Gärtnerplatztheater:In der Welt der Wasserwesen

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Das Gärtnerplatztheater macht "Undine" zum Fantasy-Stück

Von Rita Argauer, München

Wenn man mit der Welt, nicht mehr zurecht kommt, sucht man eine Alternative im Transzendenten. Diese Geisteshaltung der Romantik als Weltflucht wird in einer Zeit von unerträglichen Viren und als alternativlos wahrgenommen Systemen voller Ungerechtigkeit wieder attraktiver. Wo im 20. Jahrhundert trotz aller Krisen und Kriege neben abstrakter Kunst auch eine Gewissheit um rationale und neuerbare Lösungswege herrschte, kippt man derzeit also zurück ins Biedermeierliche und ins geistig Außerweltliche. Aus dieser Haltung heraus schafft Gärtnerplatzballettchef und Choreograf Karl Alfred Schreiner ein Handlungsballett zum "Undine"-Stoff. Live im Theater erlebt man also die kleine Meerjungfrau, die ihr Element verlässt, im neuen nicht zurecht kommt und letztlich in Einsamkeit zurückkehrt. Dazu die 10. Symphonie von Gustav Mahler, soweit so sicher zeigt sich das scheidende 19. im neu begonnen 21. Jahrhundert.

Trotzdem schafft Schreiner keinen neuen "Schwanensee", auch wenn das Schlussbild im Wasser mit dominanten Nixen-Männern ein bisschen an den Untergang von Siegfried und Odette erinnert. Aber: Die Wasserwelt zeigt sich mit Glitzerlicht und Glimmerstoff eher als zeitgenössischer Fantasy-Film. Die Menschenwelt dagegen trägt erdfarben oder Neon-Sportbekleidung. Ganz gegenwärtig also und bewegungssprachlich benutzt Schreiner das Material der Moderne. Klar, dass ihn so eine Konstellation reizt. Körper, die sich in völlig differenten Umgebungen völlig verschieden bewegen müssen. Die Menschen also sind eher harsch und zackig, die Meereswesen haben fließende Arme, ihre Beine verschwimmen unter schwingenden Röcken. Was am Anfang noch ein kleines bisschen an die Oberkörper-Tänze vom Wasserballett erinnert, bekommt in der Schlussszene durch wehende Haare und aggressivere Tempi durchaus einen Reiz.

Undine verliebt sich unglücklich in einen Menschen. Die Nähe der beiden wird - gerade sehr bekannt - auch durch große Plexiglaselemente verhindert. Dazu gibt es Mahler, aber in der Kammerfassung, in der die Bläser die wenigen Streicher übertönen. Im Kopfsatz und im Finale fehlt so das Schwelgende und Überwältigende, die Scherzi zeigen transparent heruntergebrochen aber Mahlers visionäre Harmonik, seine harschen Brüche, seinen Vorgriff auf die Moderne. Und da kehren dann Fragen und auch ein Sehnen zurück nach der Klarheit, der weltlichen Unbedingtheit und des gesellschaftlichen Anspruchs der Kunst im 20. Jahrhundert.

© SZ vom 21.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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