Politik in Bayern:Vom Ministerpraktikum ins Großressort

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Vom Digital- ins Gesundheitsministerium: Judith Gerlach erwarten neue Herausforderungen. (Foto: Johannes Simon/Getty Images)

Pflege, Klinikreform, Digitalisierung: Als neue Gesundheitsministerin warten auf Judith Gerlach viele Aufgaben. Zudem muss sie Söders Auftrag erfüllen - Spitzen setzen gegen die Berliner Ampel und den Koalitionspartner in Bayern.

Von Nina von Hardenberg und Johann Osel, München

Natürlich blieb immer dieser eine Satz aus dem Jahr Jahr 2018 hängen, als Judith Gerlach frisch zur bayerischen Digitalministerin berufen wurde. "Digitalisierung ist jetzt sicher nicht mein Spezialbereich", sagte sie damals grandios ehrlich auf die Frage, welche fachlichen Kompetenzen sie mitbringe. Wenn später die Sprache darauf kam, dann schlug die CSU-Politikerin erst mal die Hände über dem Kopf zusammen - oh je, nicht schon wieder. Ging dann aber gleich in die Offensive: Bei männlichen Kollegen in neuen Ämtern würden derlei Fragen gar nicht gestellt, meinte sie. Und: Sie müsse doch als Digitalministerin keine Apps programmieren.

Gerlach hat sich indes eingearbeitet, hat in fünf Jahren überraschend viel gemacht aus dem kleinen Ministerium, das kaum eigene Befugnisse hat im Regierungsapparat. Sondern vor allem andere Minister überzeugen muss, bei digitalen Strategien mitzumachen. Nun wird die 38-Jährige befördert: zur Gesundheitsministerin im dritten Kabinett von Ministerpräsident Markus Söder (CSU).

Von der "Denkfabrik", wie das machtlose Digitalministerium gern in der CSU beschönigt wurde, zu einem großen Haus mit üppigem Organigramm und nachgeordneten Behörden, das zentral für viele Lebensbereiche ist und in die Fläche des Freistaats wirkt - ein Aufstieg, ohne Frage. Frech könnte man sagen, sie hat in fünf Jahren Digitalressort ein Ministerpraktikum gemacht und kommt nun in die Festanstellung mit voller Verantwortung. Gerlach lieferte selbst die Gründe dafür: Söder hatte sie 2018 als junges Talent in der Fraktion entdeckt. Ein Talent, das sich bewiesen hat, noch viel mehr als erhofft, hört man in CSU-Kreisen - eine Regierungserklärung zum Digitalstaat Bayern hielt Gerlach, sie war medial präsent trotz des Mini-Ministeriums und konnte dem Vernehmen nach intern viel anschieben. Eines der besten Wahlergebnisse, 46 Prozent der Erststimmen in Aschaffenburg-Ost, kam dazu.

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Als vor einigen Wochen publik wurde, dass die Freien Wähler das Digitalministerium mit Fabian Mehring besetzen, sagte Söder auf Nachfrage, Gerlach müsse sich keine großen Sorgen machen. Sogar das Justizministerium wurde der Rechtsanwältin daraufhin in Spekulationen zugetraut. Mit 27 Jahren zog Gerlach 2013 erstmals in den Landtag ein. Das Mandat über die Liste kam überraschend. Die Mutter zweier Kinder stammt aber aus einer Politikerfamilie: Ihr Großvater Paul Gerlach war viele Jahre Bundestagsabgeordneter, ihr Vater sitzt im Aschaffenburger Stadtrat, beide CSU, sie selbst trat mit 16 in die Partei ein. "Bei den Diskussionen am Küchentisch habe ich oft eher linke Positionen eingenommen, um die Herrschaften ein bisschen zu testen", erzählte sie mal der Bayerischen Staatszeitung. "Ich habe das natürlich nie zugegeben, aber sie haben so gut pariert, dass sie mich am Ende von der CSU überzeugt hatten."

"In aller Demut" wolle sie an die hervorragende Arbeit ihres Vorgängers anknüpfen, sagte Gerlach nach ihrer Ernennung. Das klang fast, als mache sie sich ein bisschen klein. Tatsächlich aber war Klaus Holetschek, der neue CSU-Fraktionschef, als Gesundheitsminister beliebt - was als ungewöhnlich gilt in einer Branche, die sich von der Politik schnell bevormundet fühlt und gerne auf deren Vertreter schimpft. Die Verbände schätzten Holetschek auch als Verbündeten im Abwehrkampf gegen die Reformpläne des Bundesgesundheitsministers, die er stets wortstark kritisierte. Hier dürfte Gerlach ein Erbe sehen, schließlich erwartet Söder von seinen Ministern regelmäßige Attacken auf Berlin. Man darf sich wohl auch freuen auf ihre ersten Weltuntergangsmitteilungen anlässlich der vom Bund geplanten Cannabis-Freigabe.

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Doch auch in Bayern wartet Arbeit auf Gerlach. Auch ohne die Corona-Pandemie, deren Management für Holetschek ein wahrer Karriere-Turbo war, bis vor dreieinhalb Jahren hatte der Schwabe ja noch das zweifellos hübsche, aber wenig wuchtige Amt des Bürgerbeauftragten der Staatsregierung inne. Gesundheitspolitik ist in großen Teilen Ländersache. Die Länder entscheiden über den Krankenhausplan; also, wie viele Häuser mit welcher Fachrichtung wo stehen. Mit etwa 400 Einrichtungen ist die Kliniklandschaft in Bayern immer noch sehr differenziert. Es ist klar, dass viele kleinere in ihrer jetzigen Form nicht überleben werden. Ein eigenes stimmiges Konzept fehlt nach wie vor. Erwartung dürfte zudem auch die noch von Holetschek angeschobene Umbenennung des Ministeriums wecken, das jetzt neben Gesundheit und Pflege auch die Prävention im Titel trägt. Das klingt wie ein Versprechen, dass künftig mehr getan werden soll, damit Menschen gar nicht erst krank und gebrechlich werden. Nur: Gerade die Reha-Kliniken, die nachweislich einen großen Beitrag zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit leisten, sind chronisch unterfinanziert. Gerlach wird sich, wie schon 2018, gründlich einarbeiten müssen.

Nützlich dürfte der Ministerin ihre Erfahrung aus dem bisherigen Amt sein. Die gesamte Gesundheitsbranche ist dabei, sich stärker digital zu vernetzen; allerdings hakt es an vielen Stellen. Derzeit baut gerade etwa ein Drittel der Kliniken ein gemeinsames Portal für Patienten auf - sie hätten damit in allen Krankenhäusern auf ihrem Behandlungsweg einen einheitlichen Online-Zugang, können vom Röntgenbild bis zum Arztbrief ihre Dokumente einsehen und, falls gewünscht, für die weitere Behandlung zur Verfügung stellen. "In dem Prozess der Vernetzung hat uns das Digitalministerium schon in den vergangenen Jahren durchaus geholfen", sagt der Chef der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, Roland Engehausen. "Das sehen wir als Chance an, da weiterzumachen."

Auch von der Vereinigung der Pflegenden in Bayern gab es am Donnerstag Vorschusslorbeeren: "Judith Gerlach werden die Fähigkeiten zugesprochen, gut zuhören und Dinge rasch voranbringen zu können", sagte dessen Präsident Georg Sigl-Lehner. Schnelle Lösungen müssen her, das Gesundheitswesen drohe unter anderem wegen des dramatischen Fachkräftemangels zu implodieren. Jedoch, Gerlach muss auch parteipolitisch Kante zeigen. Ihre Berufung gilt als Kontrapunkt in Unterfranken zur neuen Kultusministerin Anna Stolz von den Freien Wählern. Die Koalition ist schließlich "keine Liebesheirat", O-Ton Söder. Einigen Groll bei den FW löste Gerlach 2022 mit einem Video aus, in dem sie selbst und der Kabarettist Wolfgang Krebs in der Rolle von Hubert Aiwanger auftraten. Mit Aiwanger als Digital-Tölpel, der mit dem Faxgerät kämpft.

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