Telemedizin-Studie:Sensor im Ohr soll Sterberate bei Corona-Patienten erheblich senken

Lesezeit: 3 Min.

Mithilfe der Ohrstöpsel soll erprobt werden, ob die Todesrate unter Corona-Infizierten gesenkt werden kann, wenn sie rechtzeitig ins Krankenhaus kommen. (Foto: Andreas Heddergott)
  • Das Klinikum rechts der Isar hat gemeinsam mit der Technischen Universität und dem Gesundheitsreferat eine neue Studie zum Coronavirus entwickelt.
  • Diese soll herausfinden, ob die Todesrate unter Corona-Infizierten gesenkt werden kann, wenn sie rechtzeitig ins Krankenhaus kommen.
  • Ein Stöpsel im Ohr soll dabei die Sterberate bei Corona-Patienten um mindestens ein Drittel senken. Das Gerät überwacht die Vitalfunktionen von Infizierten.

Von Stephan Handel

Der Sanka fährt los, sobald die Ampel auf Rot springt. Denn diese Ampel steht nicht an einer Straßenkreuzung, sie wechselt ihre Farbe auf einem Computermonitor im Klinikum rechts der Isar. Und wenn sie rot wird, dann geht es um ein Menschenleben.

Zu den vielen Forschungsansätzen und Untersuchungsgegenständen rund um das Coronavirus fügt das Klinikum rechts der Isar zusammen mit der Technischen Universität, zu der es ja gehört, und dem Gesundheitsreferat der Stadt München von Donnerstag an einen neuen hinzu: In einer Studie, die ihr Leiter Georg Schmidt "neuartig und sensationell" nennt, soll herausgefunden werden, ob die Zahl schwerer Krankheits-Verläufe und die Todesrate unter Corona-Infizierten gesenkt werden können, wenn sie rechtzeitig ins Krankenhaus und, wenn nötig, auf die Intensivstation kommen.

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Schmidt ist Mediziner, Oberarzt, Professor und am Rechts der Isar Leiter der Arbeitsgruppe Biosignal-Verarbeitung - das zeigt schon, wie die Studie funktionieren soll: Durch Telemedizin soll bei Corona-infizierten Patienten rechtzeitig festgestellt werden, wenn sich ihr Zustand so verschlechtert, dass intensivmedizinische Behandlung notwendig wird. "Wir wissen aus Italien und aus China", sagt Georg Schmidt, "dass die Leute oft schon in sehr schlechter Verfassung sind, wenn sie endlich in die Klinik kommen. Der Zustand zu diesem Zeitpunkt ist aber ausschlaggebend für die Prognose."

Bislang wird positiv getesteten Patienten aufgegeben, isoliert zu Hause zu bleiben, zwei Mal am Tag Fieber zu messen und sich an einen Arzt zu wenden, wenn sich ihr Zustand verschlechtert. Weil aber unter den Infizierten viele ältere Menschen sind, enthält diese Strategie diverse Unsicherheiten: Wird das Fieber erstens überhaupt und zweitens richtig gemessen? Schätzt der Patient seinen eigenen Zustand richtig ein? Wartet er vielleicht zu lange, bis er sich wirklich in Behandlung begibt?

Georg Schmidt ist Oberarzt am Klinikum rechts der Isar und leitet die neue Studie zum Coronavirus und dessen Verlauf. (Foto: Andreas Heddergott)

Abhilfe soll ein kleiner Stöpsel bringen, der entfernt aussieht wie ein Hörgerät und auch tatsächlich im Ohr angebracht wird. Der Stöpsel ist aber ein Sensor, der alle 15 Minuten die sogenannten Vitalfunktionen des Patienten misst, das sind die Körpertemperatur, die Atem- und die Herzfrequenz sowie die Sauerstoffsättigung im Blut, außerdem vier Mal täglich einen weiteren Parameter, der dem Arzt Auskunft über den Allgemeinzustand des Patienten gibt.

Diese Daten sendet der Ohrstöpsel zunächst an einen Minicomputer in der Wohnung des Patienten. Von dort gelangen sie ins Rechts der Isar und werden 24 Stunden am Tag beobachtet und beurteilt - zum einen von einem Computeralgorithmus, zum anderen aber auch von medizinischem Fachpersonal: Zu neu ist die Methode noch, als dass man sich nur auf den Rechner verlassen würde.

Das Ergebnis zeigt schließlich die Ampel an: Grün bedeutet, dass alles okay ist. Bei Gelb wird der Patient angerufen und eventuell ein Untersuchungstermin vereinbart. Bei Rot wird sofort und ohne Umwege der Rettungsdienst verständigt, um den Patienten in die Klinik zu bringen. Die Studie ist zunächst auf 1200 Teilnehmer angelegt. Sie werden vom Gesundheitsamt der Stadt angesprochen, wenn sie drei Kriterien erfüllen: Sie sollen älter als 60 Jahre sein, gerade frisch positiv auf Corona getestet, aber nicht in Intensivpflege oder unter Beatmung stehen - also solche Patienten, die sich im eigenen Zuhause unter Quarantäne befinden.

Wenn die so Identifizierten sich als freiwillige Teilnehmer melden, fährt ein Kurier los und legt eine Lieferung vor die Tür. Darin enthalten: Informationsbroschüren, diverse Formulare zum Ausfüllen und Unterschreiben sowie ein versiegeltes Päckchen, das erst geöffnet werden soll, wenn der Patient sicher ist, dass er mitmachen möchte. Darin findet er nun den Ohrstöpsel sowie eine schwarze Box, etwas größer als eine Zigarettenschachtel, mit einem Stromkabel dran. 350 Euro kostet so ein Set, ist aber für die Studienteilnehmer kostenlos. Den Stöpsel im Ohr platzieren, die Box an eine Steckdose anstecken - mehr ist nicht zu tun, schon beginnt das Set eigenständig mit seiner Arbeit.

Studienleiter Schmidt erhofft sich von dem Projekt eine Senkung der Sterberate in der Studiengruppe um mindestens ein Drittel gegenüber anderen unüberwachten Patienten - zudem Erkenntnisse über Möglichkeiten und Chancen von Telemedizin. Schmidt betont noch, dass er nicht lange auf die Bearbeitung von Förderanträgen zur Finanzierung der Studie warten musste: Innerhalb von zwei Tagen waren elf Münchner Sponsoren geworben, die zusammen fast 500 000 Euro aufbrachten; unter anderem stellt die Autovermietung Sixt Fahrzeuge für die Kuriere zur Verfügung. Die Patienten sollen jeweils zwei Wochen per Sensor überwacht werden - wenn sie diese Zeitspanne überbrückt haben, dürfte sicher sein, dass sie Corona überstanden haben. Georg Schmidt ist sich schon jetzt sicher: "Diese Methode rettet Menschenleben."

Korrekturhinweis: In einer früheren Version hieß es, die Patienten würden zwei Monate per Sensor überwacht. Tatsächlich sind es nur zwei Wochen.

© SZ vom 22.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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