Landtagsdebatte über Coronavirus:Die große Ungewissheit, ob das alles reicht

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An Markus Söders Verboten hat die Opposition ausnahmsweise nichts auszusetzen. Der Ministerpräsident sagt, er wisse nicht, "wie lange es dauern wird, wie schlimm es werden wird" - und droht mit einer landesweiten Ausgangssperre.

Von Lisa Schnell und Kassian Stroh

Der Landtag bei einer Regierungserklärung hört sich üblicherweise so an: Händeklatschen, Tischeklopfen, Füßestampfen, Zwischenrufe. Der Landtag an diesem Donnerstag: Es ist so still, dass man hört, wenn ein Blatt Papier gewendet wird. Die erste Reihe roter Stühle ist vollkommen leer, nur etwa 40 der rund 200 Abgeordneten sitzen weit verstreut, auf den meisten Sitzen ein weißer Zettel: "Bitte freihalten". Kaum jemand spricht, nur ein Wort fällt immer wieder: "gespenstisch".

Seit 72 Stunden gilt in ganz Bayern der Katastrophenfall, nun debattiert der Landtag über die Coronavirus-Pandemie. In einer Regierungserklärung erläutert Ministerpräsident Markus Söder (CSU), wie er die Lage sieht ("sehr ernst") und warum seine Regierung Schulen und Geschäfte und vieles mehr geschlossen hat (weil es notwendig sei). Und sollten all diese Maßnahmen nicht wirken und die Verbreitung des Erregers nicht verlangsamen, dann bleibe nur eine Ausgangssperre. Für ganz Bayern. "Das muss jedem klar sein", sagt Söder. Er sei dazu "entschlossen, wenn es notwendig ist". Eine unkontrollierte, rapide Ausbreitung wie etwa im nordrhein-westfälischen Landkreis Heinsberg oder im Tiroler Skiort Ischgl dürfe man nicht zulassen.

Fast 2300 offiziell bestätigte Infektionen im Freistaat meldet Söder bis zum Donnerstagmorgen, zehn Bayern seien an den Folgen bereits gestorben. Ansonsten verkündet er kaum etwas Neues: Er berichtet, dass auch in zwei Kommunen im Landkreis Wunsiedel noch am Donnerstag Ausgangssperren verhängt würden. Dass Bayern vom Bund noch am Freitag 800 000 Schutzmasken geliefert bekomme. Dass er die Öffnungszeiten von Lebensmittelgeschäften womöglich noch weiter ausdehnen wolle. Und er fordert vom Bund ein Hilfspaket für die Wirtschaft in Höhe von 100 bis 150 Milliarden Euro.

An diesem Tag ist aber auch weniger wichtig, was Söder Neues zu sagen hat. Sondern vielmehr, wie er es sagt. Er spricht leise, aber verständlich. Er erhebt kaum die Stimme, verzichtet auf besondere Betonungen oder große rhetorische Kunstfiguren. Bisher stand er am Rednerpult oft als ein Mann, der vor allem eine Wahlempfehlung abgab für sich selbst, jetzt gibt er Erklärungen ab für das ganze Land. Und er erklärt insbesondere noch einmal die vielen Maßnahmen, die seine Regierung in den vergangenen Tagen verhängt hat, die Notwendigkeit von Schließungen. Er kündigt keine neuen an, sagt aber auch, dass keine Prognosen möglich seien, "wie lange es dauern wird, wie schlimm es werden wird".

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Bayern stehe "vor einer historischen Bewährungsprobe, ich bin mir sicher, der größten seit dem Zweiten Weltkrieg". Nicht zuletzt betont Söder, so wie auch die Bundeskanzlerin in ihrer Fernsehansprache am Abend zuvor, die Verantwortung, die nun jeder Einzelne trage. "Jeder kann und jeder muss jetzt in der Krise seinen Beitrag leisten." Da sind sich alle Fraktionen in der Debatte einig. "Es ist Bürgerinnen- und Bürger-Pflicht, die Ausbreitung zu verhindern", sagt beispielsweise Katharina Schulze, die Fraktionschefin der Grünen. Somit müsse jeder auch auf Liebgewonnenes verzichten, auf Besuche bei Verwandten oder Freizeitvergnügen. "Ich wünsche mir, dass wir uns darauf einigen können, um weitergehende Maßnahmen zu verhindern."

Denn bei den Reden schwingt immer eine Frage mit: Reicht das, was bisher beschlossen ist? Nicht nur an Einschränkungen, sondern auch an Hilfen für das Gesundheitssystem? Das hiesige sei ja eines der besten weltweit, sagt Söder. "Aber ob es reicht, ist völlig unklar. Wir denken: nicht." Genau deshalb müsse man nun die Verbreitung des Erregers verlangsamen, um Zeit zu gewinnen und die Krankenhäuser auf den Notfall vorzubereiten. "Und der kommt."

Der Ernst der Situation ist zu hören und zu sehen im Plenarsaal des Landtags: Kaum einer der Abgeordneten blickt auf sein Handy oder kramt in Unterlagen, wie sonst üblich. Niemand unterhält sich mit dem Sitznachbarn und das nicht nur, weil es keinen Sitznachbarn gibt. Man kann vielleicht sagen: Noch nie war die Zahl der Zuhörer so klein und die Aufmerksamkeit so groß. Bei allen Reden. Um zu verstehen, wie außergewöhnlich dieser Donnerstag ist, muss man auch all das aufzählen, was nicht geschieht, etwa in den Reihen der Opposition: Keine Zwischenrufe, kein unzufriedenes Grummeln, keine roten Köpfe. Dafür immer wieder Applaus, nicht nur für Söder, sondern auch für die Redner der Regierungsfraktionen von CSU und Freien Wählern.

Es ist nicht viel, was die Oppositionsfraktionen an Söders Politik auszusetzen haben. Schulze hat ein paar Änderungswünsche, fordert mehr Testkapazitäten und Hilfen nicht nur für Unternehmen oder Selbstständige, sondern auch für Minijobber, die zum Beispiel nicht von den Vorteilen einer Kurzarbeiterregelung profitieren. Und ihre Fraktion werde darauf achten, dass die einschneidenden Maßnahmen "auch wieder beendet werden", wenn sie nicht mehr nötig sind, sagt Schulze. SPD-Fraktionschef Horst Arnold mahnt an, bei den Wirtschaftshilfen nicht die Kulturschaffenden und Bildungseinrichtungen zu vergessen. Martin Hagen (FDP) fordert, Gutschriften bei der Einkommensteuer zu verteilen. Und Söder selbst attestiert der Opposition, er finde es beeindruckend, "wie wir zusammenstehen" in einem Ernstfall wie diesem. Als er geendet hat, ein ebenfalls seltenes Bild: Das ganze Haus applaudiert. Der Beifall ist laut, zumal angesichts der wenigen Hände, die zusammengeschlagen werden.

Dann blickt die CSU-Abgeordnete Tanja Schorer-Dremel über viele leere Plätze hinweg zu CSU-Generalsekretär Markus Blume. Ein direkter Blick, ein kurzes Kopfnicken, sie erheben sich von ihren Plätzen. Alle anderen von CSU und Freien Wählern folgen. SPD-Chef Horst Arnold wendet den Kopf. Wieder ein direkter Blick zu seinen Kollegen, diesmal kein Nicken, Arnold schüttelt fast unmerklich den Kopf. Seine Fraktion bleibt sitzen, alle anderen von der Opposition ebenso. So weit geht die Solidarität dann doch nicht.

Zumal die gesellschaftliche Solidarität, die in all den Reden beschworen wird, selbst im Landtag zuletzt etwas gelitten hat. Vor jedem der Eingänge zum Parlament stehen auf einem Tisch eine Schachtel Taschentücher und Desinfektionsmittel. Auf jeder Flasche der Aufkleber: "Eigentum des bayerischen Landtags". Anfang März wurden hier, wie in manchen bayerischen Kliniken auch, solche Flaschen geklaut. Jetzt sind aber genügend da: Kaum hat der letzte Redner am Donnerstag wieder Platz genommen, springt schon ein Mitarbeiter des Landtagsamts auf und sprüht das Rednerpult mit Desinfektionsmittel ein.

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