Bayern-SPD:Von wegen "Pipifax"

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Bei der Bayern-SPD hat die Debattenkultur seit Kurzem Fahrt aufgenommen. Es geht innerparteilich hoch her, ob Generalsekretär Arif Taşdelen sich jungen Frauen gegenüber unangemessen verhalten hat. (Foto: Noah Wedel/Imago Images)

Eklat um Arif Taşdelen: Die ehemalige Bundesministerin Renate Schmidt hält die Vorwürfe gegen den SPD-General für absurd. Nun widersprechen ihr Sozialdemokratinnen vehement.

Von Andreas Glas und Olaf Przybilla, München / Nürnberg

Für Cornelia Spachtholz ist Renate Schmidt eine "Politikikone", eine "Sprachakrobatin in einer Durchsetzungsstärke", die sie immer bewundert habe. Dass aber die Jusos angeblich gerade "Pipifax" produzieren, wie Schmidt das in der Freitagsausgabe der Süddeutschen Zeitung genannt hat, kann sie beim besten Willen nicht nachvollziehen. Die sozialdemokratische Jugendorganisation hat den SPD-Generalsekretär Arif Taşdelen zur unerwünschten Person auf ihren Veranstaltungen erklärt, weil dieser sich jungen Frauen gegenüber unangemessen verhalten haben soll. Die Nürnbergerin Schmidt war zwischen 2002 und 2005 als Bundesministerin fürs Ressort Familie, Senioren, Frauen und Jugend zuständig, nicht nur in der SPD gilt sie spätestens seither als Vorkämpferin für die Interessen von Frauen. Und nun produzieren die Jusos "Pipifax"?

Spachtholz, 55, war bis 2022 sechs Jahre lang in Nürnberg Vorsitzende in der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF), mit so einer Formulierung "laufen wir Gefahr, Sachverhalte zu verharmlosen", sagt sie. Genau dagegen müsse man aber angehen. So knackig die frühere Vorsitzende der Bayern-SPD formuliere, an der Stelle müsse man ihr deutlich widersprechen. "Frauen sind weiterhin strukturell und kulturell diskriminiert", sagt Spachtholz, da sei ein Wort wie "Pipifax" einfach nicht angemessen.

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Nachdem die Jusos Arif Taşdelen für "unerwünscht" erklärt haben, entspinnt sich in der Bayern-SPD eine Debatte, die weit über den Fall hinausweist. Es geht um das Verhalten von Männern gegenüber Frauen und um die Frage, was angemessen ist - und was nicht.

Von Andreas Glas und Olaf Przybilla

Gibt es da nun einen Clash der Frauen-Generationen in der SPD? In der SZ hatte die Nürnberger Juso-Vorsitzende Linda Reinke dafür plädiert, es müsse möglich sein, dass Frauen sagen, "wenn sie sich unwohl fühlen". Taşdelen soll mit lästigen Kontaktversuchen für solches Unwohlsein bei jungen Frauen gesorgt haben. Dass dergleichen reflexartig als "Schneeflöckchen-Thema für Sensibelchen" abqualifiziert werde, sei falsch, sagte Reinke.

Bereits im September hatten die bayerischen Jusos beschlossen, auf ihren Veranstaltungen künftig auf Taşdelen zu verzichten, ein beispielloser Vorgang. Für Spachtholz stelle sich da eine Frage: Wann genau der Landespartei diese Juso-Beschlusslage vorlag? Sie bemühe sich um Antworten, bekomme sie aber nicht. Was seltsam ist, auf SZ-Nachfrage haben die SPD-Landesvorsitzenden Florian von Brunn und Ronja Endres am Mittwoch mitgeteilt, dass sie "Ende September von dem Beschluss erfahren" und danach "mehrere Gespräche" mit Taşdelen und den Jusos geführt hätten. Doch außerhalb dieses kleinen Kreises erfuhr offenbar kaum jemand von den Vorwürfen.

"Es ist den Jusos zu verdanken, dass diese Debatte über Sexismus und die Diskriminierung von Frauen jetzt geführt wird", sagt Cornelia Spachtholz, die lange Zeit Vorsitzende in der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen in Nürnberg war. (Foto: privat)

Was offenkundig sei, sagt Spachtholz: "Es ist den Jusos zu verdanken, dass diese Debatte über Sexismus und die Diskriminierung von Frauen jetzt geführt wird." Spachtholz war selbst viele Jahre im Coaching tätig, die Diskussion nun könne Frauen in und außerhalb der SPD ermutigen, "auf ihr Bauchgefühl zu hören", zu signalisieren, "wenn eine Grenze überschritten ist" - und wann "der Augenblick gekommen ist, sich innerhalb der für sie zuständigen Institution Unterstützung zu holen". So wie es nun bei den Jusos geschehen ist. Dort hätten junge Frauen, "den Schritt gewagt, sich jemandem anzuvertrauen". Was Überwindung koste. Zumal man Gefahr laufe, dass hernach jemand eine Betroffenheit als "Pipifax" herunterspiele. Und die Beschlusslage der Jusos schlimmstenfalls lächerlich mache.

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Sehr ähnlich klingt das bei Carolin Wagner, Bezirkschefin der SPD Oberpfalz. "Wenn sich mehrere junge Frauen unwohl fühlen aufgrund des Verhaltens einer Person mit Macht-Status, ist das kein ,Pipifax'", twitterte Wagner. Es sei "gut, dass die Frauen sich gemeldet haben - viel zu oft ziehen sich Frauen nach derartigen Situationen zurück. Am Ende sind die Frauen weg, die Männer bleiben - ohne sich bewusst zu sein, dass ihr Verhalten dazu geführt hat." Wenn sich jemand unwohl fühle, habe das "nichts mit übertriebener Sensibilität zu tun, sondern damit, dass die persönlichen Grenzen derjenigen Person überschritten worden sind".

Auch Maria Noichl hat den "Pipifax"-Satz auf Twitter kommentiert. Sie stehe auf der Seite der Frauen, "die Opfer wurden", schrieb die Europaabgeordnete, die als AsF-Bundesvorsitzende oberste Fürsprecherin der Frauen in der SPD ist. Wer bei ihr nachhakt, bekommt zunächst einmal eine Klarstellung zu hören: Sie kenne keine Details im Fall Taşdelen. Ihr gehe es ganz allgemein um "das Prinzip des Opferschutzes". Für Noichl bedeutet das: "Wenn Frauen sagen, hier war etwas übergriffig, dann darf nicht die erste Reaktion sein: Spinnt die schon wieder? Sondern die erste Reaktion muss sein, sich dem Opfer zuzuwenden und auf der anderen Seite zu fragen: Überleg dir, ob du etwas falsch gemacht hast!"

Fakten müssten auf den Tisch gelegt werden, sagt Brunn

Im Fall Taşdelen nimmt Noichl nun die SPD-Landesvorsitzenden Brunn und Endres in die Pflicht: "Ich erwarte, dass die Parteispitze hier tätig wird und hier Aufklärung kommt." Was auch Noichl offenkundig ärgert: Dass Brunn und Endres den Juso-Beschluss gegen Taşdelen nicht offen in der Partei kommuniziert haben, obwohl sie ja seit September davon wussten, also seit drei Monaten. Noichl fordert eine Präsidiumssitzung zum Fall Taşdelen, und zwar so schnell wie möglich. Brunn und Endres müssten dringend dafür sorgen, dass die Vorwürfe gegen den Generalsekretär "auf den Tisch" kommen. "Ich bin Mitglied im Parteivorstand in Bayern und ich kann nur sagen: Bisher weiß ich nichts", so Noichl.

Auch er wünsche sich, dass "Fakten auf den Tisch gelegt werden", sagt Parteichef Brunn, und zwar von den Jusos. Dass deren Beschluss gegen Taşdelen nicht breit kommuniziert wurde, habe auch damit zu tun, dass die Jusos selbst nicht gewollt hätten, "dass die Betroffenen in die Öffentlichkeit getragen werden". Diesen "Konsens" habe es mit den Jusos auch bei der Entscheidung gegeben, Taşdelen aus der Öffentlichkeit zu halten, sagt Brunn. Dafür habe er die Kontrollkommission der Bayern-SPD informiert. Der bayerischen AsF habe er inzwischen den Vorschlag gemacht, "neutral und objektiv" aufzuklären, mit Rücksicht auf alle Beteiligten. Er wehre sich dagegen, Taşdelen vorzuverurteilen, sagt Brunn.

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