Bayerisches Staatsballett:Hygienischer Spitzentanz

Lesezeit: 3 min

Ikonisch: Kaum etwas anderes steht so sehr für klassischen Tanz wie eine Bühne voller weißer Schwäne. (Foto: Charles Tandy)

Das Bayerische Staatsballett beweist mehr Mut als andere Kompanien. Es eröffnet die Spielzeit mit einem pandemie-tauglich adaptierten "Schwanensee"

Von Rita Argauer

Eine ganze Bühne voller Schwäne. Genauer: voller Tänzerinnen, in weißen Tutus mit Federschmuck um den strengen Knoten im Haar. Kaum ein Bild ikonischer für den klassischen Tanz als das der sogenannten weißen Szenen aus Marius Petipas Klassiker zu Tschaikowskis Musik. Dass das Bayerische Staatsballett ausgerechnet mit "Schwanensee" die Spielzeit eröffnet, in der alles so ganz anders laufen muss als zuvor, hat auf jeden Fall Sensationswert. Während andere große deutsche Kompanien wie das Staatsballett Berlin oder das Stuttgarter Ballett derzeit eher auf Galaprogramme und dergleichen setzen - also Choreografien, die sich gut und virustauglich vereinzeln lassen, gibt es in München die volle Schwanenfülle. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn für dieses Stück ist die gesamte Kompanie, Solisten wie Corps de Ballet, gefragt.

Und natürlich ist auch wiederum überhaupt nichts so wie es für die Vorbereitung einer solchen Wiederaufnahme in Prä-Virus-Zeiten normal gewesen wäre. Denn im strengen Bayern darf auch nicht freier agiert werden als anderswo. Man geht es hier nur anders an. In erster Linie war es Ballettmeister Thomas Mayr wichtig, die gesamte Kompanie im Einsatz zu haben. "Die Tänzer haben wahrscheinlich seit ihrer Ausbildung nie eine so lange Bühnenpause gehabt wie jetzt", sagt er. Doch zum Beruf des Balletttänzers gehört die Bühne genauso wie die Stange und der Trainingssaal. Der Tänzerkörper ist nicht nur ein Sportkörper, der seine athletische Form bewahren muss, was er notfalls auch alleine kann. Der Tänzerkörper ist ein Künstlerkörper. Und zur Ausübung dieser Kunst gehören der Auftritt und das Publikum. Dazu gehören die verschiedenen Rollen, die es zu Tanzen gilt. Dazu gehören Ausdruck und Seelenlage. Argument genug für Mayr es zu versuchen, ein so großes Handlungsballett ins Hygienekonzept einzupassen.

Thomas Mayr erhielt seine Ballettausbildung an der Akademie in München. Er tanzte im Ensemble des Bayerischen Staatsballetts und arbeitete dort später als Trainigsleiter. Seit 2015 ist er der leitende Ballettmeister. (Foto: Katja Lotter)

"Die Tänzer fiebern den Vorstellungen entgegen", sagt Mayr. Also wird geprobt. Also wird gefeilt an der Choreografie Ray Barras, der diese Version des "Schwanensee" nach Marius Petipa für das Bayerische Staatsballett Mitte der Neunzigerjahre geschaffen hat. Und doch ist der Fokus dieser spätsommerlichen Probenphase ein ganz anderer als er es noch im März war. Damals studierte Yana Zelensky, ehemalige Primaballerina des Mariinsky Theaters mit Strenge, tiefster Emotion und abgöttischer Detailliebe den Schwanensee in München ein. Dann kam Corona und kein Schwanensee. Jetzt arrangiert Thomas Mayr mit Gewissenhaftigkeit, tiefster Emotion und abgewogener Verhältnismäßigkeit zwischen Kunst und Virus das große Ballett um.

Es gibt ein Konzept. Darin sind die Tänzer in Gruppen eingeteilt, innerhalb derer sie sich näher kommen dürfen. Maximal zehn Tänzer bilden eine Gruppe. Das entspricht dem bayerischen Rahmenhygienekonzept für kulturelle Veranstaltungen. Sollte es innerhalb einer Gruppe zu einer Infektion kommen, fällt nicht der ganze Betrieb in Quarantäne. Es kann lediglich die Gruppe ausgetauscht werden. Außerdem wird viel getestet. Jeder Mitarbeiter des Theaters ist angehalten ein Kontakttagebuch zu führen, um etwaige Infektionsketten schnell nachvollziehen zu können. Jeder ist angehalten, sich vernünftig zu verhalten. Also auch in der Freizeit etwa nicht nachts am Gärtnerplatz rumzuhängen. Aber daran dürften die Tänzer sowieso wenig Interesse haben. Immerhin sind sie heilfroh über die Aussicht, überhaupt wieder auf einer Bühne in halbwegs gewohnter Manier auftreten zu können.

Das Ganze wirkt bürokratisch. Und als krasser Gegensatz zur Arbeit, die in einer professionellen Ballettkompanie sonst geleistet wird. Konkret bedeuten die Maßnahmen: weniger Schwäne und weniger Flexibilität in den Besetzungen. Für die großen Schwanenszenen gibt etwa es drei Gruppen à sechs Tänzerinnen. Doch die Formationen mussten angepasst werden. "Wir haben die Schwanenreihen, die sonst genau hintereinanderstehen jetzt ein bisschen versetzt", sagt Mayr, dann entstehe trotzdem der Eindruck vieler Menschen. Und so konnten Akt Zwei und Akt Vier choreografisch beinahe unverändert bleiben. "Nur einige Laufwege sind minimal anders", sagt Mayr. Doch zwei Szenen mussten komplett gestrichen werden. Dazu gehört leider auch der große Walzer im ersten Akt. Da braucht es zwölf Paare. Da gab es keine Möglichkeit der Anpassung. Statistenrollen wurden auch gestrichen. Manche Umzüge sind nicht möglich, weil sich die Tänzer nicht schnell in den Kulissen hinter der Bühne umziehen können wie das normalerweise der Fall ist. Manche Bildwechsel gehen nicht, weil es keine Pause gibt.

Die Arbeit, die nun beim Disponieren des Trainings und der Proben anfällt, dürfte sich verdreifacht haben. Drei Wochen haben Mayr und seine Kollegen für das Umstellen des "Schwanensee" gebraucht. Doch es gebe noch kompliziertere Stücke, sagt er. Etwa "Spartacus". Doch als nächstes steht erst einmal "Giselle" an. Und da ist es doch praktisch, dass die alten Ballette so streng formalisiert sind. Denn die Gruppen, die im Schwanensee die Schwäne tanzen, können in Giselle eins zu eins für die Willies übernommen werden. Die haben auch weiße Kleider an. Und treten im Normalfall auch in Massen auf.

Schwanensee , Wiederaufnahme: Mittwoch, 9. September, Nationaltheater, Max-Joseph-Platz 2

© SZ vom 09.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: