Frühling in München:Der Grant hat jetzt Pause

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So schön grün wird der Weißenburger Platz in Haidhausen bald wieder aussehen - und auch anderswo erwacht die Stadt zum Leben. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Mit dem Osterwochenende beginnt für die Stadt ein herrlicher Jahrhundertsommer. Zumindest kann man sich das ja mal vornehmen.

Von Franz Kotteder

Fröhliche Ostern! Man kann nicht behaupten, dass dieser Wunsch momentan besonders gut funktioniert. Da muss einem die Ankunft des Herrn schon besonders viel bedeuten, wollte man dieser Tage "fröhlich" werden. Überall liest, hört, sieht man von Krieg, Folter, Terror, Mord. Spricht aber einer von Frieden, dann gilt er jetzt als seniler, alter Trottel, weil man inzwischen "kriegstüchtig" zu sein hat. Ein Wort, von dem man lange nicht glaubte, dass es eines Tages wieder Konjunktur haben würde. Klingt bestenfalls nach Wilhelm Zwo und ferner Vergangenheit. Und dann ist zu allem Überdruss auch noch "die Wirtschaft" - wer immer das genau sein mag - mies gelaunt und will nicht mehr so recht wachsen. Da soll man also "fröhlich" sein?

Moment mal, was ist da los? Hat uns jetzt der typische Münchner Grant gepackt? Über den der bayerische Schriftsteller Thomas Grasberger ein ganzes, wunderbares Buch geschrieben hat und von dem er behauptet, er sei "der Blues des Südens"? Bis hierhin würde das aber noch nicht einmal passen, ist der Blues doch als Musik der schwarzen Sklaven in Amerika oft melancholisch, aber nur vordergründig traurig. Er hat durchaus auch fröhliche Momente, und meistens schimmert wenigstens die leise Ahnung einer besseren Welt durch. Eine ganz schöne Leistung unter den Bedingungen der Sklaverei, übrigens. Bei einem gescheiten Grant hingegen überwiegt die Klage darüber, dass die bessere Welt einfach nicht da sein will. "Luja, sog i!", um mit Ludwig Thomas "Münchner im Himmel" zu sprechen, "zefix Halleluja!"

Wo also bleibt das Positive? Auf dem Weg dahin hilft es ungemein, wenn man alles ausblendet, was man durch eigenes Eingreifen kaum oder gar nicht beeinflussen und ändern kann. Das ist leider eine ganze Menge. Das verbleibende Positive aber wird man schnell sehen, sobald sich der Frühling durchgesetzt hat, und es schaut ziemlich danach aus, dass es schon am Osterwochenende so weit sein könnte.

München ist dann nämlich auf einen Schlag eine ganz andere Stadt. Am deutlichsten sieht man das an den Orten, an denen München am meisten Klischee ist. Plötzlich passen dann vor dem Tambosi am Odeonsplatz die ganzjährig anmontierten Sonnenbrillen tatsächlich in die Gesichter der blonden jungen Frauen mit dem arroganten Mienenspiel und ihrer wahnsinnscoolen Begleiter mit dem sorgsam gepflegten Dreitagebart. Schade übrigens, dass Wirt Pino Crocamo die alte Sitzordnung vor ein paar Jahren aufgegeben hat, bei der man wie in einer Kinosesselreihe saß und auf Feldherrnhalle und Theatinerkirche starren konnte. Prächtiger und milder zugleich scheint die Sonne wohl nirgendwo in der Stadt auf deren Bevölkerung.

Am schönsten ist es allerdings, dass man an den ganzen wichtigen Schickis einfach vorbeiflanieren kann. Zur Not auch radeln, wenn man die mitradelnden Rambos in Kauf nimmt, die einem auf den engen Radwegen zwangsläufig viel zu nah auf die Pelle rücken und oft ein Tempo draufhaben, als müssten sie unbedingt mithalten mit dem frisierten Proll-Porsche "auf der Leo", wie die Leopoldstraße in der lässigen Münchner Kurzform heißt.

An einem warmen Frühlings- oder Sommerabend aber gibt es kaum eine schönere Strecke als die vom Max-Joseph-Platz vor der Oper hinauf bis zur Giselastraße - und dann natürlich weiter Richtung Osten zum Biergarten am Chinesischen Turm - Kurzform: "C-Turm"! - oder zum Seehaus und in die Hirschau. Überall Horden von Menschen, die in der untergehenden Sonne sitzen (also meistens auf der östlichen Seite der Straße) und tiefenentspannt kühle Getränke genießen.

Vor der Staatsoper und dem Residenztheater sind die Skater zugange. Im Englischen Garten gibt es tatsächlich noch ein paar Nackerte entlang des Schwabinger Bachs, die natürlich längst keine Strafzettel von der Polizei mehr erhalten für ihr Nackertsein, wie einst in den Achtzigerjahren. Womöglich würde der Münchner Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) als oberster Tourismusverantwortlicher heute sogar eine Nackerten-Förderprämie ausschreiben, weil die Besucher der Stadt diese Sehenswürdigkeit, von denen ihnen die Reiseführer erzählen, ja geradezu erwarten.

Beliebter Treffpunkt im Sommer: die Wiese unterhalb des Monopteros im Englischen Garten. (Foto: René Hofmann)

Interessant wird auch, ob die ehemalige Kifferwiese unterhalb des Monopteros nun von Ostermontag an ein Revival erlebt. Enttäuschend für die Münchner Polizei, die viele Jahre zäher Kleinarbeit benötigte, um die Wiese von Typen zu entvölkern, die dort mit glasigen Augen ihre "Joints bauten", wie das früher in der Fachsprache genannt wurde.

Wobei, sieht man mal vom Kiffen ab: Selbermachen kann schon ein Schlüssel zum Glück sein. Während der Pandemie zum Beispiel war auf der Theresienwiese nur vermeintlich nichts los. Tatsächlich aber trafen sich dort die Menschen zu den unterschiedlichsten Aktivitäten im Freien. Das städtische Sportamt lud zum Rudelturnen auf Abstand, Jugendliche kamen in Begleitung eines Biertragls. Einsame Mandelbrennerhütten erinnerten daran, dass hier früher mal ein Oktoberfest stattfand, und verbissene Jogger beiderlei Geschlechts legten in einem Sommer so viele Kilometer zurück, wie sonst hier in 16 Tagen Masskrüge geleert werden. Ganze Horden von Inline-Skatern umfuhren elegant orangene Plastikhütchen auf einem Hindernisparcours, ein Folkduo gab ein Gratiskonzert und sang mit glockenhellen Stimmen zur Gitarrenbegleitung.

Nicht, dass man sich Corona zurückwünschen würde, Gott bewahre! Aber es hatte doch einen gewissen Charme, wie da improvisiert und selbst etwas gemacht wurde. Inzwischen hört man halt nicht mehr den Straßen-, Feld-, Wald- und Wiesenmusikanten zu, sondern geht auf eines dieser sogenannten Mega-Konzerte. Zum Beispiel auf der, genau: Theresienwiese!, zur Fußball-EM mit Ed Sheeran und so. Danach wird die Theresienwiese aber auch schon wieder abgeriegelt, weil man ja die Wiesn aufbauen muss.

Für die Sängerin Adele wird auf dem Messegelände ein eigenes Stadion aufgebaut. (Foto: Live Nation)

Und zehnmal können in diesem Sommer Zigtausende Adele auf dem Messegelände bei der wundersamen Geldvermehrung zuschauen und sehen dabei wahrscheinlich auch nicht viel mehr von ihr als auf Youtube. Interessant auch, dass große Kulturereignisse inzwischen auf dem Messegelände stattfinden, also an einem Ort, an dem es vor allem um Geld geht und wo Wirtschaftskraft gemessen wird.

Hoppla, das klingt jetzt aber fast schon wieder negativ! Sollte es aber gar nicht, es gibt ja so viele schöne Ereignisse. Das Frühlingsfest Ende April, die Fußball-EM im Juni, Klassik am Odeonsplatz, und so weiter. Alles, was das Wohlbefinden fördert, haben wir schließlich dringend nötig. Allein um all die ganz normalen Fährnisse zu ertragen, die Signalstörungen und liegengebliebenen Fahrzeuge bei der MVG, die man längst als "neue Normalität" bezeichnen könnte. Die ganzen Großprojekte, die über den Daumen gepeilt ein ganzes Menschenalter benötigen, und die deutlich kleineren "Sanierungsmaßnahmen", die locker einige Jahre brauchen.

Kein Grant, bitte! Man schlendere einfach durch die Straßen, genieße die Sonne, setze sich in einen Schanigarten - ja, die gibt es immer noch und wieder - und genehmige sich eine Tasse Kaffee oder eine Halbe Bier. Wenn man dabei dann nicht alle fünf Minuten die Mails auf dem Smartphone checkt, dann kann das echt richtig erholsam sein. Die Italiener kennen es - anderes Klischee! - unter "dolce far niente".

Also wird die Stadt einen herrlichen Sommer erleben, sofern das Wetter ein bisschen mitspielt. Und vielleicht wird es danach dann doch nicht so finster, wie man es heute noch befürchtet. Vielleicht endet der Krieg in der Ukraine, indem Putin wieder nach Hause geschickt wird, vielleicht findet sich doch noch eine Lösung in Nahost. Womöglich werden die Braunblauen doch nicht die eindeutigen Wahlsieger bei uns, und in Amerika drüben der widerwärtige Trump doch nicht erneut Präsident.

Fromme Wünsche? Mag sein. Ist an Ostern schon erlaubt. Vermutlich wird Markus Söder zum Jahresende zwar mit Recht seine "Winter is coming"-Tasse herauskramen, und der Subtext wird dann möglicherweise kein guter sein. Aber vielleicht hat man in diesem Sommer doch so viel Zuversicht tanken können, dass es über den kommenden Winter bis zum nächsten Ostern reicht.

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