal Getränke mit weniger Alkohol auf der Karte stehen, etwa das leichte Sommerweizen. Derzeit tüftelt er an einem alkoholfreien Bier. Schließlich müsse er sich mit seinem Betrieb auf den Markt einstellen, so Binder.

Bierbrau-Anlage im Tölzer Binderbräu. (Foto: Manfred Neubauer)

Gleichzeitig spricht der Wirt von den Nachwirkungen der Pandemie und Problemen mit Personalmangel. In der Küche fehle etwa seit zwei Jahren ein Koch. "Wir kämpfen so dahin", sagt Binder. Das spiegelt sich im Absatz wider. Vor Pandemiebeginn sei 52 Mal im Jahr - also jede Woche - gebraut worden, insgesamt 520 Hektoliter. "Jetzt ist es ein Drittel weniger." Von kommendem Mai an rechnet Binder endlich mit einem zusätzlichen Koch. Dann hofft der Wirt, wieder mehr Zeit zu haben, um etwa mehr Abendveranstaltungen mit Bierbegleitung organisieren, Brauereiführungen anbieten oder das Museum im ersten und zweiten Stock eröffnen zu können. Mit dem zusätzlichen Angebot würden auch die Geschäfte wieder besser werden, sagt Binder. Davon gehe er aus.

Erst seit 2021 als Marke auf dem Markt ist das Starnberg Bräu. Die namensgebende Eurasburger Familie Starnberg hatte bis dahin jahrzehntelang nur im kleinen Stil privat gebraut. Sebastian Starnberg spricht davon, den Ausstoß von 200 Hektolitern im ersten Jahr auf 1000 Hektoliter gesteigert zu haben. "Es läuft sehr gut." Bei den beiden traditionellen Bieren - dem unfiltrierten Hellen und dem Weißbier - sowie gelegentlich einmal einem Sonderbier soll es bleiben. "In diesem Jahr gibt es das erste Mal ein Bockbier", sagt Starnberg. In Eschi's Restaurant in Tutzing und im Bernrieder Bräustüberl wird das von Starnberg kreierte Bier ausgeschenkt. Herstellen lässt er es allerdings nach seiner eigenen Rezeptur und von einer eigenen Braumeisterin im niederbayerischen Aldersbach.

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