Es ist ein Unikat, das da auf Georg Orterers Hof in Königsdorf steht - und zwar eines im Miniaturformat. Das einzige Windrad im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen hat eine Nabenhöhe von niedlichen 17 Metern, einen Rotordurchmesser von acht Metern und eine maximale Stromerzeugungsleistung von zehn Kilowatt. Die meisten Windräder für die öffentliche Stromerzeugung haben Nabenhöhen von 130 Metern, Rotordurchmesser von 120 Metern - und eine Leistung von 3000 Kilowatt. Eines von ihnen deckt den jährlichen Strombedarf von 1100 bis 2000 Drei-Personen-Haushalten. Aber Georg Orterers Windrad muss ja nur seinen Hof versorgen, auf dem er eine Tierklinik betreibt, und das auch noch gemeinsam mit der großen Photovoltaikanlage auf dem Hausdach.
Nicht nur im Landkreis, in ganz Bayern läuft der Ausbau der Windkraft mehr als schleppend. Im vergangenen Jahr wurde im Freistaat kein einziges neues Windrad genehmigt - ein Armutszeugnis für das größte Flächenland Deutschlands, in dem günstiger Strom aus Windkraft eigentlich ein wichtiger Teil der Energiewende sein soll. Ihr Anteil an der Bruttostromerzeugung ist mittlerweile sogar rückläufig, er liegt aktuell bei mickrigen sechs Prozent. Zum Vergleich: In Mecklenburg-Vorpommern, dem Spitzenreiter in Deutschland, liegt der Anteil bei 45 Prozent, im gesamten Land sind es immerhin 23 Prozent.
Um den Ausbau voranzutreiben, hat die Bundesregierung kürzlich das neue Windkraft-an-Land-Gesetz verabschiedet, es legt fest, dass bis zum Jahr 2032 zwei Prozent der Landesfläche für Windkraftanlagen ausgewiesen werden müssen. Darin setzt der Bund den Ländern verbindliche "Flächenbeitragsziele", die je nach Größe und Windbedingungen der Länder variieren. Bayern muss bis 2027 demnach 1,1 Prozent und bis 2032 1,8 Prozent seiner Fläche für Windräder ausweisen. Von diesen Zielen ist der Landkreis noch weit entfernt: Lediglich 0,12 Prozent seiner Fläche ist laut aktueller Planung der Region Oberland als Vorranggebiet für die Windkraft ausgewiesen; auf 99,74 Prozent der Fläche hat die Region den Bau von Windrädern komplett ausgeschlossen.
Und obwohl die Region die drei winzigen Vorranggebiete, eins nahe Meilenberg, eins bei Sonnenham und eins bei Endlhausen, schon vor sieben Jahren festgelegt hat - passiert ist seitdem gar nichts. "Die Politik kümmert sich nur um die Ausweisung", sagt dazu Landrat Josef Niedermaier (Freie Wähler), den Bau müssten Investoren übernehmen. "Es sind Flächen da, sie werden nur nicht genutzt." Warum sich keine Investoren finden, darüber kann Niedermaier nur spekulieren. "Vielleicht liegt es an den teuren Grundstückspreisen in der Region oder am wenigen Wind." Der Landrat hat hier einen Punkt. Natürlich weht der Wind im Landkreis, zumal in den Tälern, nicht so zuverlässig und stark wie im Norden Deutschlands, wo Windräder deutlich ergiebiger sind. An der Nordseeküste etwa bläst der Wind zwei- bis dreimal so stark wie hier im Süden. Auf den Bergen ist er hier zwar auch recht stark, aber die sind für Windparks schwer zu erschließen. Die hiesigen Windbedingungen seien der Grund, "warum Windkraft nicht die größte Priorität hat. Wasserkraft und Photovoltaik sind bei uns ergiebiger", sagt Niedermaier, betont aber: "Wir müssen auch Windkraft machen. Wir werden die Ressourcen darauf lenken."
Es gibt noch andere Gründe, warum nichts vorangeht im Windkraftausbau. Da ist zum Beispiel die 10-H-Regel der Landesregierung. Sie legt den Mindestabstand zwischen Windrädern und Siedlungen auf die zehnfache Höhe der Anlage fest. Ein 200 Meter hohes Windrad muss also mindestens zwei Kilometer entfernt von einer Siedlung stehen. Kein anderes Bundesland hat eine solch strenge Abstandsbestimmung, in allen anderen liegen die Mindestabstände zwischen 400 und 1100 Metern. Die Regel blockiert den Ausbau der Windkraft im Freistaat massiv. "Diese unsägliche 10-H-Regelung wurde immer wieder als Verbotsregel missbraucht, sie wurde vorgeschoben, um neue Windparks zu verhindern", sagt Detlef Fischer, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft. Für Fischer hat die Staatsregierung mit der Regel das falsche Signal gesetzt: "Sie hat den Eindruck erweckt, Windkraft sei etwas Böses, sie solle möglichst weit weg von der Bebauung stehen, am besten im Wald. Aber wir Menschen brauchen doch den Strom und nicht die Rehe." Die Politik müsse die Notwendigkeit des Windkraftausbaus viel besser erklären, fordert Fischer, und damit eine positive Stimmung in der Bevölkerung erzeugen.
Fischer hat in den vergangenen Monaten schon einen Stimmungswechsel festgestellt. Der 24. Februar, der Tag also, an dem Russland in die Ukraine einmarschierte, habe dazu geführt, "so traurig es ist". Die CSU-Landtagsfraktion, die den Ausbau der Windkraft immer nach Kräften verhindert hatte, hat im April deutliche Ausnahmen von der 10-H-Regel beschlossen, etwa die Reduzierung des Mindestabstands in Vorranggebieten auf 1000 Meter, und will so den Weg für 800 neue Windräder ebnen. Man wolle "beim Wind einen großen Schritt vorankommen", um Bayern von russischer Energie unabhängig zu machen, sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) damals dem Bayerischen Rundfunk.
"Ich will keine Verspargelung der Landschaft"
Und dennoch: Im Landtag gibt es immer noch viele Befürworter der Regel. Einer von ihnen ist Martin Bachhuber (CSU) aus Bad Heilbrunn, der seit 14 Jahren für den Stimmkreis Bad Tölz-Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen im Landtag sitzt. "Ich werde mich dagegen wehren, dass man hier die Windkraft ausbaut", sagt Bachhuber. "Ich will hier keine Verspargelung der Landschaft, weil ich es nicht für sinnvoll erachte, da braucht man sich nur den Windatlas anzuschauen." Geht es nach ihm, soll es im wunderschönen Oberbayern gar keine Windräder geben, die könnten doch einfach im platten Norddeutschland stehen. "Die Nordseeküste hat den Wind, Oberbayern hat die Sonne", sagt Bachhuber, die Photovoltaik ist seiner Meinung nach die beste erneuerbare Energiequelle für die Region. Und überhaupt: "Wir brauchen uns bei den erneuerbaren Energien nicht zu verstecken", sagt Bachhuber. "Rund 52 Prozent des Stroms in Bayern kommt aus erneuerbaren Energien - kein Bundesland hat so viel." Das ist nicht richtig, Mecklenburg-Vorpommern hat laut Agentur für Erneuerbare Energien mit mehr als 80 Prozent einen deutlich höheren Anteil der Erneuerbaren an der Bruttostromerzeugung, Bayern liegt im Bundesländervergleich nur auf Platz acht.
Es muss sich also noch einiges tun, nicht nur beim Windkraftausbau, wenn der Freistaat sein ehrgeiziges Ziel der Klimaneutralität bis 2040 erreichen will. Zumal es bei der Energiewende ja nicht nur um Strom geht. In der bayerischen Wärmeerzeugung liegt der Anteil der Erneuerbaren bei gerade einmal 24 Prozent, beim Kraftstoff sogar nur bei sechs Prozent. "Mit den heutigen Anstrengungen ist die Klimaneutralität bis 2040 nicht zu schaffen", sagt Energieexperte Detlef Fischer, dessen Verband seit einigen Jahren ein Monitoring laufen hat, welche Fortschritte Bayern auf dem Weg zur Klimaneutralität macht. Die ernüchternde Bilanz für das Jahr 2021: Bei keinem der Indikatoren ist die Energiewende auch nur ansatzweise im Plan. So wurden nur 40 Prozent der Photovoltaik-Anlagen installiert, die 2021 notwendig gewesen wären, um im Plan zu bleiben. Bei der Sanierung veralteter Heizungen waren es nur die Hälfte und bei den Neuzulassungen von klimaschonenden Fahrzeugen sogar nur 13 Prozent. Am größten ist der Rückstand, wenig verwunderlich, bei der Windkraft: 2021 sind nur fünf Prozent der Windräder aufgestellt worden, die es gebraucht hätte, um im Plan zu bleiben.