Kultur-Demo in München:"Sie hebt das Land hervor und lässt es leuchten"

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"Und Zirpen hat natürlich keine große Relevanz": Gerhard Polt wurde per Videobotschaft Teil der Demonstration in München. (Foto: Florian Peljak)

Auf dem Königsplatz demonstrieren Hunderte Kulturschaffende dagegen, von der Politik ignoriert zu werden. Die Frage, wer systemrelevant ist, beantwortet Gerhard Polt - mit einer Fabel.

Von Stephan Handel

Von Stephan Handel Bela tigert. Bela Rieger steht selbst eher selten auf der Bühne, er ist Musikmanager, Künstlerbetreuer, Promoter. Heute aber soll er selber ans Mikrofon und deshalb rennt er unruhig vor der Treppe hin und her, die ihn gleich ins Scheinwerferlicht bringt. Der Anlass ist offensichtlich wichtig genug: Mehrere hundert Kunst- und Kulturschaffende - die Polizei sprach zunächst von 400 Teilnehmern, später von 700, die Veranstalter von den behördlich erlaubten 1000 - haben am Samstagmittag auf dem Münchner Königsplatz demonstriert, um auf die katastrophale Lage ihrer Branche aufmerksam zu machen.

Bei den Gesprächen mit Politikern sei bislang nichts herausgekommen, wird Rieger unter anderem sagen. Ja, der Anlass ist wohl wichtig genug.

Seit März geht schließlich nichts mehr in der Kultur. Konzerte: abgesagt. Theater: geschlossen. Galerien: zu. Das ist nicht nur bedauerlich für Musikhörer, Schauspielfreunde oder Bilderanschauer - bei vielen Künstlern bedroht die Corona-Pandemie mittlerweile die Existenz. Von der Politik fühlen sie sich nicht gehört. Während manche Industriezweige mit Milliardenbeträgen gestützt werden, konnten viele freischaffende Künstler nicht einmal die Soloselbständigen-Hilfe beantragen, denn die darf nur zur Deckung von Betriebskosten verwendet werden. "Ich hab' aber keine Betriebskosten", sagt ein Saxophonist am Rande der Demonstration. "Ich hab' meine Wohnung, da stehen meine Saxophone, und wenn ich einen Auftritt hab', nehm' ich eins und fahr' hin."

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Für das Land Bayern ist Kunst keine "belanglose Zugabe"

Die freiberufliche Bratscherin Veronika Stross hat die Demo organisiert und eine lange Liste von Rednern zustande gebracht. Zum Beispiel den ehemaligen bayerischen Kultusminister Hans Maier, mittlerweile 89 Jahre alt, weshalb er als Einziger einen Stuhl hingestellt bekommt. Maier sagt, wenn Kultur nicht mehr stattfinden dürfe, dann verliere sie an Anziehungskraft, Präsenz und Überlebensfähigkeit. Für das Land Bayern sei Kunst aber keine "belanglose Zugabe": "Sie hebt das Land hervor und lässt es leuchten."

Den Auftakt hat Gerhard Polt per Video-Botschaft gemacht und sich gleich dafür entschuldigt, dass er immer noch der Virus sage und nicht das Virus: "Aber ich sag' ja auch der Weps und nicht die Wespe." Polt war zum Thema Systemrelevanz die Fabel von der Ameise und der Grille eingefallen: Die Ameise schafft den ganzen Sommer, die Grille zirpt immer nur. "Und Zirpen hat natürlich keine große Relevanz." Meint Gerhard Polt.

Werner Schmidbauer und Martin Kälberer (Foto: Florian Peljak)

Die Moderation übernimmt der Sänger, Kabarettist und Münchner Stadtrat Roland Hefter. Er sagt, das hätten viele noch nie bedacht, "dass der Bierzeltmusiker und der Ausdruckstänzer im selben Boot sitzen". Und also kommen die Cagey Strings auf die Bühne, die das Oktoberfest beschallen und andere Lustbarkeiten, nun aber ein Lied mit dem Titel "Schade - nicht systemrelevant" geschrieben haben. "Macht's nur recht laut", rufen sie den Tontechnikern zu. "Damit man's bis in die Staatskanzlei 'nüber hört."

Das Publikum ist mit "bunt gemischt" noch unzureichend beschrieben. Ein nicht mehr ganz junger Mann im Punk-Outfit hat seine Ramones-Jacke angezogen mit dem schönen Lebensmotto "Don't tell me how to live" - was er sicher ganz anders meint als die beiden Frauen, die es für eine gute Idee gefunden haben, einen Sarg auf einen Wagen zu binden. Damit wollen sie aber nicht auf das Kultursterben aufmerksam machen. Sie wollen dies kundtun: "Maskenpflicht ist Kindsmißbrauch". So steht es zumindest auf dem Totenmöbel, das aber von den meisten Teilnehmern ebenso ignoriert wird wie jener Mann, der auf seinem T-Shirt kundtut, dass er das alles für einen großen Schmarrn halte mit diesem Corona.

Für die meisten Teilnehmer ist die Lage jedoch zu ernst, als dass sie sich von selbstgebastelten Flugblättern beeindrucken ließen. Andere sind gekommen, obwohl es ihnen persönlich so schlecht gar nicht geht: Patrick Lindner zum Beispiel nebst Mann Peter Schäfer und Hund Obelix. "Wir stehen hier auch für all die anderen", sagt Lindner. Der Moderator und Musiker Werner Schmidbauer erzählte, dass er ja glücklicherweise seine Fernsehjobs habe, aber: Von zwölf im Oktober angesetzten Konzerten habe er nur fünf spielen können, und in Ravensburg waren nur 48 Leute da. Ein paar Meter weiter steht der Schauspieler Hannes Jaenicke, daneben Manfred Stecher, Axel Hacke schaut kurz vorbei, Konstantin Wecker schickt eine Videobotschaft - Solidarität der prominenteren Kunstschaffenden mit ihren nicht so gut situierten Kollegen.

Julian Nida-Rümelin (Foto: Florian Peljak)

Auf der Bühne kommen währenddessen Musiker zu Wort, Kulturmanager, die Geschäftsführerin des Tölzer Knabenchores, Vertreter der Bühnentechniker und verwandter Berufe. Und Julian Nida-Rümelin, einst Münchner Kulturreferent, später Kulturstaatsminister der Bundesregierung, heute Philosophie-Professor. Seine Rede lässt sich in einem Satz zusammenfassen: "Wenn man auf die letzten Monate zurückblickt, kann man sich erschrecken."

Auch die Politik spricht zum Schluss: Wolfgang Heubisch (FDP), Landtags-Vizepräsident und ehemaliger bayerischer Kunstminister, appelliert an die Staatregierung, die "Verweigerungshaltung aufzugeben". Und Minister Bernd Sibler (CSU), aktuell für die Kultur zuständig, wiederholt die Vorschläge des Ministerpräsidenten vom Mittwoch: ein Soloselbständigen-Programm, ein Spielstättenprogramm, Nachwuchsstipendien. Roland Hefter hatte zu Beginn gesagt: "Wir sind Bühnenmenschen. Wer auf die Bühne geht, der bekommt Applaus." So wird Sibler nur ganz wenig ausgebuht. Aber ganz überzeugt schauen die Demonstranten nicht aus, als er fertig ist.

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