Wer jahrzehntelang in der Tourismusbranche arbeitet, ist damit vertraut, sich neues Terrain zu erarbeiten. Als Reiseleiter, Autor und Lektor war Klaus-Peter Hütt bis nach Australien, Neuseeland und Kanada unterwegs. Irgendwann sei ihm bewusst geworden, dass er wesentlich mehr über die indigenen Kulturen der Aborigines oder der Maori wusste als über den oberländischen Alpenraum, sagt der 61-jährige Iffeldorfer.
Die Pandemie eröffnete ihm dann die späte Chance, das zu ändern und sich zudem ein ganz neues Genre-Terrain zu erschließen. In den Sommern 2021 und 2022 erstieg Hütt erstmals als Kameramann und Regisseur für den Dokumentarfilm "Schafstage" die Weiden am Kranzberg und im Karwendel hoch über Mittenwald. "Ich konnte mir meinen Lebenstraum erfüllen", sagt er. Und das klingt glaubhaft, wenn er davon berichtet, wie er den Schafen ganz nah gekommen ist. Mit der Kamera filmte er etwa Hunderte auf ihn zukommende Tiere, bis er mitten in der Herde stand, ohne als Fremdkörper beachtet zu werden. Von einer vorwärtsflutenden "Soundwelle" spricht Hütt. Einer der Momente bei den Dreharbeiten, an die er sich sein Leben lang erinnern werde.
Aus vielen Stunden Filmmaterial ist nun eine knapp eineinhalb Stunden lange Dokumentation über die Forst- und Weidegenossenschaft der Mittenwalder Schafthalter geworden. Hütts Erstlingswerk läuft an diesem Donnerstag, 19. Oktober, in vielen Kinos im Oberland an.
Wie also wurde der Iffeldorfer zu einem "späten Jungfilmer", wie er sich nennt? Durch die Pandemie sei er plötzlich in Kurzarbeit gewesen, erzählt der Geograf und Geologe. Er habe sich daran erinnert, wie er als Student davon träumte, mit einer 16-Millimeter-Filmkamera Dokumentationen zu drehen. Die Ausrüstung konnte er sich damals aber nicht leisten. Später fotografierte er viel für die Reisebranche. Auf dieser Basis fragte Hütt den Filmemacher und Produzenten Walter Steffen aus der Nachbarkommune Seeshaupt, ob er bei dessen Streaming-Portal "OlaTV" mithelfen könne.
Also volontierte Hütt bei Steffen und begann, kurze Imagefilme zu drehen. Ein solcher sollte auch der über die Mittenwalder Bergschafhalter werden. Doch Steffen erkannte das Potenzial für eine abendfüllende Dokumentation. Der Seeshaupter Filmemacher wirkte als Produzent mit und unterstützte im Hintergrund.
Einer der tragenden Protagonisten ist Peppi Hornsteiner. Der gelernte Metzger war drei Jahrzehnte lang Hirte der 300 bis 400 Tiere umfassenden Herde von 45 Haltern der Forst- und Weidegemeinschaft auf der Rehbergalm im Karwendel. 2022 hatte er seine letzte Saison. Hütts Dokumentation ist daher nicht nur ein Tierfilm, sondern vielmehr das Porträt eines unverwechselbaren Menschenschlags, der sich allein schon durch einen ganz eigenen bairischen Dialekt mit Tiroler Einschlag auszeichnet. Vertrauen musste sich Hütt erst erarbeiten, um intimere Einblicke zu gewinnen. "Es sind sehr ehrliche, bodenständige Menschen, oft mit einem feinen Humor", sagt er. "Ich weiß sehr zu schätzen, dass die Gemeinschaft mich zugelassen hat."
Die Schafbeweidung im Alpenraum existiert womöglich schon seit Jahrtausenden. Der Jahresablauf der Mittenwalder Genossenschaft folgt einem eingespielten traditionellen Rhythmus. Anfang oder Mitte Mai kommen die Tiere abhängig von der Witterung sowie der Vegetationsentwicklung auf die etwa 600 Hektar umfassenden Vorweiden am Kranzbergmassiv. Im Juni geht es dann auf die gegenüberliegende Talseite ins höhere Karwendel. Im September ist der Almsommer beendet.
Damit erbringen die Genossenschaftsmitglieder eine wichtige Kulturleistung. Denn die Almwiesen des Gebirges würden schnell verbuschen. Viele seltene Pflanzen- und Insektenarten würden damit verschwinden, so Hütt. Ohne dass sich die Schafhalter engagierten, gebe es die typische artenreiche Almlandschaft nicht. Insofern sieht Hütt seine Dokumentation als wichtiges Zeitdokument einer traditionsreichen Tierhaltungsform. "Ich wollte aber auch die größtenteils unbezahlte Arbeit der Menschen würdigen." Wanderer und Urlauber könnten die von ihnen gesuchte Gebirgslandschaft nur erleben, weil sich Leute wie die Schafhalter so stark engagierten.
Mittlerweile ist Hütt wieder in seinem touristischen Brotberuf eingespannt. Im Oberland filmen will der Iffeldorfer aber weiterhin. "Wenn ich die Zeit hätte, würde ich sofort mit der Kamera losziehen", sagt er.