Fußball-Weltmeisterschaft:"Zur blödesten Zeit im blödesten Land"

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Vor allem Kinder lassen sich die Freude an den Panini-Sammelbildern nicht nehmen. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Vor der WM in Katar kommt im Landkreis München diesmal keine Vorfreude auf. Viele Gaststätten verzichten auf Public Viewing, auch der Trikotverkauf läuft mehr als schleppend an. Nur die Panini-Sammelbilder verkaufen sich gut wie immer.

Von Stefan Galler, Landkreis München

Eigentlich sind Fußball-Weltmeisterschaften Festtage, für eingefleischte Fans ebenso wie für all jene, die einfach gerne in Gesellschaft mitfiebern. Bei vergangenen WMs war bereits die Vorfreude groß, fuhren schon vor dem Eröffnungsspiel mit Fähnchen geschmückte Autos durch die Gegend. Während des Turniers bevölkerten dann Menschen in Nationaltrikots die Biergärten und versammelten sich vor Großleinwänden. Dass man sich bei der am Wochenende startenden WM in Katar nicht im Freien tummeln wird, liegt natürlich in erster Linie an der Jahreszeit. Dass das Event aber bisher nicht die ganz große Aufmerksamkeit bekommt, hängt auch mit dem Austragungsort zusammen.

Für den Sportwissenschaftler Christopher Huth, der an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg doziert, ist diese Verweigerungshaltung keine Überraschung: "Selten, wenn nicht nie zuvor wurde ein Gastgeber einer WM-Endrunde so kritisch gesehen wie Katar. Die Liste der Kritikpunkte ist lang und geht von Korruption bei der Vergabe über zahlreiche tote Arbeitskräfte auf den Baustellen der Weltmeisterschaft bis hin zum Thema Menschenrechte", sagt der Professor. Auch die homophoben Äußerungen eines offiziellen Botschafter der Titelkämpfe in einer zuletzt gezeigten ZDF-Reportage hätten dazu beigetragen, dass sich das Bild Katars "durch die anstehende WM-Endrunde in der Welt nicht so zum Guten wandeln dürfte wie vor Jahren jenes von Deutschland", so Huth.

Enttäuschung: Gemeinsames, öffentliches Fußballgucken - Public Viewing - wird es heuer kaum geben - im Gegensatz zu vor vier Jahren, wie hier in einem Ayinger Biergarten. (Foto: Claus Schunk)

Die "enorme, nie dagewesene Zurückhaltung", die Huth vor dem Turnier beobachtet, schlägt sich auch in den Plänen der Gaststätten im Landkreis München nieder. Eine Sprecherin des Garchinger Augustiner etwa sagt klipp und klar: "Erstens kosten diese Public Viewings Gema-Gebühren. Und zweitens bemerken wir keinerlei Begeisterung für das Turnier bei unserer Kundschaft, deshalb planen wir auch, Stand jetzt, keine Übertragungen." Das müsse aber nicht so bleiben, wenn die deutsche Mannschaft eine starke Vorrunde hinlegen sollte: "Wenn wir Menschen finden, die es wirklich interessiert, denken wir darüber nach."

Auch in der neuen Gaststätte "Zum wilden Bock" im Ottobrunner Wolf-Ferrari-Haus bleibt die Fußball-WM außen vor: "Bei uns wird nichts gezeigt", sagt Christoph Radde, einer der beiden Wirte. Bei der Europameisterschaft 2024, die in Deutschland stattfinden wird, könne sich das aber durchaus ändern. Das Dreambowl-Palace in Unterföhring verzichtet ebenfalls auf Live-Fußball: "Wir werden keine Spiele bei uns übertragen, da die Nachfrage nicht besteht. Ebenso haben wir eingeschränkt geöffnet aufgrund von Personalmangel", sagt Sybille Dengel, die im größten Bowlingcenter Europas für Veranstaltungen zuständig ist.

Von einem generellen Boykott kann keine Rede sein

Von einem generellen Boykott der Weltmeisterschaft durch die hiesige Gastronomie kann jedoch keine Rede sein. So werden im Max-Bowling in Brunnthal alle Partien, die während der Öffnungszeiten stattfinden, zu sehen sein, wie eine Mitarbeiterin am Telefon erklärt. Im Hachinger Wirtshaus am Sportpark, der Vereinsgaststätte des Viertligisten Spielvereinigung Unterhaching, will man den World Cup ebenfalls nicht ausblenden, wie Vizepräsident Peter Wagstyl betont: "Wir sind eine Sportgaststätte, unser Trainer Sandro Wagner ist als Fernsehexperte in Katar und unser früherer Jugendspieler Karim Adeyemi steht im deutschen Kader. Da würden wir uns ja lächerlich machen, wenn wir das Turnier boykottieren." Wagstyl hat zwar Verständnis für diejenigen, die von der WM diesmal Abstand nehmen, für ihn kommt die aktuelle Empörung aber zu spät: "Dass das Turnier dort stattfindet, kann man jetzt nicht mehr ändern. Man hätte damals auf die Straße gehen müssen, als sich abzeichnete, dass Katar den Zuschlag erhalten würde."

"Da würden wir uns ja lächerlich machen": Weil ihr Trainer Sandro Wagner als Fernsehexperte in Katar ist, wird die Spielvereinigung Unterhaching die WM nicht boykottieren, wie ihr Vizepräsident Peter Wagstyl sagt. (Foto: Sven Leifer/imago/foto2press)

Auch beim anderen Viertligisten im Landkreis gibt es die Katar-WM zu sehen. Die Gaststätte des SV Heimstetten "Zum Kelten" zeigt alle Spiele, die während der Öffnungszeiten ausgestrahlt werden, wie Wirt und Fußball-Abteilungsleiter Michael Matejka mitteilt. Und das "Die 2" in Neubiberg, wo Fußball-Übertragungen seit jeher zum Konzept gehören, will ebenfalls nicht gänzlich auf die WM verzichten: "Alle Abend-Deutschlandspiele werden gezeigt. Drinnen auf TV und draußen auf einer kleinen Leinwand", sagt Geschäftsführerin Kim Hoffmann. Beim Winterzauber, der an allen Adventswochenenden im Außenbereich des Lokals stattfindet, gibt es sogar Glühwein zu den Partien der DFB-Elf.

Pro Woche 1000 Tütchen bestellt ein Unterhachinger Schreibwarenladen

In einigen Wirtschaften wird bei dieser außergewöhnlichen Weltmeisterschaft also beinahe so etwas wie Normalität herrschen. Das gilt auch für ein anderes Geschäftsfeld, das unmittelbar mit dem Event zusammenhängt: Die vor allem bei Kindern beliebten Panini-Sammelbilder. Harry Bittner, der einen Kiosk mit Café am Planegger Bahnhof betreibt, hat eine für das Vorfeld der WM normale Nachfrage festgestellt: "Es läuft schon jetzt ganz okay, aber die Veranstaltung muss erst losgehen, dann wird sich das noch steigern." Auch Wolfgang Proksch, Inhaber eines Schreibwarenladens am Unterhachinger S-Bahnhof, kann über das Geschäft mit den Bildertütchen nicht klagen: "Das funktioniert wie immer, die gehen nicht schlechter als vor vier Jahren." Derzeit bestelle er pro Woche etwa 1000 Tüten, "weil es einen Zehnjährigen nicht interessiert, ob es in Katar politische Probleme gibt". Auch die WM-Sonderhefte von Kicker und Sportbild würden sich "super" verkaufen, sagt der frühere Fußballer, der vor allem in den Achtzigerjahren selbst für die SpVgg Unterhaching auf Torejagd gegangen ist. Er selbst werde die Matches zwar nicht boykottieren, aber auch nicht so begeistert verfolgen wie bei früheren Großveranstaltungen: "Da habe ich mir schon auch mal einen Fernseher ins Geschäft gestellt, das mache ich diesmal sicher nicht."

Zeitschriftenhändler Wolfgang Proksch kann sich nicht beklagen. (Foto: Claus Schunk)

Zumindest dürften also die Schreibwarenhändler durch "Katar 2022" keinen eklatanten Verlust einfahren - das ist bei den Sportartikelhändlern schon anders. Gerademal zwei Deutschland-Trikots habe er bisher verkauft, sagt Hans Forster, der in Grünwald ein Sportgeschäft betreibt. "Und das waren zwei Buben, die bei ihren Eltern so lange gebenzt haben, bis sie es bekommen haben." Bei den vorhergehenden Weltmeisterschaften sei die Nachfrage immer groß gewesen, das sei diesmal nicht der Fall. "Es ist eben nicht Sommer, und die WM ist einfach mit zu vielen negativen Begleitumständen behaftet", so Forster.

Ein Sportgeschäft in Ottobrunn reduziert bereits die Trikotpreise

Ganz ähnlich sieht das Gabi Pliva, Filialleiterin des Intersport-Shops Siebzehnrübl neben dem Isarcenter in Ottobrunn: "Ein paar Tage vor dem Eröffnungsspiel wären wir normalerweise schon ausverkauft, und jetzt muss ich die Preise für die Trikots reduzieren, um überhaupt welche zu verkaufen", klagt sie. "Dieses Turnier ist zur blödesten Zeit im blödesten Land unter den blödesten Umständen." Eines aber sei wichtig: "Wir alle dürfen nicht respektlos sein gegenüber den Fußballern, die dort antreten, denn die können am wenigsten dafür."

Gabi Pliva bleibt auf den Produkten zur WM sitzen. (Foto: Claus Schunk)

Ein Punkt, den auch der Neubiberger Sportwissenschaftler Christopher Huth aufgreift: "Bedauerlich ist, dass die Spieler, für die eine Fifa-Fußball-Weltmeisterschaft das größte sportliche Ereignis ist, am Ende die Leidtragenden sein werden." Er hoffe, dass die Profis "von ihrem medialen Gewicht Gebrauch machen und die Weltmeisterschaft kritisch begleiten". Sollten die deutschen Kicker dann auch noch sportlich erfolgreich sein, wird es ja vielleicht doch noch was mit einem Hauch von WM-Euphorie.

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