Bayerischer Landtag:"Was soll die nächste Stufe sein - dass Sie handgreiflich werden?"

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Im Landtag sollen verbale Eskapaden in Zukunft strenger bestraft werden. (Foto: Uwe Lein/dpa)

Der Landtag debattiert über Maßnahmen gegen die Verrohung der parlamentarischen Sitten. Pöbeln und Stören soll mit Bußgeld belegt werden können. Die AfD spricht von einem "Maulkorbgesetz".

Von Johann Osel

Der geplante Katalog an Sanktionen für Abgeordnete, die im Landtag mit verbalen Ausfällen oder Störungen von Sitzungen auffallen, ist auf den Weg gebracht worden. Am Donnerstag debattierte das Plenum in erster Lesung über eine entsprechende Änderung des Abgeordnetengesetzes, der Antrag wurde von den Regierungsfraktionen CSU und Freie Wähler sowie Grünen und SPD eingebracht. Also vom gesamten Parlament mit Ausnahme der AfD. Letztere ist hauptsächlich der Anlass für diese Novelle. Bereits im vergangenen Jahr hatte Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) den Bedarf an schärferen Maßnahmen bei Verstößen gegen die Würde des Hohen Hauses angemahnt. Nun kommt es zur Umsetzung.

In der Wahlperiode von 2018 bis 2023, als die AfD erstmals in den Landtag gelangt war, musste das Präsidium 26 Rügen aussprechen; davor hatte es mehr als zwei Jahrzehnte keine einzige gegeben. Drei Rügen erhielten Vertreter von Grünen und SPD, der große Rest ging an aktuelle oder fraktionslose, frühere Politiker der AfD. "Unsere parlamentarische Demokratie ist wehrhaft, sie lässt sich nicht verächtlich machen und sie lässt sich von niemandem auf der Nase herumtanzen", erklärte Aigner jüngst. Es solle daher eine Regelung geben, "die sicher wehtut und vielleicht auch abschreckt". Ende April soll das geänderte Gesetz dann endgültig beschlossen werden.

Kernstück ist die Abschaffung der klassischen Rügen. An deren Stelle soll ein dreistufiges System treten: Im Plenum werden zunächst Ordnungsrufe erteilt. Bei besonders gravierenden Fällen oder Wiederholung drohen in einer zweiten Stufe Ordnungsgelder bis zu 2000 Euro, bei Dauerpöblern bis zu 4000 Euro. Als Ultima Ratio soll es künftig den Ausschluss von Abgeordneten geben, im Extremfall bis zu zehn Sitzungen; das soll auf Mehrheitsentscheid des Plenums erfolgen. Nicht alle der zuletzt 26 Rügen wären wohl für ein Ordnungsgeld in Betracht kommen, erläuterte Aigner, viele eher beim Ordnungsruf geblieben. Die neuen Regeln gelten auch für Verstöße gegen die Hausordnung - etwa, wenn von Abgeordneten eingeladene Gäste im Maximilianeum Grenzen überschreiten.

Bei der Debatte sprachen die parlamentarischen Geschäftsführer. Michael Hofmann (CSU) sieht die Änderung als "Zäsur" im Nachkriegsparlament. Über all die Jahrzehnte habe es gereicht, dass es bei Grenzüberschreitungen eine Rüge gab. Inzwischen, bei einer "Fraktion mit radikalen Ansichten und extremistischen Köpfen", stelle man schlicht und ergreifend fest, dass es damit nicht mehr getan ist. Beispiele laut Hofmann: das Verlassen des Saals fast aller AfD-Abgeordneten bei einem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und den Worten von Charlotte Knobloch oder der Auftritt am Rednerpult eines AfD-Politikers mit Gasmaske. Fünf Jahre habe die AfD versucht, "diesen Parlamentarismus lächerlich zu machen", und zwar "aus dem plumpen Beweggrund" heraus, weil sie diesen "im Innersten" ablehne. Hofmann fragte die AfD: "Was soll die nächste Stufe sein - dass Sie handgreiflich werden?"

Mindestens fünf AfD-Fraktionsmitarbeiter sollen verfassungsfeindlichen Gruppen entstammen

Jürgen Mistol (Grüne) argumentierte: "Die AfD beschimpft und beleidigt, sie hetzt und sie macht demokratische Institutionen verächtlich - und all das hat bei der AfD Methode." Simone Strohmayr (SPD) sagte, die AfD "feiert ihre Rügen regelrecht, missbraucht den Landtag als Bühne für ihre rechtsextreme Hetze und ist auch noch stolz drauf". Sie dankte Aigner für den Vorstoß, auf dem beruhe der gemeinsame Antrag der vier Fraktionen, "die diese Demokratie achten". Felix Locke (FW) beklagte, dass AfD-Abgeordnete erhaltene Rügen "wie Trophäen in Social Media rumposaunen". In der politischen Debatte müsse man kein Kind von Traurigkeit sein, aber wissen, "wann das Gute aufhört".

Einige Redner kamen auf Recherchen des Bayerischen Rundfunks zu sprechen, wonach mindestens fünf oder womöglich mehr AfD-Mitarbeiter im Landtag gesichert verfassungsfeindlichen Organisationen entstammen, etwa der "Identitären Bewegung". Und dass es eine Regel brauche, damit "Demokratiefeinde" nicht mehr von Steuergeld bezahlt würden. Dazu wäre eine weitere Änderung des Abgeordnetengesetzes nötig. Felix Locke lobte, dass dies nicht als Schnellschuss in die jetzige Reform eingefügt werde. Es brauche eine sorgfältige, gerichtsfeste Regel, betonte zuletzt auch Aigner.

Christoph Maier (AfD) nannte die am Donnerstag beratene Reform der Rügen ein "Maulkorbgesetz der Kartellfraktionen". Es gehe diesen um die "Steuerung des politischen Diskurses", Kritiker sollten "mundtot" gemacht werden. Der Begriff der Würde des Landtags sei so unbestimmt, dass er zu "missbräuchlicher Anwendung" verleite. Maier beklagte auch, dass seine Partei ausgegrenzt werde, so etwa bei der Wahl eines Vize-Präsidenten des Landtags, wo alle AfD-Kandidaten bis dato keine Mehrheit fanden. Am Donnerstag nominierte die AfD Martin Böhm für das Amt. Gegenredner begründeten ihre Ablehnung unter anderem mit Böhms Drohkulisse auf einem Parteitag, wonach man "den Karnickeln in den Parlamenten den verdienten Nackenschlag versetzen" müsse.

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