Brenner-Nordzulauf:Die Bahn lässt Bürger zeichnen

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Ein Screenshot vom neuen Tool, das die Deutsche Bahn am Montag vorstellte. Die von der Redaktion eingezeichnete Strecke ist willkürlich gewählt und dient lediglich der Veranschaulichung. (Foto: Screenshot: SZ)

Mit einem neuen Online-Programm können Menschen aus den Regionen Ebersberg und Rosenheim erstmals selbst den Gleisverlauf für den Brenner-Nordzulauf entwerfen. Die DB erklärt, jede Idee auf Tauglichkeit prüfen zu wollen.

Von Korbinian Eisenberger, Grafing/Ostermünchen

Mal eben per Mausklick ein Zuggleis zwischen Aßling und Straußdorf verlegen. Es hat etwas von einem Computer-Strategiespiel. Wie wäre es, wenn die Züge durch das kleine Ametsbichl bei Großkarolinenfeld hindurchbrettern? Einfach weil es einem gerade passt. Beim PC-Spiel mag dieser Ansatz vielversprechend sein - beim neuen Online-Projekt der Deutschen Bahn wäre man damit jedoch weniger gut beraten.

Die Menschen in der Region Ebersberg und Rosenheim werden die Ersten sein, die das neue Tool verwenden: Per Mausklick virtuell die Gleise verlegen - zwischen Grafing im Kreis Ebersberg und Ostermünchen im Nachbarkreis Rosenheim startet die Premiere, wie der Schienenkonzern am Montag per digitaler Pressekonferenz mitteilte. Das Ganze ist Teil des umstrittenen Großprojektes Brenner-Nordzulauf, um Verkehr zwischen Italien, Österreich und Deutschland von der Straße auf Schienen zu verlagern. Möglichst durchgängig sollen die Züge 230 Stundenkilometer fahren.

Mit dem Cursor können Bürger dort ihre bevorzugte Variante in einem intuitiven und recht einfach zu bedienenden Tool in das System einzeichnen und einzelne Streckenabschnitte mit Hinweis-Texten versehen. Der "Start" ist nördlich der Ortschaft Weiching unweit von Tuntenhausen und Ostermünchen vorgegeben, ebenso wie das "Ziel" Grafing-Bahnhof. Dazwischen liegt eine Strecke von 17,11 Kilometer Luftlinie. Die gilt es zu füllen.

Das Kartensystem des Programms ähnelt auf den ersten Blick einer Google-Maps-Anzeige, hat jedoch eine Besonderheit: Durch sechs verschiedene Farben werden die sogenannten "Raumwiderstände" gekennzeichnet. Sprich: Der Laie kann auf diese Weise schnell erkennen, ob in einem potenziellen Gleis-Areal ein Naturschutzgebiet, ein Friedhof oder eine geschlossene Siedlung liegt. Jedes der drei bedeutet, dass dieses Gebiet zur höchsten "Klasse" sechs zählt - die am meisten schützenswerte rosafarbene. Straßen, "öffentliche Grünflächen" oder "kleinere Fließgewässer" zählen zur niedrigsten Bahn-Klasse eins der Raumwiderstände.

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Von Korbinian Eisenberger

Widerstand ist das Stichwort bei so gut wie allem, was mit dem gemeinsamen Großprojekt der Deutschen Bahn (DB) und der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB) zu tun hat. Der als längste unterirdische Bahnverbindung der Welt geplante Brenner-Basistunnel und dessen Verbindung mit dem Inntal und schließlich die Ostausläufer Münchens führte entlang der geplanten Strecke zu Protesten jener, die sich und ihre Existenz bedroht sehen. Je konkreter die Pläne werden, desto konkreter auch der Widerstand. Eine der Bürgerinitiativen rechnet so: 42 Hektar Flächenverlust schätzen sie für den Bau der neuen Strecke: Eine Fläche, auf der jährlich 420 000 Liter Milch oder 95 000 Stück Butter oder zwei Millionen Joghurts erzeugt werden könnten.

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Kommentar von Korbinian Eisenberger

Im Kreis Ebersberg befürchten manche, dass die Auswirkungen des Großprojekts auch über Grafing-Bahnhof hinaus zu spüren sein werden. Bürgerinitiativen - etwa in Kirchseeon und Grafing - fordern, den Schallschutz am Gleis zu ertüchtigen, so dass er dem von Neubaustrecken entspricht. Dieser Forderung haben sich die Gemeinden entlang der Strecke wie auch der Landkreis Ebersberg angeschlossen. Noch muss die Bahn viele Fragen klären.

Mit dem Online-Tool zum Selbstzeichnen geht die Bahn nun einen Weg der direkten Bürgerbeteiligung. Neben Rosenheim ist abermals der Kreis Ebersberg Proband, der unlängst mit einem Bürgerentscheid zu Windrädern im Wald über das Bayernland hinaus aufhorchen ließ. Vor dem Entscheid wurden Protestschilder gedruckt, nun also ein Kartenprogramm. Man kann die Zeichnung in Sekunden fertigstellen, oder aber in ernsthafter Detailarbeit. Die Trassen-Zeichnung lässt sich als Download abspeichern, später weiterbearbeiten - und schließlich per E-Mail an die Bahn einreichen. Wie der Projektplaner Dieter Müller am Montag erklärte, werde die Bahn jeden Vorschlag aus der Bevölkerung analysieren und auf Tauglichkeit prüfen, bei der Start und Ziel miteinander verbunden sind. "Wir wollen die Menschen vor Ort miteinbinden", sagte Müller. "So, dass sie aktiv mitwirken können."

Vorgesehen ist eine zweigleisige Neubaustrecke, die elektrifiziert ist - was Oberleitungen nötig macht. Dort fahren sollen künftig Güterzüge und "schneller Personenfernverkehr" - demnach sind auf der Neubaustrecke "keine Personenbahnhöfe" notwendig, so die Bahn. Die maximale Zuglänge soll 740 Meter betragen. Die Gleise zwischen Grafing und Ostermünchen sind ein Ausschnitt der Gesamttrasse zwischen Verona und München, die eben auch zwischen Innsbruck und Franzensfeste (Italien) verlaufen soll, wo derzeit der Brenner-Basistunnel in der Entstehung ist.

Im Oktober soll die Erhebung von Bürgervorschlägen durch das Programm beendet sein, die Ergebnisse fließen in die weiteren Planungen ein. Mit einer Fertigstellung des Brenner-Nordzulaufs ist in etwa 20 Jahren zu rechnen. So lange muss die Bestandsstrecke ausreichen. Dazwischen, im Jahr 2032, geht der Brenner-Basistunnel - laut Plan - in Betrieb.

In den kommenden acht Wochen lässt sich unter karten.db.yourweb.de/brennernordzulauf-draw das Planprogramm im Browser kostenlos aufrufen.

© SZ vom 03.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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