Das Reden übernehmen bei den Grünen erst einmal die Bundesvorsitzende Ricarda Lang und Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Die betont, dass dieses Ergebnis so oder so das zweitbeste der Grünen überhaupt in Bayern ist. "Stabil verankert" sei man in Bayern, so lautet die Sprachregelung, die sich die Spitzengrünen zurecht gelegt haben. Auch Spitzenkandidatin Katharina Schulze greift in ihren ersten TV-Statements im Maximilianeum zu dieser Formulierung. Zweitbestes Ergebnis jemals, stabil verankert: Viel mehr lässt sich lange nicht sagen an diesem Wahlabend, denn das die Grünen trotz ihres zweitbesten Ergebnisses im Freistaat nicht wieder zweitstärkste Kraft werden in Bayern, das wird sich erst später am Abend herausstellen.
Am Anfang des Abends sehen die Wahlprognosen, die der Bayerische Rundfunk in Auftrag gegeben hat, die Grünen noch einen Prozentpunkt vor der AfD - doch die Wahlforscher im ZDF sehen sie schon knapp dahinter. Zwei Stunden nach Schließung der Wahllokale scheint sich in den Hochrechnungen dann ein Trend zu verfestigen: Die Grünen liegen jetzt da wie dort hinter der AfD, es bliebe ihnen bestenfalls Platz drei in den einen Hochrechnungen und Platz vier in den anderen, dort dann auch noch hinter den Freien Wählern.
Einen Rechtsruck erkennen die Grünen in all dem, ganz unabhängig von ihrer eigenen Platzierung. Denn die CSU und die Freien Wähler hätten von ihrem Populismus nicht selbst profitiert, sagt die Grünen-Landesvorsitzende Eva Lettenbauer. Vielmehr habe die von den beiden Regierungsparteien geschürte Feindseligkeit gegenüber den Grünen "vor allem der AfD geholfen". Für die Grünen heiße es jetzt, "gegen Rechtspopulismus und diesen Rechtsruck anzukämpfen".
Anstand und Respekt sind weitere grüne Stichwörter an diesem Wahlabend. Die brauche es nämlich jetzt, sagt unter anderem Claudia Roth, und wenn es nach ihr und den anderen führenden Grünen ginge, dann würden Anstand und Respekt nun jedenfalls dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder und seiner CSU gebieten, auch mit den Grünen über eine Koalition zu sprechen. "Was war das für ein Schmarrn, definieren zu wollen, wer dazu gehört und wer nicht dazugehört", ruft Roth, denn Bayern sei nicht die CSU, und die CSU sei nicht Bayern. "Wir sind Bayern", sagt Schulze kurz danach.
Und doch werden die Bewertungen im Laufe des Abends immer vorsichtiger, die Gefühle gemischter. Dafür, wie den Grünen der Wind ins Gesicht geblasen habe, habe man doch "ein ganz gutes Ergebnis" eingefahren, sagt Schulzes Co-Spitzenkandidat Ludwig Hartmann. Der Münchner Abgeordnete Christian Hierneis bangt noch um den Stimmkreis, den er 2018 gewonnen hatte. Er ist noch ein bisschen zurückhaltender als Hartmann und nennt das Ergebnis "nicht so schlecht". Der DJ in der Muffathalle legt trotzdem "Sing Hallelujah" auf, und statt immer nur weiter zu zittern, gehen die ersten Gäste erstmal tanzen. Ist ja das zweitbeste Wahlergebnis in Bayern seit eh und je. In München werde man wohl wieder deutlich stärkste Partei. Eines von den zuletzt fünf grünen Direktmandaten in München geht aber wohl an die CSU, auch das eine Direktmandat in der Stadt Würzburg können die Grünen nicht halten.
Ihr immer noch allerbestes Ergebnis in Bayern hatten die Grünen bei der Landtagswahl 2018 erreicht. 17,6 Prozent waren das damals, eindeutig zweitstärkste Kraft mit satten sechs Prozentpunkten Vorsprung vor den Freien Wählern und sicheren 7,4 vor der AfD. Die absolute Mehrheit der CSU war auch gebrochen. Die Grünen hatten sich schon als die neue Volkspartei gesehen und von der nun notwendigen "Demut" gesprochen - Demut auf Seiten der CSU.
Sogar die nun vermutlich vergebens verlangten Sondierungsgespräche mit der CSU hatte es 2018 gegeben, aber die waren schon nicht mehr so erfolgreich, und dass es auch nach dieser Wahl wieder so weit kommen könnte, das glaubte auch bei den Grünen schon länger niemand mehr. CSU-Chef Markus Söder sagt den Grünen auch in diversen Statements direkt am Wahlabend noch mehrmals ab. Eine grüne Regierungsbeteiligung hatte er in den vergangenen Monaten unter anderem schon in einer dreistelligen Zahl von Bierzeltreden so vehement ausgeschlossen, dass sogar der sonst recht wendige Söder kaum so schnell wieder die Richtung ändern könnte. Er und die CSU haben die Grünen im Wahlkampf zum Hauptgegner gemacht, ihnen das angebliche "Bayern-Gen" abgesprochen und immer wieder in Frage gestellt, ob sie überhaupt zu Bayern gehören. FW-Chef Hubert Aiwanger, noch so ein selbst erklärter Antipode der Grünen, hat sogar ausgerechnet diese indirekt für den Aufstieg der AfD verantwortlich gemacht.
Dass sich die Grünen selbst für den Wahlkampf dennoch ein "Regierungsprogramm" gegeben hatten, haben die zuletzt tatsächlich Regierenden höchstens mit Hohn und Spott bedacht - und Hohn und Spott waren dann oft noch das Geringste, was den grünen Wahlkämpfern vor allem in den Bierzelten draußen auf dem Land entgegenschlug.
Oft genug sind die grünen Wahlkämpfer wegen echter oder angeblicher Fehlleistungen der Ampelkoalition im Bund ausgebuht und ausgepfiffen worden und mussten selbst anbrüllen gegen das halbe Zelt. Bei einem Auftritt von Spitzenkandidatin Katharina Schulze in der Nähe des Chiemsees wurden draußen vor dem Zelt noch Tomaten, Eier sowie große Steine und kleine Steine zum Werfen angeboten - ein Scherz, wie es hinterher hieß. Ein paar Wochen später in Neu-Ulm hat dann tatsächlich jemand einen Stein Richtung Bühne geworfen. Rein physisch getroffen hat er Schulze und Hartmann damit nicht.
Vom dicken X konnte längst nicht mehr die Rede sein
Dass sich Hartmann nach dieser Wahl wieder selbst von der Bühne werfen würde so wie 2018, als er sich in der Muffathalle zusammen mit Robert Habeck als Stagediver von jubelnden Parteifreunden auf Händen tragen ließ, durfte ohnehin niemand mehr erwarten. Zwar hatte Hartmann noch Anfang des Jahres als Wahlziel "20 Prozent plus ein sehr, sehr dickes X" ausgegeben. Und in den Umfragen hatte sich ja noch im Sommer vergangenen Jahres ein Fünftel der Befragten zu den Grünen bekannt. Als Hartmann im Januar vom dicken X sprach, da waren es aber nur noch 18 Prozent, und zuletzt waren die bayerischen Grünen in den Umfragen über all die Monate hinweg auch von dieser Marke weit entfernt.