Kulturprogramm:Diese Ballettaufführungen sind in München zu sehen

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Nur ihr passt der goldene Spitzenschuh: Cinderella (Madison Young) und ihr Prinz (Jinhao Zhang) in der Deutschland-Premiere von Christopher Wheeldons Märchenballett an der Bayerischen Staatsoper. (Foto: Serghei Gherciu)

Wenn das Leben seine Leichtigkeit verliert, bringt sie der Tanz zurück mit seiner Energie, Eleganz und Poesie. Ob opulente Handlungsballette oder Körperexperimente, die einen schwindelig machen - ein dynamischer Herbst und Winter im Überblick.

Von Jutta Czeguhn

Ob große Kompanien wie die des Bayerischen Staatsballetts, ob der Tanznachwuchs, Tournee-Ensembles oder Akteure der Freien Szene - gerade die Tänzerinnen und Tänzer standen und stehen in Pandemiezeiten vor riesigen Herausforderungen. Der Tanz lebt von der Energie der anderen, vom direkten Kontakt der Körper. Und vom Publikum. In der Staatsoper, am Gärtnerplatztheater, im Prinzregententheater oder im Schwere Reiter - auf den Münchner Bühnen ist viel in Bewegung in den kommenden Wochen. Hoffentlich.

Cinderella: goldener Spitzenschuh

Die Besitzerin eines goldenen Ballettschuhs wird gesucht. Unwiderstehlich komisch inszeniert Christopher Wheeldon diese berühmteste aller Schuhanproben der Märchenliteratur. 16 Sessel, 16 Anwärterinnen, die ihre viel zu großen Füße in den zierlichen Spitzenschuh pressen, der ja bekanntlich am Ende nur einer passen wird: "Cinderella". Wheeldons Familienballett, Deutschlandpremiere ist am kommenden Freitag im Nationaltheater, ist voller charmanter Einfälle. Dass der Brite das kann, weiß man spätestens seit "Alice in Wonderland", das er vom Royal Ballet in London importierte und mit dem Bayerischen Staatsballetts einstudierte.

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Pandemiebedingt mit knapp einem Jahr Verspätung kommt mit "Cinderella" nun wieder eine dieser opulenten Wheeldon-Wundershows nach München. Mehr als 40 Tänzerinnen und Tänzer schlüpfen in 360 Kostüme, viel Magie, viel Schauwerte auf der Bühne. Der Meister konnte sein 2012 am Dutch National Ballet uraufgeführtes Werk nicht selbst mit der Münchner Compagnie erarbeiten. Er steckt mitten in den Endproben zu einem Michael-Jackson-Musical, das Anfang Dezember am Broadway in New York Premiere hat. Also entsandte er drei Ballettmeister, mit denen er über Video und Telefon engen Kontakt hielt.

Auch diesmal ist der Zugriff des Choreografen auf Stoff und Tanzstile spielerisch theatralisch, und das geht prima auf. So macht er Anleihen bei Charles Perraults "Cendrillon oder der kleine gläserne Pantoffel" wie bei der dunkleren Aschenputtel-Geschichte der Gebrüder Grimm. Und auch Sergei Prokofjews große russische Ballettmusik wird mit Zitaten aus Rossinis "La Cenerentola" gewürzt. Cinderella bekommt aber auch bei Wheeldon ihren goldenen Spitzenschuh zurück und den Prinzen obendrauf. Allerdings, so verspricht er, wird diese Cinderella uns auf dem Weg dahin ziemlich überraschen.

"Cinderella", Bayerisches Staatsballett, Nationaltheater, Premiere, Freitag, 19. November, Weitere Vorstellungen im November, Dezember, März und April, Karten unter www.staatsoper.de .

Bosl-Matinee: Tanzfest

Noch vor dem Ausbruch der Pandemie hatte Jörg Mannes damit begonnen, mit dem Bayerischen Junior Ballett sein Stück "Unsterbliche Geliebte" einzustudieren, dann kam Corona, eine lange Pause, ein applausloser Stream in der Reihe "Montagsstücke" der Staatoper. Man hat sie vermisst, live auf der Bühne, und sie haben es gewiss noch mehr vermisst, die jungen Tänzerinnen und Tänzer. Nach sechs Absagen in den vergangenen zwei Jahren gibt es am 21. und 28. November den Neustart für die Bosl-Matineen im Nationaltheater. Auch Choreograph Jörg Mannes musste für die Herbst-Vorstellungen noch einmal von vorne angefangen, mit neuen Ensemblemitgliedern der Junior Company, die nun zu Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58 tanzen werden, denn um dessen Sehnen nach der bis heute umrätselten Frau soll es gehen.

Federleicht: Zumindest macht der Tanz des Bayerischen Junior Ballets den Anschein, hier in Martina La Ragiones Choreografie "UnHeaven", zu sehen bei den Herbst-Matineen der Bosl-Stiftung. (Foto: Wilfried Hösl)

Ebenfalls eine Neukreation ist Martina La Ragiones Tanztheater "UnHeaven", das während des Lockdowns größtenteils online per Zoom entstanden ist. Hier wird die Staatsoper zum Himmel - kriechend, badend, schwebend bewegen sich die Junioren auf der von weißen Federn bedeckten Bühne zu Carls Orffs "Tanzenden Faunen" . Auch die Studierenden der Ballett-Akademie der Hochschule für Musik und Theater München hatten lange auf das Live-Erlebnis vor großem Publikum verzichten müssen. Bei den Bosl-Matineen nun können sie die ganze Breite ihrer Ausbildung zeigen, etwa in August Bournonvilles sprungverliebten "Divertissements aus dem Ballett "Napoli" oder den Folklore-Zitaten in Dmitri Sokolov-Katunins "Charaktertanz Suite". Am Ende sind die Matineen gewiss ein einziges Tanzfest, wenn dann auch noch Choreograf David Russo aus Mozarts berühmter "Grand Partita Serenade Nr. 10, B-Dur, KV 361" eine "Gran Party(ta)" macht.

Herbst-Matineen der Heinz-Bosl-Stiftung, Sonntag, 21. und 28. November, 11 Uhr, Nationaltheater, Karten unter Telefon 089/33 77 63 oder tickets@ballettstiftung-heinz-bosl.de

Undine: Wasserwesen

Sie sind nie ganz Mensch, sie sind unheimlich, nicht zu fassen, Wasserwesen, Nixen, Meerjungfrauen. Und sie sind Männerphantasien, etwa der Spätromantiker Hans Christian Andersen oder Friedrich de la Motte Fouqué. Der erzählt in seinem Kunstmärchen von Undine, der Tochter eines mächtigen Wasserfürsten. Nur durch den Liebesbund mit einem Menschen kann sie eine unsterbliche Seele erlangen. Der Liebe wegen verlässt sie ihr Element, doch die Sache geht nicht gut aus, für den Mann, der sie verrät. Undine, die Wasserfrau, die Andere, sie rächt sich. "Ein Traumballett" nennt Gärtnerplatz-Ballettdirektor Karl Alfred Schreiner sein "Undine"-Tanzprojekt. Schon allein die Wahl der Musik - Michael Brandstätter dirigiert eine kammermusikalische Fassung von Gustav Mahlers unvollendeter Sinfonie Nr. 10 - gibt vieles vor, ist sie doch vertonter Liebeskummer, ein betörend schöner Nervenzusammenbruch in Noten. Zwischen den Spiegelwänden von Bühnenbildner Heiko taucht die Gärtnerplatz-Compagnie mit Undine ein in die Wellen menschlicher Sehnsucht nach dem Unmöglichen. Und ist ganz weit weg vom Fischschwanz-Kitsch a la Disneys "Arielle".

Das Traumballett "Undine" kehrt ans Gärtnerplatztheater zurück. (Foto: Marie-Laure Briane)

"Undine - ein Traumballett", Gärtnerplatztheater, Mittwoch, 24. und Freitag, 26. November sowie 4. Dezember, Karten unter Telefon 089/2185 1960 oder www.gaertnerplatztheater.de

"Parotia": Schwindelgefühle

Der Strahlenparadiesvogel ( Parotia sefilata) ist ein echter Ballerino, wenn er mit aufgestelltem Federkleid bemerkenswerte Pirouetten dreht. "Parotia" nennt Léonard Engel seine neue Choreografie, Uraufführung ist am Freitag, 19. November, im Schwere Reiter. Schon im Stück "Pavane" (spanisch für Pfau) hat der ehemalige Solist des Bayerischen Staatsballetts Paarungstänze der Vogelwelt und ihren Einfluss auf die menschliche Bewegung analysiert.

Eine stille, hochkonzentrierte Aktion, die sich allmählich ins Spektakuläre weitet: die Choreografie "Parotia" von Léonard Engel, die im Schwere Reiter uraufgeführt wurde. (Foto: Sebastian Kiener)

Damals war es der barocke Schreittanz, diesmal widmet sich Körperforscher Engel dem Urbedürfnis des Drehens, wie es bei Kleinkindern und in den unterschiedlichsten Kulturtraditionen vorkommt. Etwa im Tanz der Derwische, die ekstatisch mit spezieller Atemtechnik Gott entgegen kreiseln. Ein breites Reservoir an Inspiration also, aus dem Engel in seiner Choreografie so etwas wie kinetische Körperskulpturen erschafft. Er steckt seine drei Tänzerinnen und Tänzer in schwere, mehrlagige Kostüme, entworfen von Josa Marx, mit denen sie im Akt des Drehens verschmelzen, die ihnen quasi zum Federkleid werden. Wirbelnd müssen sie sich immer von Neuem im Raum konfigurieren. Diese visuell hypnotische Performance zum Sound des Electronic-Experimental-Duos 9T Antiope kann auch das Publikum schwindelig machen.

Léonard Engel: "Parotia", Freitag, 19., Samstag, 20. und Sonntag, 21. November, 20 Uhr, Schwere Reiter, Dachauer Straße 114, Reservierung unter www.schwerereiter.de

Nussknacker: Zuckerfeenguss

Unverzichtbare Weihnachtsfolklore: Das St. Petersburg Festival Ballett tanzt den "Nussknacker" im Prinzregententheater. (Foto: Guido Ohlenbostel)

Mit dem "Nussknacker" verhält es sich wie mit einem übervollen Teller Plätzchen. Da hat man sich vorgenommen, ihn heuer einmal nicht zu verschlingen. Entschieden zu viel Zuckerfeenguss, zu dick die Klischees. Und dann setzt sich am Ende doch wieder die ganze Familie in Marsch, um sich die übliche (Über-)Dosis Verzauberung abzuholen. Dieses Ballett gehört, geben wir es offen zu, einfach zur Weihnachtsfolklore: Tschaikowskys herrliche Musik und dann das Ganze noch möglichst nahe an der Uraufführungs-Choreografie von Marius Petipa und Lew Iwanow aus dem Jahr 1892, in der E.T. Hoffmanns dunkler Subtext weitgehend unterm Teppich schlummert. Am besten konsumiert man dieses Bescherungszimmer-Ballett getanzt von einer Compagnie russischer Schule wie dem St. Petersburg Festival Ballett, das immer auch pittoreske Special Guests mitbringt. Wenn sich vom 22. Dezember bis 9. Januar im Prinzregententheater die Mäuse und Pfefferkuchen-Soldaten bekriegen, wenn die Zuckerfee samt Partner zum Pas de deux anhebt, dann werden auch chinesische Artisten, Pantomimen und Glasmusizierer dabei sein.

Der Nussknacker, St. Petersburg Festival Ballett, Prinzregententheater, zwischen 22. Dezember und 9. Januar, Abend und Nachmittagsvorstellungen, Karten unter www.muenchenmusik.de

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