SZ-Serie: Streifzüge durch die Stadt:Hämmern und sicheln, kiffen und picheln

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So schön lässt es sich genossenschaftlich wohnen in München. (Foto: Stephan Rumpf)

München war nie ein Zentrum der Industrialisierung, aber die Arbeiterbewegung hat in vielen Vierteln doch Spuren hinterlassen. Ein proletarischer Stadtspaziergang vom Hauptbahnhof bis zum Westend.

Von Franz Kotteder

Friede den Hütten, Krieg den Palästen! Der berühmte Schlachtruf aus dem "Hessischen Landboten" von Georg Büchner war zwar ein griffiger Slogan, von der Umsetzung her aber letztlich eine matte Sache. Die meisten Paläste stehen immer noch, die Hütten der einfachen Leute hingegen werden mit schöner Regelmäßigkeit abgerissen, um neuen Bauwerken Platz zu machen. Das macht einen Spaziergang auf den Spuren der Arbeiterbewegung gar nicht so einfach: Es ist halt sehr wenig übrig geblieben aus jener Zeit, was man noch anschauen könnte.

Aber auch hier gilt der Grundsatz des Monaco Franze: A bissl was geht immer! Zum Beispiel schon am Hauptbahnhof, wo man so einen proletarischen Stadtspaziergang (die GPX-Tracks finden Sie hier) gut beginnen kann, in Erinnerung an die ersten sogenannten "Gastarbeiter" aus dem Süden, die 1955 hier an Gleis 11 in Deutschland ankamen - und dann gleich einmal in den unterirdischen Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg mussten, zur sogenannten "Weiterleitungsstelle", wo sie etwas zu essen bekamen und sich etwas ausruhen konnten. Was für ein heimeliger Empfang . . . Den Eingang sieht man noch, er führt jetzt allerdings zu einer neumodischen Bedürfnisanstalt.

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In den Anfangsjahren der Münchner Arbeiterbewegung, vor mehr als 100 Jahren, hätte man seine Schritte jetzt in Richtung Glockenbachviertel gelenkt. Denn in der Holzstraße 10 befand sich seit 1906 die Zentralherberge der Gewerkschaften, und an der Pestalozzistraße 40-42 wurde Ende Oktober 1912 das erste Gewerkschaftshaus, die sogenannte "Arbeiterburg", feierlich eröffnet, 820 000 Mark hatte der Bau gekostet, die Münchner Arbeiter hatten lange dafür gespart. Vom Bau ist heute nichts mehr übrig: Was die Nazis nicht kaputtgemacht hatten, zerstörte der Bombenkrieg.

Vom Hauptbahnhof über die Goethestraße führt der Weg in die Schwanthalerstraße. Auf Nummer 64 steht heute das 1956 eröffnete Gewerkschaftshaus. Entworfen hat es der Architekt Ernst Hürlimann, den ältere Leser des SZ-Lokalteils und MVV-Nutzer noch als Karikaturisten kennen ("Aus dem Walkman tönt es grell . . ."). Derzeit ist es so gut wie leer, denn auf dem Areal wird bis 2024 ein neues Gewerkschaftshaus entstehen.

Das 1956 eröffnete Gewerkschaftshaus. Entworfen hat es der Architekt Ernst Hürlimann. (Foto: Stephan Rumpf)

München war nie ein Zentrum der Industrialisierung, noch 1873 gab es gerade mal sechs Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitern. Die aber waren äußerst rege. Als 1890 die Sozialistengesetze fielen, entstanden bald zahlreiche freie Gewerkschaften, Konsumvereine und andere Organisationen der Selbsthilfe. Vor dem Ersten Weltkrieg war München gar das große Vorbild für die Gewerkschaftsbewegung. Hier wurde sehr erfolgreich agitiert, 227 Tarifverträge konnten allein 1912 ausgehandelt werden, von 26 Streiks waren 19 erfolgreich, und innerhalb eines Jahres gab es fast 14 000 Gewerkschaftsveranstaltungen in der Stadt.

Nicht wenige davon dürften im Westend, offiziell Schwanthalerhöhe genannt, stattgefunden haben. Noch vor Giesing und Sendling war das Viertel die größte Arbeitervorstadt Münchens. Hier hatte es nur Brachland gegeben, bis 1810 das Oktoberfest erfunden wurde und ein paar Brauereien mit ihren Bierkellern auf die Theresienhöhe zogen. Ursprünglich war eher ein bürgerlicher Vorort mit Villen geplant gewesen, und die Straßen der Schwanthalerhöhe sind ja auch nicht nach Arbeiterführern benannt worden, sondern nach alten Münchner Patrizierfamilien.

Folgt man der Schwanthalerstraße, so stößt man am nördlichen Ende der Theresienwiese auf Das Bad, heute ein Wirtshaus, bei seiner Eröffnung 1894 tatsächlich ein Tröpferlbad für die arbeitende Bevölkerung. Damals hatten die wenigsten Wohnungen ein eigenes Bad, die Körperpflege war fürs niedere Volk ausgelagert worden. Nordwestlich sieht man übrigens als Solitär das großbürgerlich und deshalb deplatziert wirkende Hauberrisserhaus, das der Architekt und Erbauer des Neuen Rathauses, Georg von Hauberrisser, 1879 hier hinstellte, vielleicht in Erwartung eines neuen Wohnquartiers für Besserverdienende.

Vom Bad geht es über die Theresienwiese und an der Corona-Teststation vorbei zur Bavaria. Der Platz davor war der wichtigste Versammlungsplatz für die Arbeiterschaft, hier fanden riesige Friedens- und Hungerdemonstrationen mit vielen Tausend Teilnehmern statt, und hier begann die Revolution vom 7. November 1918. Von hier aus zog die aufgebrachte Menge zu den Kasernen, wo Soldaten stationiert waren, um sie zum Mitmachen aufzufordern.

Vermutlich hat sie damals schon den Weg rechts neben der Bavaria hinauf zur Alten Messe gewählt. Dort, wo die alten Messehallen jetzt als Filiale des Deutschen Museums und als Verkehrszentrum dienen, hatte 1914 als eine der letzten Großveranstaltungen vor dem Ersten Weltkrieg das "IX. Arbeitersängerfest" mit einem großen Massenchor stattgefunden.

An der Ganghoferstraße sieht man die beiden großen Moll-Blöcke, benannt nach dem Münchner Bauunternehmer Leonhard Moll, der sie als Musterprojekt für modernen Mietwohnungsbau 1928/29 von Theodor Fischer und Otho Orlando Kurz errichten ließ. Erhard Auer, langjähriger Vorsitzender der bayerischen SPD und Innenminister in der provisorischen Regierung Kurt Eisners, hat hier gewohnt.

Hier kann man den typischen Werkhallenbau aus der Zeit um die Wende zum 20. Jahrhundert noch gut erkennen. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Anglerstraße führt zur Heimeranstraße 68, der ehemaligen Nähmaschinenfabrik Strobel. Vom Innenhof, zugänglich über die Anglerstraße 6, kann man den typischen Werkhallenbau aus der Zeit um die Wende zum 20. Jahrhundert noch gut erkennen. Es handelt sich hier um eines der wenigen Industriegebäude im Viertel, das noch erhalten ist. Wesentlich bedeutender war die Gummifabrik Metzeler, die man nun über den Kilians- und Gollierplatz auf der anderen Seite der Trappentreustraße erreichen würde - wenn sie denn noch erhalten wäre. Tatsächlich war sie bis 1981 einer der wichtigsten Arbeitgeber im Viertel (und eine der Hauptursachen für die schlechte Luftqualität). Heute steht dort der Gewerbehof Westend.

In der Heimeranstraße 68 hatte die Nähmaschinenfabrik Strobel ihren Sitz. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Gegend um die Gollier- und Astallerstraße war früher ein reines Arbeiterviertel, heute fällt die Dichte an kleinen Architekturbüros auf. Hoffentlich schauen sich die dort Beschäftigten auch ein bisschen was von den Genossenschaftswohnungen ab, die im Westend gut verteilt sind und - weil von den späteren Mietern selbst projektiert und bestellt - nach den Bedürfnissen der Wohnenden und nicht nach denen der Vermieter ausgerichtet waren.

Am Ende der Guldeinstraße, bei der Donnersbergerbrücke, steht die Guldeinschule. Sie war eines der ersten Ziele der Revolutionäre, als sie von der Bavaria zu den Kasernen aufbrachen, weil dort eine Ersatzkompanie des Münchner Landsturmbataillons stationiert war, die auf die Seiten der Revolutionäre wechselte.

Wieder auf der anderen Seite der Trappentreustraße angekommen, sieht man in der Tulbeckstraße zu beiden Seiten große Genossenschaftswohnanlagen, typische Beispiele für den selbstorganisierten Wohnungsbau der Arbeiter. Auf Nummer 44 befand sich die Gaststätte Genossenschaftsheim, in der sich der "Arbeiter-Radfahrerbund Solidarität" traf, frei nach dem Motto: "Radfahrer aller Länder, ihr habt nichts zu verlieren als eure Ketten!" Interessanterweise lehnte es die Solidarität ab, Rennen zu fahren, denn es ging ja darum, durchs Radeln "das Solidaritätsgefühl zu heben". Da könnte sich manch neonfarbene r Radlrambo heute ein Beispiel an den roten Radlern nehmen. Aus dem Genossenschaftsheim wurde später die alternative Kneipe Beim Knittel. "Lieber kiffen und picheln als hämmern und sicheln", lautete der Wahlspruch ihres Publikums. Heute ist dort das Büro der Wohnungsgenossenschaft München-West.

Über die Bergmannstraße kommt man zum Ledigenheim. Der Trägerverein wurde 1913 von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis von Kirche bis Gewerkschaften gegründet und betreibt die Unterkunft für alleinstehende Geringverdiener mit ihren 382 Zimmern bis heute - als einzige noch bestehende Einrichtung dieser Art in ganz Europa. Es gibt nach wie vor eine Warteliste. Im Block östlich davon befindet sich die Genossenschaft Ludwigsvorstadt. Eigentlich ist das die Bezeichnung für das Stadtviertel östlich der Theresienwiese. Das dazugehörige Wirtshaus (heute die Stadtteilkneipe Ça va) war einst wie einige andere Gaststätten Versammlungslokal für die Kommunisten und die SPD, während sich die Nazis um die Ecke in der Gaststätte Ledigenheim trafen.

Das Ledigenheim wurde 1913 gegründet und besteht mit ihren 382 Zimmern bis heute - als einzige noch bestehende Einrichtung dieser Art in ganz Europa. (Foto: Stephan Rumpf)

Das Viertel war sonst tiefrot, bei der Reichstagswahl im November 1932 kam die KPD auf 32,5 Prozent, die SPD auf 28,5; für die Nazis blieben nur 18,5. Im Block Ludwigsvorstadt wohnten viele Kommunisten, im Haus Gollierstraße 49 etwa der Widerstandskämpfer Hans Kaltenbacher und der Arbeiterschriftsteller August Kühn, der dem Westend mit seinem Erfolgsroman "Zeit zum Aufstehen" ein literarisches Denkmal setzte.

Über die Ligsalzstraße und die Gollierstraße mit dem Ecklokal - ehemals Ligsalzhof und Vereinslokal vieler sozialistischer Gruppen, heute ein veganes Restaurant - gelangt man in die Parkstraße. Auf Nummer 27 befand sich einmal der Gollierhof, auch das ein Treffpunkt für viele Arbeitervereine. Wirtshäuser waren zu einer Zeit, in der die Wohnungen zu klein waren für eigene Wohnzimmer, eben auch soziale Zentren für alle. Heute befindet sich in dem Haus keine Gaststätte mehr, dafür aber unter anderem eine kleine Unternehmensberatung. So ändern sich die Zeiten.

Über die Schießstätt- und Holzapfelstraße gelangt man zur Augustinerbrauerei, die als eine der ersten Großbrauereien schon Ende des 19. Jahrhunderts hierher an die Landsberger Straße zog. Auf der anderen Straßenseite und auf dem Weg zur Hackerbrücke, dem Ende des Rundgangs, kommt man noch an einer berüchtigten Spielhalle vorbei, die vor 100 Jahren mal ein Sozi-Lokal war und Lindauer Hof hieß. Gegenüber, wo früher die Hackerbrauerei war und heute das Europäische Patentamt, befand sich bis 1804 der Galgenberg, eine Hinrichtungsstätte der Stadt. Vor allem die Opfer von Hexenprozessen kamen hier ums Leben. Aber das war lange, bevor das Arbeiterviertel entstanden ist.

© SZ vom 05.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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