Die Sammlung Goetz im Haus der Kunst:Grenzenlos

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"I am not sea, I am not land" von Cyrill Lachauer im ehemaligen Luftschutzkeller unter dem Haus der Kunst ist ein teils bildgewaltiges, mitunter auch schräges Roadmovie.

Von Evelyn Vogel, München

Der vielleicht schönste Moment ist der, wenn sich Justin ganz in der Bewegung verliert. Wenn die Figur mit der übergroßen Brille und der noch größeren Haartolle, gehüllt in ein langes, buntes Flower-Power-Kleid und eine weiße Spitzenweste, im Tanz eins mit der Landschaft zu werden scheint. Wenn dieses Auf und Ab wiegender Schritte, anmutiger Handbewegungen und zarter Körperdrehungen inmitten hochgewachsener, schon herbstlich gefärbter Grasflächen zum Ereignis wird. Wo doch der Hintergrund allgemein als das Ereignis gilt: die beeindruckende, fast 1000 Meter abfallende Steilwand des Granitmonolithen El Capitan im Yosemite Nationalpark. Eldorado für Kletterfreunde aus aller Welt - auch für Cyrill Lachauer.

Vor etwa zehn Jahren hat der 1979 in Rosenheim geborene, in Berlin und Los Angeles lebende Künstler und Kletterer den Nationalpark und El Capitan erstmals besucht - und war sofort fasziniert. Immer wieder zog es ihn dorthin. Aber nicht wegen des Extremkletterns, sondern weil ihn - wie schon 100 Jahre zuvor den Fotografen Ansel Adams - die Landschaft gefangen nahm. Dabei traf er auf den queeren Ranger Justin, der sich mehr tanzend als gehend durch den Park, die Lodge und die Landschaft bewegte, wie Lachauer in einem Gespräch mit der Kuratorin Cornelia Gockel von der Sammlung Goetz erzählt.

Erstmals bespielt ein Künstler die Kabinette mit einer Einzelausstellung

Im Rahmen der Kooperation der Sammlung Goetz mit dem Haus der Kunst wurde Lachauer eingeladen, für die Räume des ehemaligen Luftschutzkellers unter dem Haus der Kunst eine Ausstellung zu entwickeln. Es ist das erste Mal, dass im Laufe dieser nun schon zehn Jahre währenden Zusammenarbeit ein Künstler alle Kabinette mit einer Einzelausstellung bespielt und dies auch noch als Auftragsarbeit. Entstanden ist "I am not sea, I am not land", eine Medien-Collage aus Fotografie, Film, Video und Wandtexten, ein teils bildgewaltiges, mitunter auch schräges Roadmovie durch die USA und andere Länder, in deren Verlauf sich Cyrill Lachauer die Landschaften auf eine sehr ambivalente Weise angeeignet hat. Mehr assoziativ als eindeutig festgelegt, mehr forschend und fragend als behauptend. Was gut passt, hat Lachauer doch unter anderem Ethnologie studiert. Und das ausgerechnet angeregt durch einen Autor, der einst als Galionsfigur der New-Age-Bewegung galt und dessen angeblich wissenschaftlichen Feldforschungen sich später als großer Humbug und literarische Fiktion erwiesen: Carlos Castaneda.

Und doch zollt Lachauer seinem einstigen Heroen am Eingang der Ausstellung in den Kellern des Hauses der Kunst ironisch Tribut. Im Vorraum hat er zwei Wüstenbecken installiert, bestückt mit einigen Kakteen. Keine riesigen, vielarmigen Stachelmonster, wie man sie von den Hochglanzbildern aus den südlichen USA oder Mexiko kennt. Sondern eher unspektakuläre, die oft nur wenige Zentimeter aus dem hellen Sand ragen. Es sind vorwiegend Peyoten, die für ihren Meskalingehalt bekannt sind und die auch für Castaneda und seine Anhänger eine große Rolle spielten. In der Ausstellung eröffnen diese Wüstenbecken sofort den entsprechenden Bildraum im Kopf des Betrachters und setzen einen installativen Auftakt zu dem bildhaften Roadmovie, das einen im weiteren Verlauf der Ausstellung erwartet.

Fakten und Fiktionen - Castaneda gab das eine gewissenlos als das andere aus und den Blick des weißen Mannes auf die Native Americans als Innensicht. Lachauer zieht keine scharfen Grenzen, verwebt beide Ebenen zu einem poetischen Gesamtkunstwerk. So in der Serie "Amerika", in deren Mittelpunkt der in Berlin lebende Amerikaner Barrit steht. Gemeinsam mit ihm wollte Lachauer auf Güterzügen durch die USA reisen, eine Hommage an die Hobos, die legendären Wanderarbeiter des amerikanischen Westens, sollte entstehen. Doch da Barrit bei einer Einreise rechtliche Probleme fürchten musste, ging die Reise statt zu Barrits Mutter nach Colorado/Amerika nach Amerika in Sachsen.

Die Inszenierung des Hobo-Traums ausgerechnet in der Region, in der der größte Traumdeuter des amerikanischen Westens auf deutschem Boden, Karl May, zu Hause war, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Doch die dort entstandenen Bildserien wie auch die mit dem Titel "Landless" - beide oft in verwaschenen Farben, mehr Grau in Grau als in Schwarz-Weiß oder Technicolor - sind oft lakonisch, geradezu berührend. Es sind narrative Bildflächen, die von einer Landaneignung aus verschiedenen Ausgangspunkten erzählen.

Träumten die Hobos von Freiheit und Abenteuer - oft genug auch einfach nur davon, etwas Arbeit zu finden, um sich durchzuschlagen -, so träumten die Figuren Pieter Bruegels im Bild vom Schlaraffenland von sehr viel mehr. Das 1567 entstandene Gemälde als utopisch-ironischer Gegenentwurf zur alltäglichen Härte des bäuerlichen Lebens setzt Lachauer großformatig in Szene, zoomt in einer halbstündigen Kamerafahrt in die Details hinein und sucht das Glück in den Gesichtern der erschöpften Bauern. Dazu ist ein gesprochener Text Lachauers zu hören, den er zusammen mit Moritz Stumm zu einer Sound-Collage verwoben hat.

Um Landverlust und Freiheit der Native Americans geht es in der Arbeit "We Are Unarmed". Die Lakota protestierten 2016 gegen den Bau einer Öl-Pipeline im Standing Rock Reservat, daraus entwickelte sich eine der größten Protestbewegungen der jüngeren Geschichte mit zeitweilig bis zu 5000 Protestierenden in einem improvisierten Camp. Bilder davon gingen um die Welt. Das Foto mit der Schrift "We Are Unarmed" auf der Wand des brennenden Hauses nahm Lachauer und machte daraus ein animiertes Bild, in dem Regen und Schnee permanent auf das Camp niederrieselt, während die Hütte weiterhin brennt. Was für ein Bild für den ambivalenten Zustand des Landes.

Stillstand und Bewegung, Tradition und Veränderung - beide Komponenten inszeniert Cyrill Lachauer oft virtuos in seinen Arbeiten. Ob es die "Rain Dancer" aus Rumämien sind, die im Bärenkostüm durch die Wälder tanzen. Ob die Esel-Tänzer in Italien, die so ihre Männlichkeit betonen. Oder ob es der queere Parkarbeiter Justin ist, der mit der traditionellen Vorstellung des testosterongetriebenen El-Capitan-Bezwingers kollidiert. Unschärfen, Zwischentöne, das In-Between - all das kennzeichnet die Arbeit "I am not sea, I am not land" von Cyrill Lachauer im Haus der Kunst.

Cyrill Lachauer: I am not sea, I am not land, Sammlung Goetz im ehem. Luftschutzkeller im Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, noch bis 12. Sept., Finissage: 12. Sept., 18-21 Uhr, DJ-Set mit Moritz Stumm auf der Terrasse vom Haus der Kunst

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