Favoriten der Woche:Ganz, ganz wunderbar

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Bruno Ganz, hier als Hamlet an der Schaubühne Berlin im Jahr 1982, war der Lebensgefährte von Ruth Walz. (Foto: Ruth Walz)

Die Theaterfotografin Ruth Walz stellt Bühnenmomente in Salzburg aus. Diese und weitere Empfehlungen der Woche aus dem SZ-Feuilleton.

Von Christine Dössel, Martina Knoben, Cornelius Pollmer, Egbert Tholl und Clara Westhoff

Ausstellung in Salzburg: Theaterfotografien von Ruth Walz

Das Theater ist eine flüchtige Kunst. Festhalten lassen sich allenfalls Momente. Die Fotografin Ruth Walz ist darin eine Meisterin. Sie hat neben ihrer Theaterleidenschaft und ihrem feinen Blick für Menschen im Raum einen entscheidenden Vorteil: den der Nähe zu den Ausübenden. Walz ist Teil der Familie. 1976 wurde die heute 82-Jährige zur Hausfotografin an der Berliner Schaubühne, die damals Geschichte schrieb, und somit zur Chronistin der Zeit. 1990 kündigte sie und folgt seither ihren Lieblingsregisseuren überallhin. Sehr oft nach Salzburg, wenn sie dort bei den Festspielen inszenieren, meistens dann: Opern.

Eine Auswahl ihrer Bilder ist derzeit unter dem Titel "Vorhang auf!" im Rupertinum, dem Salzburger Museum der Moderne in der Altstadt, zu sehen (bis 12. November). Zum Beispiel, wandfüllend, eine Szene aus "Salome" von Richard Strauss in der kunstmächtigen Inszenierung von Romeo Castellucci mit der darin brillierenden Asmik Grigorian (2018): Wie ein Opferlamm kauert Salome gefesselt auf einem Quader vor dem imposanten Gemäuer der Felsenreitschule und verweigert den Schleiertanz. Oder, vom selben Regisseur, "Herzog Blaubarts Burg" (2022), diesen Einakter von Béla Bartok, den 1995 auch schon Robert Wilson bei den Festspielen inszenierte. Einmal lodernd, einmal formstreng. Die Schau ermöglicht den Detailvergleich.

Aber es geht nicht nur um Oper und Salzburg. Das titelgebende Vorhangmotiv wird auf mehreren Fotografien variiert. Der Vorhang ent-deckt, verhüllt und verselbständigt sich, weht und tanzt über die Bühne. Das Flüchtige des Bühnenmoments - hier manifestiert es sich auf magische Weise. Aber auch in einer gestisch und mimisch detailfeinen Schwarz-Weiß-Bilder-Studie der Opernsängerin Jessye Norman. Andere Fotografien sind aus der Schaubühnen-Zeit oder privat entstanden. Die Auswahl scheint sehr subjektiv. Kuratorin Kerstin Stremmel sagt, Walz wollte gerne auch ihre "Theaterfamilie" zeigen. An einer Wand im obersten Raum hängen kleine Porträts von befreundeten Künstlerinnen, Künstlern, Weggefährten, von Pierre Audi bis zu Angela Winkler.

Der schönste Raum ist dem 2019 gestorbenen Bruno Ganz gewidmet. Er war Walz' Lebensgefährte. Ganz in jungen Jahren und später. Ganz mal mit Peter Handke, mal mit Botho Strauß. Hier in Großaufnahme als Hamlet (1982), dort in einer Serie von Silbergelatineabzügen in "Prometheus, gefesselt" (1986). Ganz, ganz wunderbar. Augenblicke für die Ewigkeit. Christine Dössel

Comic: "Oh Cupid" von Helena Baumeister

Selbst die Vögel kichern, die die beiden belauschen: "Oh Cupid", erschienen im Avant Verlag. (Foto: Avant Verlag)

Ein Comic über die Liebe in den Zeiten von Online-Dating, so originell, treffend und witzig, dass das Buch mehrfach ausgezeichnet wurde, zuletzt beim Comicfestival München. Weil sich Helena - dahinter steckt die Zeichnerin Helena Baumeister selbst - nach Nähe und unverbindlichem Sex sehnt, verabredet sie sich mit Männern, einer gefällt ihr, sie will ihn wiedersehen. Die Unverbindlichkeit, die die Dating-Plattformen suggerieren, wird dann zunehmend zum Problem. Was will Helena? Und was ihr Datingpartner? Fängt, wer unverbindlich miteinander schläft, noch eine Beziehung an? In "Oh Cupid" (Avant Verlag) sind die Gefühle der Figuren nicht zu übersehen. Wenn etwa Helena sich fühlt wie ein nervöses Huhn, zeichnet Baumeister sie mit Hühnerkopf und schreibt "Gackeldi Gickel" dazu. Auch die Verrenkungen beim Sich-Annähern nimmt die Zeichnerin wörtlich. Das ist sehr lustig, genauso wie die Dialoge und inneren Monologe der Figuren. Selbst die Vögel kichern, die die beiden belauschen: "Hihihihihi, was geht denn bei DENEN ab!" Martina Knoben

Schlagerkonzerte: "Kaisermania" in Dresden

Die Kaiser-Ultras sind, wie der Künstler selbst, friedliebend. (Foto: Matthias Rietschel/dpa)

Vor 20 Jahren gab der Schlagerkünstler Roland Kaiser sein erstes Konzert im Rahmen der Dresdner "Filmnächte am Elbufer", 3500 Menschen kamen, und der Abend wäre heute keiner Rede mehr wert, hätten sich Stadt und Sänger seinerzeit nicht über alle nur vorstellbaren Hälse und Ohren ineinander verliebt und jeweils eine gewisse Hemmungslosigkeit in sich entdeckt, die seitdem weitgehend freies Spiel hat. Aus dem Abend wurde eine Reihe, die schon "Kaisermania" hieß, als die Leute noch nicht überall mit Hashtags um sich warfen - die 60 000 Tickets für fünf Jubiläumskonzerte am vergangenen wie an diesem Wochenende waren wieder verlässlich binnen Tagesfrist verkauft. Unter den Konzertgängern sind dabei inzwischen vermehrt auch solche der Extremkategorie "Ultra", was speziell in Dresden ja nicht immer etwas Gutes heißt. Die Kaiser-Ultras aber sind wie der Künstler selbst friedliebend und zeichnen sich schlicht dadurch aus, dass sie nicht eines seiner Konzerte besuchen, sondern alle fünf. Da darf man in jedem Fall viel Freude wünschen und gute Besserung natürlich auch.

Und der Schlagerspaß hört an den säumenden Bauzäunen eines der schönsten Konzertgelände überhaupt noch nicht auf. Die Wiese zwischen Carola- und Augustusbrücke verwandelt sich an den Kaisermania-Abenden in ein kleines deutsches Woodstock, und wenn die Leute mit ihren faltbaren Picknickkörben mehr oder minder angezündet heimgehen, rückt die Stadtreinigung an, damit der Wahnsinn am nächsten Abend von vorne losbrechen kann. Die Sächsische Zeitung hat recherchiert, dass das weite Feld von "in erster Linie Sektflaschen und Pizzakartons" zu beräumen ist, mehr muss man eigentlich auch gar nicht wissen - und will es aber doch, weil Teil des prickelnden Rätsels "Kaisermania" immer bleiben wird, warum dieser feinsinnige, um gesellschaftlichen Zusammenhalt sich ernstlich Gedanken machende, außerhalb seiner Lieder oft leise Künstler Roland Kaiser sein Herz ausgerechnet in Dresden gelassen hat. Aber manche Liebe versteht man eben nicht, und kann sie doch, mit Sehnsucht wie Verwunderung, immer wieder neu bestaunen. Cornelius Pollmer

Klassik-CD: Händels "Theodora"

Die Besetzung dieser Aufnahme ist in Prominenz und Können fast schon ein grandioser Aberwitz. (Foto: Warner Classics/ Erato)

Vor einiger Zeit erzählte Donna Leon in einem Interview, nach getaner Arbeit höre sie Musik. Müsste sie nicht schreiben, täte sie das die ganze Zeit. Momentan vor allem Musik von Georg Friedrich Händel, dessen Oratorium "Theodora", in einer Aufnahme mit dem fabelhaften italienischen Barockensemble "Il Pomo d'Oro", dem sie ohnehin sehr zugetan ist. Tatsächlich, man versteht Frau Leon. Die Aufnahme, geleitet von Maxim Emelyanychev und erschienen auf dem Label Erato, ist ein Wunder an feinster Poesie, überirdisch leicht und immer wieder berückend intim. Die Besetzung ist in Prominenz und Können fast schon ein grandioser Aberwitz: Lisette Oropesa, Michael Spyres, Joyce DiDonato, um nur drei der Solisten zu nennen. "Theodora" ist keine Oper, ist ein - durchaus vom Glauben unterfüttertes - Oratorium von vollendeter Schönheit, weniger Drama als ein traurig sanfter Liebestraum. Egbert Tholl

Youtube-Kanal: "Colors"

Die "Colors X Studios" haben insgesamt mehr als 2,5 Milliarden Aufrufe auf Youtube. (Foto: Colors X Studios)

Musik von talentierten Newcomern entdeckt man heute bei Tiktok und in kuratierten Playlists von Musikstreaming-Apps. Es gibt darüber hinaus aber auch die "Colors X Studios", eine besonders gut kuratierte digitale Bühne für bislang weitgehend unbekannte Talente. Schon die Ästhetik dieses Youtube-Kanals ist unverwechselbar. Jeder Sänger, jede Sängerin steht in einem leeren, einfarbigen Raum. An einem langen Kabel hängt ein Mikrofon von der Decke. Zu sehen sind in den mittlerweile mehr als 800 Videos Musiker aus sämtlichen Genres und Ländern, allesamt extrem talentiert. Hinter dem Format stecken zwei deutsche Männer, die anfangs gar keine Kontakte in die Musikbranche hatten. Trotzdem hat ihre Show einigen Künstlern zum möglicherweise entscheidenden viralen Moment verholfen, darunter Mahalia, Goldlink oder Billie Eilish, die vor ihren "Colors Shows" nur 35 000 Abonnenten auf Youtube hatte. Clara Westhoff

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