Fünfseen-Filmfestival:Der Jazz ist wieder hip

Lesezeit: 3 min

Jazz-Legende Klaus Doldinger war 2020 Ehrengast des Fünfseen-Filmfestivals, musste dieses Jahr aber absagen. (Foto: Nila Thiel)

Filmproduzent und Jazztrompeter Reinhard Kungel hatte die Idee zu einer ungewöhnlichen Filmdokumentation: In "Jazzfieber - the Story of German Jazz" zeichnet er die Geschichte von hundert Jahren Jazzmusik in Deutschland nach.

Von Katja Sebald, Starnberg

"Die Geschichte des Jazz in Deutschland lässt sich nicht in 90 Minuten erzählen", sagt der Filmproduzent und Jazztrompeter Reinhard Kungel. Genau das aber gelingt ihm mit seinem neuen Film "Jazzfieber - the Story of German Jazz". Zusammen mit seinem Co-Produzenten Andreas Heinrich sprach er am Donnerstag auf der Pressekonferenz des Fünfseen-Filmfestivals über das Projekt, in dem mehr als zehn Jahre Arbeit stecken.

Der 87-jährige Saxophonist Klaus Doldinger, den sie wie zahlreiche andere deutsche Musikerlegenden für den Film interviewt haben, kann aus Krankheitsgründen nicht an der Präsentation des Films teilnehmen, der am Donnerstag, 7. September, in die Kinos kommt und bereits zuvor zweimal auf dem Starnberger Festival zu sehen sein wird.

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Die Idee zu einer Filmdokumentation über rund hundert Jahre Jazzmusik in Deutschland hatte Kungel, der in Hohenschäftlarn lebt, etwa 2008. Drei Jahre später begann er mit den Dreharbeiten, nach einem weiteren Jahr holte er Andreas Heinrich mit ins Boot, der eigentlich im Bereich "Technische Dienstleitungen" für Fernsehproduktionen arbeitet. Auch er wohnt in Hohenschäftlarn.

Doldinger, der im benachbarten Icking lebt, begleitete das Projekt von Anfang an mit sehr viel Engagement. "Im Lauf der Jahre ist daraus eine Freundschaft entstanden", berichtet Heinrich. Aus dem geplanten Auftritt von Doldinger wird aber nun leider nichts, sein Sohn schickt eine Videobotschaft.

Filmproduzent und Jazztrompeter Reinhard Kungel arbeitete mehr als zehn Jahre lang an seinem Film. (Foto: Arlet Ulfers)

Der Film geht von der Gegenwart aus, in der Jazz wieder hip ist. Die Kamera begleitet fünf junge Musiker in ihrem Tourbus von Konzert zu Konzert. Zwischendurch blendet er zurück in die Vergangenheit, ins wilde Berlin der frühen Dreißigerjahre, in die bedrückenden Jahre der NS-Herrschaft, in die Aufbruchsstimmung der Nachkriegszeit. Umfangreiches Archivmaterial, Mitschnitte von Konzerten, vor allem aber die Interviews mit den deutschen Jazzmusikern der ersten Stunde machen diesen Film zu einem eindringlichen und unwiederbringlichen Zeitzeugnis. Insgesamt entstanden über 15 Stunden Interviewmaterial, von dem nur ein kleiner Teil verwendet werden konnte.

Der unvergleichliche Pianist Paul Kuhn kommt noch einmal zu Wort, er ist auch bei einem seiner letzten Auftritte im Jahr 2012 zu sehen - und zu hören: 2013 starb er im Alter von 85 Jahren. Auch der 2015 verstorbene Max Greger berichtet von seiner ersten Begegnung mit der Jazzmusik, die sein Leben verändern sollte. Ebenso kommt Hugo Strasser, der 2016 starb, im Film zu Wort. Der Klarinettist Rolf Kühn und der Vibraphonist Wolfgang Schlüter wurden ebenfalls interviewt, auch sie leben nicht mehr.

Swinglegende Hugo Strasser mit seinen Musikerkollegen Max Greger und Paul Kuhn (v.li.) im Januar 2007 bei der Vorstellung ihrer Tour "Best of Swing Legenden" im Berliner Friedrichstadtpalast. (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Vor allem aber sind es die Erinnerungen des 1924 in Berlin geborenen und 2018 verstorbenen Coco Schumann, die unmittelbar vor Augen führen, wie eng die Geschichte des Jazz in Deutschland mit dem deutschen Grauen verbunden ist. Der legendäre Jazzgitarrist erzählt im Interview von der Berliner Eisdiele, in der er als Kind am Grammophon drehte, um Swingmusik zu hören. Er berichtet von heimlichen Auftritten in Kellerkneipen, nachdem das NS-Regime den Jazz verboten hatte.

Der Jazz habe das freiheitliche Denken in sich, deshalb sei er als "Spiegelbild des jüdischen Bolschewismus" gebrandmarkt worden. "Swing tanzen verboten" war auf den Schildern zu lesen, die im Namen der "Reichskulturkammer" in Tanzlokalen aufgehängt wurden.

Coco Schumann, Jazz-Gitarrist, Swing-Legende und KZ-Überlebender: Er starb am 28. Januar 2018 im Alter von 93 Jahren in Berlin. (Foto: Florian Frank/dpa)

Getanzt wurde trotzdem: An der Tür wurden Aufpasser platziert, von den Notenblättern wurden die englischen Titel abgeschnitten. Die Kontrolleure waren musikalisch nicht besonders versiert und ließen sich oft schon mit deutschen Texten überlisten. Jemand habe ihn denunziert, berichtet Coco Schumann im Film. "Und dann hatte ich das große Glück, nach Theresienstadt zu kommen", sagt er. Nicht sofort ins Vernichtungslager Auschwitz, meint er damit. Aber auch das überlebte er: Er musste dort "La Paloma" für die Kinder spielen, die ins Gas gingen.

"Wie kommt man davon wieder los?", fragen sich die jungen Musiker in ihrem Tourbus. Mit großem Respekt spielen sie bei ihren Auftritten die Musik von damals, sie setzen sich intensiv mit der Geschichte der Musik auseinander, die sie lieben und die auch ihr Leben bestimmt. Was ist heute anders als damals? Auf der Bühne sind nun auch junge Frauen, nicht nur Männer zu sehen. Es wird nicht mehr vor der Kamera geraucht. Und während die Protagonisten von damals davon ausgingen, dass die Geschichte des Jazz mit ihnen zu Ende geht, glauben die jungen Leute fest an seine Zukunft. "Und diese Zukunft ist weiblich", sagt eine der Musikerinnen in die Kamera.

Der Film "Jazzfieber - the Story of German Jazz" ist auf dem Fimfest am Montag, 28. August (19.30 Uhr), mit einem einleitenden Jazz-Konzert im Kino Breitwand Gauting zu sehen und am Dienstag, 29. August (17.15 Uhr), im Kino Breitwand in Starnberg.

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