Reformvorschlag:Ist die bayerische Lehrerausbildung veraltet?

Praxisschock vorbeugen - Anti-Stress-Tipps für angehende Lehrer

Gymnasium, Realschule oder Mittelschule? Geht es nach dem BLLV, sollen angehende Lehrer zunächst ihr Fach studieren. Schon regt sich Kritik.

(Foto: Warnecke/dpa)
  • Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband möchte das Lehramtsstudium grundlegend umgestalten.
  • Das Konzept sieht unter anderem vor, dass sich Studenten zu Beginn ihrer Ausbildung nicht mehr für eine Schulform entscheiden müssen.
  • Kritik kommt aus dem Kultusministerium und vom Verband der Realschullehrerinnen und -lehrer.

Von Vinzent-Vitus Leitgeb

Sascha Neumann geht davon aus, sein Staatsexamen zu bestehen, wenn nicht einiges schief geht. Er studiert im dritten Semester Geschichte und Deutsch - auf Lehramt am Gymnasium. Sorgen um einen möglichen "Plan B" macht er sich aber trotzdem.

"Wenn ich das Examen nicht schaffe, habe ich mindestens neun Semester studiert, mehr Prüfungen als viele andere Studenten und trotzdem keinen Abschluss." Und selbst wenn er das Examen schaffe, so Neumann, sei er eingeschränkt, ohne einen international vergleichbaren Bachelor- oder Master-Titel. Er könne eigentlich nur in Bayern, nur an Gymnasien und nur als Lehrer arbeiten.

Staatsexamen und Master-Abschluss müssen laut Neumann also vereint werden. Es ist eine von mehreren Forderungen, die er am Montag bekräftigte. Als zweiter Vorsitzender der Studierendengruppe Augsburg des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) unterstütze er ein neues BLLV-Reformkonzept für die Lehrerbildung, das die bisherigen Studienordnungen massiv umgestalten würde. "Die Anforderungen an Schule haben sich verändert und werden sich weiter ändern", sagte BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. "Deshalb muss sich auch die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer ändern."

Das Konzept sieht in erster Linie vor, dass sich Studenten zu Beginn ihrer Ausbildung nicht mehr für die Schulform entscheiden, in der sie später unterrichten wollen. Sie wählen stattdessen zunächst zwei Fächer, die sie interessieren, und studieren diese im Prinzip wie reguläre Fachstudenten. Statt eines weiteren Nebenfachs belegen sie jedoch pädagogische Kurse und machen Praktika an Schulen. Nach sechs Semestern schließen sie zunächst mit einem Bachelor of Education ab.

"Denn der Lehrer ist Meister auf seinem Gebiet"

Erst im folgenden Master-Studium sollen sich die Studenten dann auf eine Schulart spezialisieren. Zu dem Zeitpunkt können sie - so die Hoffnung des BLLV - beispielsweise die Arbeitsmarktsituation zum Zeitpunkt ihres Abschlusses besser abschätzen und sich für einen möglicherweise gefragtere Spezialisierung entscheiden. Sie hätten dann aber auch generell einen besseren Eindruck davon, was sie im Schulalltag erwartet und welche aktuellen Herausforderungen das Bildungssystem allgemein gerade prägen.

Das alles bietet für BLLV-Präsidentin Fleischmann deutlich mehr Flexibilität. "17- bis 18-Jährige tun sich schwer, eine abschließende Entscheidung für ihre komplette Berufsbiografie zu treffen", sagte sie. Die Studenten müssten frühere Entscheidungen ohne Konsequenzen revidieren können, wenn diese nicht passten.

Selbst wer nach wenigen Semestern überhaupt nicht mehr Lehrer werden möchte, könne mit dem BLLV-Konzept ohne größere Probleme in einen Fachbachelor wechseln, sagte Fleischmann. Auf den Bachelor of Education könne ebenso ein ganz anderes Masterstudium folgen. Wer hingegen das Lehramtsstudium zu Ende bringe, müsse ebenso mit einem Master-Titel belohnt werden. "Denn der Lehrer ist Meister auf seinem Gebiet."

Warnung vor einer Verschulung des Studiums

Fleischmann gab als Ziel aus, mit dem Konzept zu allererst eine breite Diskussion anstoßen zu wollen. Die bisherigen Reaktionen sind eher kritisch. "Wir erkennen keinen Vorteil in der vom BLLV vorgeschlagenen Abwendung vom Staatsexamen und Hinwendung zu Bachelor und Master", hieß es aus dem Bildungsministerium von Ludwig Spaenle. Sein Sprecher warnte zudem vor einer Verschulung des Studiums. Er interpretiere die Vorschläge jedoch als Anregung, die bestehenden Möglichkeiten für Studierende, während des Studiums flexibler die angestrebte Schulart zu wechseln, in den Blick zu nehmen.

Jürgen Böhm vom Bayerischen Realschullehrerverband kritisierte vor allem, dass das BLLV-Konzept zu sehr auf das Prinzip "für alle das Gleiche" setze. Dabei habe jede Schulart ein eigenes Profil. "Unser Lehrplan ist nicht vergleichbar mit dem anderer Schularten, und das muss bereits im Studium sichtbar werden", so Böhm. Ähnlich die Aussage von Michael Schwägerl, der die Lehrer an Gymnasien und beruflichen Oberschulen vertritt. Bayerns Spitzenplatz in Bildungsstudien sei das Ergebnis einer konsequenten schulartspezifischen Lehrerbildung in Universitäten. "Eine erneute Strukturdebatte ist rein ideologisch motiviert", sagte Schwägerl.

Die von BLLV-Präsidentin Fleischmann geforderte Debatte ist in vollem Gange und sie wird wohl nicht schnell zu Ende gehen. Wie der BLLV selbst sagt: Sogar, wenn das Reformkonzept heute umgesetzt würde, wären die ersten Studenten frühestens in fünf Jahren fertig. So oder so werden noch viele Studenten in den kommenden Jahren zu Beginn ihres Studiums vor entscheidenden Zukunftsfragen stehen - wie Sascha Neumann.

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