Bildungspolitik:Bayern will Gymnasiasten besser aufs Arbeitsleben vorbereiten

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Die Berufsorientierung soll intensiver werden - schon vor dem Abitur. (Foto: dpa)
  • Real- und Mittelschulen kümmern sich seit Jahren um die Berufsorientierung der Schüler. An Gymnasien war das bisher individuell den Lehrern überlassen.
  • Künftig soll jedes Gymnasium in Bayern etwa einen Koordinator bekommen, der Kontakt zu Kammern, Arbentsagentur und Firmen hält.
  • Kritiker fürchten, dass Gymnasiasten nun in manchen Branchen Real- und Mittelschüler verdrängen könnten.

Von Anna Günther, München

Die berufliche Orientierung am Gymnasium wird neu aufgestellt. Noch in diesem Schuljahr bringt das Kultusministerium ein neues Konzept in die staatlichen Schulen, mit dem Mädchen und Buben im G 8 systematischer ihre Talente erkennen, Berufe ausprobieren und sich früher über Jobs informieren sollen. Im neuen G 9 ist die berufliche Orientierung ein Schwerpunkt, aber auch die letzten G-8-Jahrgänge sollen profitieren.

Real- und Mittelschulen haben seit Jahren eine strukturell verankerte Berufsorientierung, an den Gymnasien war das bisher dem Engagement der Lehrer überlassen. "Wir wollen, dass die Berufsorientierung systematischer und intensiver wird, dafür werden jetzt Qualitätsstandards gesetzt", sagte Schulminister Ludwig Spaenle der SZ.

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"Realschüler und Mittelschüler wissen ganz genau, was sie später machen möchten. Das wollen wir auch für die Gymnasiasten", ergänzte Ralf Holtzwart, der Chef der bayerischen Arbeitsagenturen.

Zwar arbeiten fast alle 322 staatlichen Gymnasien mit der Bundesagentur für Arbeit zusammen, schicken ihre Schüler auf Informationsmessen oder laden selbst Firmen ein, aber ein einheitliches Konzept gab es bisher nicht.

An 84 Prozent der Schulen ist ein Betriebspraktikum Pflicht, künftig sollen alle bayerischen Gymnasiasten in Unternehmen den Arbeitsalltag erleben. Zwei Jahren lang haben Vertreter des Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) mit der Bundesagentur für Arbeit, Lehrern sowie den Kammern von Handel, Handwerk und Industrie am Konzept gearbeitet.

Die größte Neuerung ist, dass künftig jedes Gymnasium einen Koordinator für berufliche Orientierung bekommen soll. Dieser baut das Konzept von der 5. Klasse bis zum Abitur auf, ist Ansprechpartner für Kammern, Arbeitsagentur oder Firmen, und organisiert mit Beratungslehrern sowie Fachkollegen die Betreuung der Praktika. Die Suche nach eigenen Talenten, Interessen und dem richtigen Beruf soll kontinuierlich Thema sein.

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Kernfach der Berufsorientierung bleibt Wirtschaft/Recht, aber auch im Lehrplan der anderen Fächer stehen nun entsprechende Inhalte. "Das kann zum Beispiel in Deutsch das Bewerbungsschreiben oder richtiger Ausdruck sein, in der 9. Klasse dann das Praktikum und in der Oberstufe das P-Seminar", sagte Wolfgang Mutter aus der Gymnasialabteilung des Ministeriums. In der Mittelstufe liege der Fokus mehr auf der dualen Ausbildung, in der Oberstufe auf dem Studium.

Das Gymnasium soll nicht mehr automatisch die Universität als Ziel haben, sondern auch Möglichkeiten der beruflichen Ausbildung vermitteln. Die Unternehmen hoffen auf eine Linderung des Fachkräftemangels und dass sich durch gezielte Information mehr Gymnasiasten für Industrie, Handwerk oder ein duales Studium entscheiden.

Durch die intensivere Beratung soll auch die Abbrecherquote sinken. "Wenn 25 Prozent der Azubis ihre Ausbildungsverträge aufheben oder 32 Prozent der Studenten ihr Studium abbrechen, ist das ein Zeichen dafür, dass die Beratung nicht gut war", sagte Holtzwart.

Die Hälfte der Schulen habe bereits Bewerbungen für den Posten des Koordinators eingereicht, sagte Mutter. Er geht davon aus, dass die andere Hälfte bis April soweit ist. Für die acht Schulbezirke werden je zwei Multiplikatoren am ISB geschult, die dann alle Koordinatoren mit dem Konzept vertraut machen.

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Spaenle und Holtzwart hoffen, dass auch kommunale und private Gymnasien das Konzept zur Berufsorientierung übernehmen. "Kern ist, den Kindern zu helfen, sich im Dschungel der Möglichkeiten zurechtzufinden und die richtigen Entscheidungen zu treffen", sagte Arbeitsagenturchef Holtzwart.

Gymnasiasten sollen ihren potenziellen Beruf möglichst beim Schnupperpraktikum in der 9. Klasse ausprobieren. Reicht dafür eine Woche aus? "Wenn diese Zeit gut vor- und nachbereitet wird und die Schüler in dieser Woche ihren Traumberuf testen können, reicht das", findet Holtzwart. Wer auf den Geschmack gekommen ist, könne ja in den Ferien weitermachen.

Kritiker fürchten aber, dass Gymnasiasten durch die Beratungsoffensive und den Blick aufs duale System in manchen Branchen Real- und Mittelschüler verdrängen. Holtzwart sieht das Problem nicht: Elf Prozent der Gymnasiasten machten eine Ausbildung.

"Alle sollen studieren, die das können - aber durch die Digitalisierung werden auch in der Industrie die Anforderungen weiter steigen." Schulminister Spaenle ist ebenfalls entspannt, Fachkräfte würden überall dringend gesucht "und auch die Mittelschüler werden mit der Kapelle am Bahnhof abgeholt."

© SZ vom 10.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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