Zugunglück bei Garmisch-Partenkirchen:Was über das Zugunglück bekannt ist

Zugunglück bei Garmisch-Partenkirchen: Drei Tage nach dem Zugunglück bei Garmisch-Partenkirchen gehen die Aufräumarbeiten voran.

Drei Tage nach dem Zugunglück bei Garmisch-Partenkirchen gehen die Aufräumarbeiten voran.

(Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Wie weit ist die Bergung des Bahnwracks in Burgrain? Was ist über die Opfer bekannt? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Anna Ernst, Ana Maria Michel, Katja Schnitzler und Lisa Sonnabend

Was ist passiert?

Um kurz nach 12 Uhr fuhr am Freitag die Regionalbahn RB59458 in Garmisch-Partenkirchen los, um 13.26 Uhr sollte sie laut Fahrplan am Münchner Hauptbahnhof eintreffen, doch sie kam dort nie an. Wenige Minuten nach der Abfahrt bog der Zug mit Doppelstockwagen in eine langgezogene Kurve ein - und entgleiste. Drei der fünf Waggons rutschten von den Gleisen, die an der Stelle erhöht auf einem Bahndamm liegen. Ein Wagen hing schräg über der Böschung. Die anderen beiden Waggons kippten nach unten, einer blieb auf der Seite liegen, der andere auf dem Dach.

Was ist über die Opfer bekannt?

Die Passagiere kämpften sich aus den Wagen, doch nicht alle schafften es. Mindestens fünf Menschen verloren bei dem Zugunglück ihr Leben. Eine Person verstarb auf dem Weg zum Krankenhaus, es handelt sich um eine Frau, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Freitagabend dem Bayerischen Rundfunk. Drei weitere tote Frauen wurden unter dem Zug liegend gefunden und am Freitagabend geborgen. Die Identifizierung der Todesopfer ist inzwischen abgeschlossen, wie die Polizei am Sonntagvormittag mitteilte. Es soll sich um drei Frauen im Alter von 30, 39 und 70 Jahren handeln sowie, nach bisherigen Erkenntnissen, um eine 51-Jährige.

Ein fünftes Todesopfer wurde am Samstagmittag bei den Bergungsarbeiten gefunden, wie die Polizei vor Ort bestätigte. Bei ihm soll es sich um einen Jugendlichen im Alter von 13 Jahren handeln. Am Dienstagvormittag gab die Polizei bekannt, dass sich eine 34-jährige Frau weiter in einem kritischen Zustand befindet.

Zwei der Getöteten sollen Frauen aus der Ukraine sein, die mit ihren Kindern nach Deutschland geflohen waren. Das sei schwer auszuhalten, sagte Martin Dubberke, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Garmisch-Partenkirchen der Nachrichtenagentur epd: "Die Frauen entkommen dem Krieg in der Ukraine und sterben bei uns in einem Zug." Die ökumenische Gebetsfeier im Ort am Pfingstmontag solle daher auf Deutsch und Ukrainisch abgehalten werden. Zudem sei am 11. Juni ein ebenfalls ökumenischer Gedenkgottesdienst in der Pfarrkirche in Partenkirchen geplant, zu dem auch Erzbischof Reinhard Marx und der evangelische Regionalbischof Christian Kopp erwartet werden.

Wie viele Personen wurden verletzt?

Bei dem Zugunglück wurden 15 Personen schwer verletzt und mussten in ein Krankenhaus gebracht werden. Zahlreiche weitere Passagiere erlitten leichte Verletzungen. Die Polizei sprach am Samstagmittag von insgesamt 44 Verletzten.

Etwa 140 Passagiere saßen bei dem Unfall im Zug, darunter wohl viele Schülerinnen und Schüler, da der Unterricht kurz zuvor geendet hatte und die Pfingstferien begannen.

Werden noch Personen vermisst?

Die Polizei hat am Sonntag die letzten offenen Vermisstenfälle geklärt. Mittlerweile wisse man von allen Menschen, die seit Freitagnachmittag als vermisst gemeldet worden waren, wo sie sind. Am Samstagmittag waren noch sieben Menschen als vermisst gemeldet.

Was ist die Ursache für das Unglück?

Am Dienstagvormittag gab die Staatsanwaltschaft München II bekannt, dass sie ein Ermittlungsverfahren gegen drei Personen wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung eingeleitet hat. Bei den Beschuldigten handelt es sich um Mitarbeiter der Deutschen Bahn. Solche Ermittlungen sind nach Bahnunfällen Routine, untersucht werden dabei stets die Rolle des Lokführers und des Fahrdienstleiters. Nach dem Unglück deutete bisher jedoch wenig auf menschliches Versagen oder gar schuldhaftes Verhalten von einem der beiden hin, stattdessen gerieten mögliche technische Ursachen in den Blick. In diesem Zusammenhang könnten die Ermittlungen gegen den dritten DB-Mitarbeiter stehen, bei dem es sich nach SZ-Informationen um eine Person handelt, die innerhalb des Bahnkonzerns Verantwortung für den Zustand der Strecke trägt. Auch diesen Strang der Ermittlungen verfolgen Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei zunächst rein routinemäßig.

Laut einem Augenzeugen kippte der Zug am Freitagmittag plötzlich um. Am Unfalltag waren Beteiligte zunächst von einem Schaden am Gleis als Ursache ausgegangen. Nach einem Bericht der Welt plante die Deutsche Bahn auf der Unglücksstrecke in Kürze Sanierungsarbeiten an den Gleisen.

Eine Soko "Zug" arbeitet seit Freitag daran, den Hergang zu rekonstruieren. Die Leitung liegt bei der Staatsanwaltschaft München II. Unterstützt werden die Ermittler von Sachverständigen.

Wo passierte das Unglück?

Die Unfallstelle liegt nur wenige Kilometer von dem oberbayerischen Ferienort Garmisch-Partenkirchen entfernt im Ortsteil Burgrain, in den idyllischen Loisachauen. Die nächste Haltestelle des Zugs wäre Farchant gewesen, das keine zwei Kilometer entfernt liegt.

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(Foto: SZ-Grafik)

Der Unfall ereignete sich in einer langgezogenen Linkskurve, kurz bevor der Zug die Loisach überquert. Die Gleise liegen erhöht auf einem Bahndamm, direkt neben den Gleisen führt die Bundesstraße 2 vorbei.

Die Gegend ist ein beliebtes Ausflugs- und Urlaubsgebiet. Auf einem Felsen über Burgrain liegt die Ruine der Burg Werdenfels, ein attraktives Wanderziel, weil von dort der Ausblick auf das Wettersteingebirge beeindruckend ist.

Wie lief der Rettungseinsatz?

Etwa 650 Helfer waren am Freitag an der Unfallstelle, so Verkehrsminister Bernreiter. Sie kamen aus dem gesamten süddeutschen Raum. Zwölf Rettungshubschrauber kreisten über der Gegend. Feuerwehr, Notärzte und Polizei zogen Passagiere durch die Fenster nach draußen, in nur 45 Minuten wurden alle Personen aus dem Zug geborgen, sagte Landrat Anton Speer (Freie Wähler).

Zudem waren 15 Gebirgsjäger aus der Kaserne in Mittenwald im Einsatz, die zufällig im Unglückszug saßen. Ihre Beteiligung sei sehr hilfreich gewesen, sagte Bayerns Innenminister Herrmann am Freitag in Burgrain. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) war am Freitag zur Unfallstelle gekommen. "Ich bin zutiefst erschüttert. Es ist eine furchtbare Katastrophe", sagte sie. Am Samstag machten sich auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Bahnchef Richard Lutz ein Bild von der Lage.

Wie ist die Lage vor Ort?

Die Bergungsarbeiten gestalteten sich zunächst schwierig, Starkregen behinderte die Helfer am Freitagabend vorübergehend. Zwei Versuche, die Waggons anzuheben, scheiterten. Mit Kränen gelang es am Samstagmittag, zumindest einen Waggon zu bergen und auf die benachbarte Bundesstraße 2 zu heben. Dabei wurde das fünfte Todesopfer gefunden.

Zugunglück bei Garmisch-Partenkirchen: Mit zwei Kränen wird ein zerstörter Wagon angehoben.

Mit zwei Kränen wird ein zerstörter Wagon angehoben.

(Foto: Dominik Bartl/AFP)

Die Aufräumarbeiten zogen sich über das gesamte Pfingstwochenende hin. Ein 250 Tonnen schwerer Spezialkran musste unter anderem die Lok wieder auf das Gleis hieven. Der letzte umgestürzte Waggon wurde am Montag von Kränen geborgen und für den Abtransport zerlegt. Am Montagabend standen nur noch die Lok und zumindest der Waggon mit der Wagennummer eins auf dem Bahndamm - sie werden derzeit noch von der Polizei untersucht. Die Straßenkräne waren weg, das Technische Hilfswerk war abgerückt, Kehrmaschinen säuberten die Bundesstraße.

Wie geht es an der Unfallstelle weiter?

Die Bahnstrecke zwischen Garmisch-Partenkirchen und Oberau ist bis auf Weiteres nicht nutzbar. Es wird wohl noch dauern, bis die Gleise wieder befahrbar sind. Am Mittwoch gab die Polizei die Bundesstraße 2 sowie den Tunnel Farchant wieder für den Verkehr frei. Die Sperrung der Autobahn A 95 bei Sindelsdorf war schon am Dienstagmorgen von der Polizei aufgehoben worden.

Gab es schon einmal ein ähnliches Unglück?

Das Entsetzen über den tödlichen Unfall ist groß. In Bayern war es in den vergangenen Jahren zu mehreren schweren Bahnunfällen gekommen. Erst Mitte Februar dieses Jahres prallten in Schäftlarn-Ebenhausen bei München zwei S-Bahnen der Linie S7 auf eingleisiger Strecke frontal zusammen. Ein 24-Jähriger starb bei dem Unglück, 18 Menschen wurden verletzt. Einer der beiden Lokführer hatte offenbar ein rotes Signal missachtet, die Ermittlungen zur Ursache dauern an.

Vor vier Jahren fuhr in Aichach auf der Strecke zwischen Ingolstadt und Augsburg ein Regionalzug auf einen stehenden Güterzug auf, zwei Menschen starben. Vor sechs Jahren kamen in Bad Aibling zwölf Menschen ums Leben, 89 wurden verletzt, als zwei Meridian-Züge auf eingleisiger Strecke frontal zusammenstießen. Die Ursache: Ein Fahrdienstleiter war abgelenkt, weil er mit dem Handy spielte und setzte daraufhin falsche Signale.

Das schlimmste Zugunglück der jüngeren deutschen Geschichte ereignete sich im niedersächsischen Eschede, als ein ICE entgleiste und 101 Menschen starben. Die Tragödie geschah am 3. Juni 1998 - auf den Tag genau 24 Jahre vor dem Unglück von Garmisch-Partenkirchen.

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