Söders achte Regierungserklärung:"Alles ist eine sehr volatile Lage"

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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder gab im Landtag abermals eine Regierungserklärung ab. Sein Kabinett folgte den Ausführungen hinter Plexiglasscheiben. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Kontaktbeschränkungen, 15-Kilometer-Regel, Digitalunterricht: Der bayerische Landtag beschließt die neuesten Corona-Maßnahmen. Vor allem die Grünen geben sich in der Debatte erstaunlich staatstragend.

Von Johann Osel

Nach all der Unbill dieser Woche bekommt Melanie Huml heute etwas fürs Herz - flirtähnliche Avancen. Ausgerechnet Raimund Swoboda, der fraktionslose frühere AfD-Abgeordnete, rühmt die abgelöste Gesundheitsministerin wegen ihres jederzeit tollen Lächelns, das ihm stets recht viel Freude bereite. Huml auf der Regierungsbank schaut etwas verlegen drein. Und lächelt.

Der Wechsel im Gesundheitsministerium beschäftigt am Freitag auch den Landtag. Bevor die Regierungserklärung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in der Sondersitzung ansteht, muss das Parlament der Berufung von Klaus Holetschek zum Minister zustimmen und indirekt der Versetzung von Huml als Europaministerin in die Staatskanzlei. Söder erklärt noch einmal, dass er in Holetschek einen "Macher" sieht, den geeigneteren Krisenmanager also. Was aber, wie die Oppositionsfraktionen in der Aussprache betonen, nicht von angestauten Aufgaben entbinde, von der Digitalisierung der Gesundheitsämter bis zur Impfstrategie. Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann wünscht Holetschek "Mut, auch mal dem Ministerpräsidenten zu widersprechen".

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:Söders beiläufige Rochade

Klaus Holetschek löst überraschend die bisherige Gesundheitsministerin Melanie Huml ab. Er galt zuletzt als heimlicher Chef. Ministerpräsident Söder nennt ihn einen "Macher".

Von Andreas Glas, Johann Osel und Matthias Köpf

Widerspruch, eine Bühne für Meinungen - das ist auch Sinn und Zweck dieser Sondersitzung. Nach den Beschlüssen von Bund und Ländern und danach des Kabinetts, den Lockdown zu verlängern und zu vertiefen, soll der Landtag darüber debattieren; auch wenn die Zustimmung Formsache ist. Es ist seit März 2020 die achte Regierungserklärung Söders zu Corona. Zum Vergleich: Vorgänger Horst Seehofer hat in seiner gesamten Regierungszeit von 2008 bis 2018 nur zwölf Mal vor den Abgeordneten in dieser Form gesprochen.

Fast Routine also. Söder streicht sich die Krawatte über dem Bauch zurecht und legt los. "Alles ist eine sehr volatile Lage", sagt er, die Zahl der Todesfälle sei erschütternd. Fast alle zwei Minuten in Deutschland, alle elf Minuten in Bayern sterbe ein Mensch in Zusammenhang mit dem Corona-Virus. 20 Prozent der Toten seien unter 80 Jahre alt, "es kann jeden Einzelnen treffen". Er sei nicht bereit, diese Zahlen achselzuckend hinzunehmen. "Halbe Sachen führen uns nicht zur Lösung", sagt Söder. Corona nutzt "jede kleine Ritze, um sich breit zu machen" - die Regeln seien vielleicht nicht als einzelne die Lösung, aber in der Gesamtschau der richtige Weg.

Konkret: die Kontaktbeschränkung auf nur noch eine Person außerhalb des eigenen Haushalts. Wobei Söder verkündet, dass Kinder bis drei Jahre von den Vorgaben ausgenommen werden. Dann die Mobilitätsbeschränkung, wonach sich Bürger aus Hotspots mit einem Inzidenzwert von mehr als 200 nur in einem Radius von 15 Kilometern um ihren Ort bewegen dürfen. Einkauf, Arbeit und Familienbesuche sind davon ausgenommen, es geht der Staatsregierung um touristische Ausflüge. In der neuen Infektionsschutzverordnung werde Kommunen mit 200er-Wert auch die Möglichkeit gegeben, in ihrer Allgemeinverfügung Tagesausflüge bei sich zu untersagen. Der Radius trifft in dem Fall dann nicht nur Herkunfts-, sondern auch Zielorte. Zuletzt hatte es vielfach Ärger um Beschimpfungen und feindselige Schilder gegen Münchner vor allem in der Oberlandregion gegeben.

Dann kommt Söder zum Kapitel "Schule und Kita". Kultusminister Michael Piazolo auf der Regierungsbank horcht auf, beginnt nervös mit dem Kugelschreiber zu spielen. Kommt ein Rüffel? Oder ein neues Ultimatum? Schließlich hatte Söder im Dezember von dem Minister der Freien Wähler gefordert, dass im neuen Jahr das Lernprogramm Mebis für den Distanzunterricht endlich funktionieren müsse. Mebis war vor den Schulferien wie auch schon im Frühjahr unter dem Ansturm von Schülern zusammengeklappt. Doch der Ministerpräsident ist milde, wiederholt das, was Piazolo bereits am Donnerstag sagte: dass Mebis gar nicht als Ersatz, sondern nur als Ergänzung für Unterricht gedacht sei; und dass ohnehin nur ein Bruchteil der Schüler dieses Tool nutzte. Generell räumte Ministerpräsident Söder ein, dass Bayern zwar bei Hightech-Digitalisierung gut aufgestellt sei, nicht jedoch in der "Alltagsdigitalisierung". Die "Bequemlichkeit" an vielen öffentlichen Stellen müsse ein Ende haben, er wolle in den kommenden Wochen "die Dinge komplett neu aufstellen". Details dazu gibt es nicht.

Dann schlägt die Stunde der Opposition. Sie bleibt aber eher ein leisen Ticken. Die Grünen hatten auch schon in der Vergangenheit die Corona-Regeln stets mitgetragen oder mitunter sogar Verschärfungen angeregt. Fraktionschef Hartmann konzentriert sich auf das Thema Homeoffice. "Die regulatorischen Maßnahmen zur Einschränkung privater Kontakte sind weitgehend ausgereizt. Jetzt braucht es endlich deutliche Beschränkungen bei den Arbeitsplatzkontakten." Er ruft Söder auf, die Chefs der großen Unternehmen und Leiter von Behörden zu einem "Homeoffice-Gipfel" an einen Tisch holen. Es gehe darum, dass Arbeiten zuhause, wenn möglich, jetzt zum Regelfall werde. Staatstragend und fast zahm wirkt Hartmanns Rede - wie ein künftiger Minister in einer schwarz-grünen Koalition, meinen prompt manche Beobachter. Deutlich kritischere Töne, etwa zur 15-Kilometer-Regel, kommen vom SPD-Fraktionschef Horst Arnold: Die Maßnahme sei "nicht geeignet, die Infektionen einzudämmen, sie kann von der Polizei kaum kontrolliert werden und ist für die Menschen undurchschaubar". Er nennt auch das Wort, mit dem er schon auf Twitter auffiel: "Holzhammermethoden."

AfD-Fraktionschef Ingo Hahn wirft Söder vor, ein "totalitäres Klima der Angst und der Zwietracht" zu erzeugen. Er war bei der Regierungserklärung durch permanente Zwischenrufe aufgefallen. FDP-Fraktionschef Martin Hagen sieht in den Regeln "Grundrechtseinschränkungen nach Bauchgefühl" - die würden letztlich lediglich schwindenden Rückhalt in der Bevölkerung erreichen. Nötig sei auch eine realistische Öffnungsperspektive abseits des Ziels einer starren 50er-Inzidenz. Diese dürfe nicht "die heilige Kuh" sein.

Thema sind auch die Ereignisse in den USA: die Erstürmung des Kapitols. Der Vorfall, sagt Landtagspräsidentin Ilse Aigner, sei eine "Schande" und solle "uns eine Mahnung" sein. Söder sagt, Lügen, Hetze und Fake News, wie sie von Extremisten, Querdenkern und "auch Teilen der AfD" kämen, brächten "echtes Unheil über unser Land". Was in USA stattgefunden habe, "ist nicht weit weg".

© SZ vom 09.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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