Kritik an Corona-Notbremse:Zu. Auf. Zu. Auf

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Zusammengestellte Stühle und Tische stehen vor einem Café in der Innenstadt. Die Regeln ändern sich ständig, zum Ärger der Kaufleute. (Foto: dpa)

Weil die Inzidenzwerte drei Tage lang unter 100 lagen, dürfen von Mittwoch an Geschäfte und Museen in München öffnen. Aber wie lange? Das Hin und Her stellt die Einrichtungen vor große Probleme.

Von Anna Hoben, Catherine Hoffmann und Martina Scherf, München

"Ich kann über viele Entscheidungen nur den Kopf schütteln", sagt Tobias Zipfer, Storemanager beim Sporthaus Schuster. "Wer heute kommt, darf Laufschuhe kaufen, aber Laufsocken oder eine Laufjacke dürfen wir ihm nicht verkaufen." Am Dienstag galten in München noch die verschärften Corona-Regeln, weil in der bayerischen Landeshauptstadt an Karfreitag die kritische Inzidenzmarke von 100 den dritten Tag in Folge überschritten worden war. Nur der Lebensmitteleinzelhandel durfte offen haben und andere Geschäfte, die für die tägliche Versorgung unverzichtbar sind; dazu zählen seit Kurzem auch Schuhe.

Doch schon an diesem Mittwoch ändern sich die Regeln wieder: Weil von Karsamstag bis Ostermontag der Inzidenzwert in München drei Tage hintereinander unter 100 lag, dürfen Geschäfte, Museen und der Tierpark wieder öffnen. Die "Corona-Notbremse" greift nicht mehr. Dabei spielt keine Rolle, dass die Zahlen wohl vor allem gesunken sind, weil sich an den Feiertagen weniger Menschen testen lassen und die Gesundheitsämter Daten zeitverzögert melden. Darauf jedenfalls macht das Robert-Koch-Institut (RKI) aufmerksam, was Zweifel an der Öffnungslogik nährt.

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Hätte die Stadt auch anders entscheiden, also die Notbremse erst einmal angezogen lassen können? In einer Mitteilung der Stadt hieß es dazu am Dienstag, ein Spielraum bestehe nicht: "Die Landeshauptstadt München ist wie alle anderen kreisfreien Städte und Landkreise in Bayern an die Vorgaben der Verordnung gebunden. Dort ist das Verfahren bei inzidenzabhängigen Regelungen klar definiert."

Dass bereits drei Tage nach dem Über- oder Unterschreiten eines Schwellenwerts neue Maßnahmen in Kraft treten - Münchens Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) spricht von einem "Geburtsfehler der bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung". Aus ihrer Sicht wäre es besser, "einen längeren Zeitraum zu betrachten". Öffnungen und Schließungen im Halbwochenrhythmus unterminierten das Vertrauen der Bevölkerung in politisches Handeln und seien "ein Planungs-Irrsinn für Einzelhandel sowie Kultur- und Freizeiteinrichtungen".

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Scharfe Kritik an der Corona-Politik übt SPD-Fraktionschef Christian Müller: "Ich halte von diesem Inzidenzwert-Gehoppel überhaupt nichts." Und CSU-Fraktionsvorsitzender Manuel Pretzl ist überzeugt, dass man "von dem Inzidenzwert-Denken wegkommen" müsse. Stattdessen sollte die Situation in den Kliniken, die Nachverfolgbarkeit von Kontakten und die Sterblichkeit eine größere Rolle spielen.

Zu, auf, zu, auf - Händler und Verbraucher kommen kaum noch hinterher und wissen manchmal nicht: Was gilt denn nun gerade? "Man braucht Kompass und Nadel, um durch den Vorschriften-Dschungel zu finden", sagt Bernd Ohlmann, Sprecher des Handelsverband Bayern. Da den meisten Menschen ein solcher Kompass fehlt, ist bei Sport Schuster am Dienstag nicht viel los. Die Kunden haben nicht mitbekommen, dass man dort für einen Tag Schuhe kaufen kann. Von Mittwoch an ist dann das ganze Haus wieder auf für Terminshopping.

Für das Sportgeschäft bedeutet Click & Meet, dass der Umsatz um 30 bis 40 Prozent unter den Vergleichsmonaten des Jahres 2019 liegt. Auch die Mitarbeiter bekommen das zu spüren. Die meisten stecken noch in Kurzarbeit, sie erfahren mit zwei Tagen Vorlauf, ob sie arbeiten oder nicht. Viele wünschen sich, dass sie bald wieder voll eingesetzt werden. Große Hoffnungen macht ihnen Storemanager Zipfer nicht. "Ich gehe davon aus, dass der Handel noch einmal ganz geschlossen wird", sagt er.

Es gilt also, flexibel zu bleiben und alle neuen Regeln, egal wie kurzfristig sie kommen und wie kurz sie gelten, schnell umzusetzen. "Wir sind derzeit nur am Reagieren, da sind wir schon Profis drin", sagt Christian Greiner, Chef des Traditions-Kaufhauses Ludwig Beck. Am Ostersamstag musste er den Mitarbeitern sagen, dass von Dienstag an geschlossen ist, am Montag war klar: Mittwoch macht das Kaufhaus wieder auf. Das Krisenmanagement ist für alle Beteiligten anstrengend. "Aber natürlich freue ich mich über jeden Tag, an dem ich aufmachen kann", so Greiner.

Zu, auf, zu, auf, das gilt auch für Ausstellungen. "Meine tägliche Aktion morgens nach dem Aufwachen ist es, die Inzidenz abzufragen", sagt der Sprecher des Deutschen Museums, Gerrit Faust. Drei Wochen lang durften sie nach dem Winter-Lockdown öffnen, dann hieß es: Das Museum und das Verkehrszentrum müssen am Sonntag schließen. Von Mittwoch an darf es wieder aufsperren. Die Flugwerft in Oberschleißheim, die im Landkreis München liegt, blieb geöffnet, weil der Inzidenzwert dort die ganze Zeit unter 100 lag.

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(Foto: Robert Haas)

München am Dienstag: Die Corona-Notbremse greift,...

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(Foto: Robert Haas)

...viele Geschäfte in der Fußgängerzone sind geschlossen.

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(Foto: Robert Haas)

Ausgenommen sind Läden, die Schuhe verkaufen.

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(Foto: Felix Hörhager/dpa)

München am Mittwoch: Museen wie das Haus der Kunst dürfen wieder öffnen.

Wie es weitergeht, hängt von der Inzidenz ab

Michael Apel, Leiter des Museums Mensch und Natur, verbrachte den Ostermontag am Telefon, um alles zu organisieren, damit sein Haus am Mittwoch wieder öffnen kann. Die eigenen Mitarbeiter seien sowieso zur Stelle, aber auch externe Dienstleister wie die Reinigungsfirma oder München-Ticket hätten innerhalb von zwei Stunden reagiert, sagt er. Auch der benachbarte Botanische Garten und das Biotopia-Lab sind von Mittwoch an wieder in Betrieb. "Es wäre ja auch nicht vermittelbar, dass ein staatliches Museum nicht öffnet, wenn es die Inzidenzregel erlaubt. Gerade in den Osterferien, wo die Leute nicht wegfahren können", sagt Apel.

Auch das Haus der Kunst hat ab Mittwoch wieder geöffnet. Die Pinakotheken verweisen auf ihre Homepage und Social-Media-Kanäle, da am Dienstag noch nicht klar war, ob genügend Personal zur Verfügung steht. Das Gleiche gilt für das Lenbachhaus. Und ausgerechnet die staatliche Bayerische Schlösserverwaltung hat es bis jetzt noch nicht geschafft, ihre Sehenswürdigkeiten für Besucher zu öffnen. Ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie gibt es noch immer kein Ticket-Buchungssystem.

Auf oder zu? Die Frage ist, wie es jetzt weitergeht. Das bayerische Kabinett hatte Ende März Lockerungen für den Einzelhandel beschlossen, die nach den Osterferien gelten sollen. Vom kommenden Montag an dürfen Geschäfte öffnen, wenn der Inzidenzwert unter 100 liegt, selbstverständlich unter Einhaltung von Mindestabstand und Maskenpflicht; die lästige Voranmeldung fiele weg. Und bei Werten zwischen 100 und 200 wäre Termin-Shopping möglich, allerdings nur mit einem negativen Corona-Test. Ludwig Beck-Chef Greiner geht davon aus, dass der Beschluss gilt, zumindest für die ersten Tage.

© SZ vom 07.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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