Digitalisierung in Bayern:Eine Ministerin, die von der "Gnade" der Kollegen abhängig ist

Digitalisierung in Bayern: Digitalministerin Judith Gerlach in ihrem Ministerium, das zwar buntere Tapeten hat als die meisten anderen Ministerien, aber insgesamt deutlich bescheidener ausfällt.

Digitalministerin Judith Gerlach in ihrem Ministerium, das zwar buntere Tapeten hat als die meisten anderen Ministerien, aber insgesamt deutlich bescheidener ausfällt.

(Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Judith Gerlach ist Bayerns erste Digitalministerin und sie betreibt ein zähes Geschäft. Zwar betont der Ministerpräsident gerne die Bedeutung ihres Ressorts, doch ihr Einfluss ist begrenzt.

Von Andreas Glas und Johann Osel

Neulich hat Judith Gerlach einen Witz gemacht, der so gar nicht zünden wollte. Die Szene erzählt viel über die Digitalministerin und ihr Problem. Ein Dienstag im März, Pressekonferenz nach dem Kabinett, Gerlach spricht über ihren Digitalplan, der Bayern zum "lebenswerten und zukunftsfähigen Digitalstaat" machen soll. Der Kabinettsbeschluss, sagt sie, werde jetzt ausgedruckt, schön gebunden und per Post an alle Beteiligten verschickt. Herrlich! Aber niemand lacht, niemand zuckt. Nicht der Staatskanzleichef, nicht der Kultusminister, die neben Gerlach stehen, nicht die Reporterinnen und Reporter. Stille.

Dem Digitalstaat Bayern traut man offenbar alles zu, vielleicht hätte sie zum besseren Verständnis noch die Postkutsche bemühen müssen. "Kleiner Scherz", sagt die CSU-Politikerin dann, in die Stille hinein. Der Digitalplan werde natürlich digital verschickt. Und demnächst werde sie im Landtag eine Regierungserklärung dazu halten. Genauer: an diesem Mittwoch. Ob sie den Witz dann nochmal bringt?

Wenn man so will, arbeitet Judith Gerlach jeden Tag daran, dass endlich jemand lacht, wenn sie "Post" sagt. Seit 2018 residiert sie im Digitalministerium, das Ministerpräsident Markus Söder (CSU) damals erfunden hat. Wobei, residieren? Läuft man am Odeonsplatz los, um Gerlach zu besuchen, kommt man am Innenministerium vorbei, dann am Landwirtschaftsministerium, stolze Bauten, fast Paläste. Dann biegt man ab, 150 Meter, und steht vor einem schlichten Kastenbau. Die Tür zum Ministerium findet man zwischen einer Bankfiliale und einem Möbelladen, der erst noch öffnet, wie im Schaufenster steht: "Coming soon!" Passt irgendwie auch zum Digitalstaat Bayern. Kleiner Scherz.

Judith Gerlach, 37, empfängt im sechsten Stock ihres Ministeriums, in einem kleinen Raum mit bunten Polstermöbeln und noch bunterer Blumentapete. "In den Tech-Bubbles haben wir eine Sprache und Themen, die vielerorts nicht verstanden werden. Ich muss die Übersetzerin sein." So beschreibt Gerlach ihren Job. Um das mal eben zu übersetzen, vielleicht ja sogar für Staatskanzleichef und Kultusminister: "Tech-Bubbles" sind Kreise, in denen sich Menschen bewegen, die berufsmäßig mit Digitalem befasst sind. Nein, diese Frau ist wahrlich nicht zu beneiden.

Als "Think Tank" bezeichnet Söder das Digitalministerium, als Denkfabrik. Mit durchschlagenden Kompetenzen oder üppigen Geldmitteln hat er Gerlachs Fabrik aber nicht ausgestattet. Breitbandausbau? Macht der Finanzminister. Mobilfunknetze? Wirtschaftsminister. Künstliche Intelligenz? Besetzt der Wissenschaftsminister. "Aber unser Kopf steckt mit drin", sagt Gerlach etwa über Söders Hightech-Agenda. Es sei in den anderen Ministerien "nicht immer so, dass ich mit einer Idee komme und alle rufen gleich: juhu!" Aber ihr Haus habe viel angeschoben, "mühselige Hintergrundarbeit", oft "von außen nicht sichtbar".

Wie funktioniert ihre Arbeit? "Ich schaue, wo es bei der Digitalisierung Potenziale gibt und gehe dann auf die anderen Ressorts zu, präsentiere einen gangbaren Lösungsweg." Auch mit einem kleinen "Beschleunigungsbudget", darüber sollte zuletzt etwa das Wissenschaftsministerium digital gesiegelte Zeugnisse an Hochschulen voranbringen. Gerlach sieht sich als Treiberin, bei der "die Fäden zusammenlaufen", wenn es ums Digitale geht - "weg von den Silos". Nun also darf sie eine Regierungserklärung halten. Die Reaktion der Opposition ist erwartbar. Wohl werden sich Grüne, SPD, FDP und AfD weniger in Details verlieren. Sondern den Sinn von Gerlachs Haus hinterfragen. Mal wieder.

Jedes Jahr, wenn der Landtag über den Haushalt aller Ministerien berät, entspinnt sich eine Grundsatzdebatte über das Digitalministerium. Das Haus? "Fehlkonstruktion". Die Ministerin? Abhängig von der "Gnade" der Kollegen. Immer wieder fordert die Opposition ein Ministerium mit Durchschlagskraft, mit echtem Fundament. Man fange ja auch nicht mit dem Hausbau an und lasse später den Architekten draufschauen, solchen Spott muss sich Gerlach da anhören.

Wäre es besser, ein "Digital-Veto" einzuführen? Jedes Vorhaben der Staatsregierung könnte von der Ministerin mit Blick aufs Fachgebiet blockiert werden? Auch aus der Digitalszene kennt man die Bitte, an "institutionellen Schrauben" zu drehen. Vom Veto sei sie "kein Fan", sagt Gerlach. "Mir geht es bei der Digitalisierung nicht darum, Dinge zu verhindern, sondern Dinge anzustoßen." Schon jetzt käme meist der Impuls aus ihrem Ministerium. Aber, klar, "über bessere Initiativmöglichkeiten" ließe sich schon reden. Elegant, wie Gerlach mehr Kompetenzen fordert.

Was hat das Digitalministerium wirklich gebracht? Und wie geht es weiter, mit Haus und Hausherrin, wenn nach der Landtagswahl "die Karten neu gemischt" werden, wie Gerlach es nennt? Sie sagt: "Digitalisierung denkt nicht in Legislaturperioden." Der Digitalplan, den sie am Mittwoch präsentieren wird, soll eine Perspektive für zehn Jahre aufzeigen, rund 200 Einzelmaßnahmen. Ein Schwerpunkt: "Alltagsdigitalisierung". Dass also die Menschen nicht am Online-Banking scheitern oder im digitalen Rathaus. Für "digitale Einsteiger", etwa Senioren, und deren Fragen soll es in 30 Kommunen neue Anlaufstellen geben. "Wir können in unserer wunderbaren Tech-Bubble nicht so tun, als wären alle Digital Natives", sagt Gerlach. Beispiel 49-Euro-Ticket, digital oder analog? "Es gibt einfach Menschen, die sagen: Ich habe da ein Problem, ich weiß nicht, wie das funktioniert, ich will es vielleicht gar nicht nutzen." Insgesamt müssten Angebote des Staates so einfach wie möglich sein, sonst würden sie zum "Rohrkrepierer".

Die Regierungserklärung sei "kein Rechenschaftsbericht", kein Wahlkampf, beteuert Gerlach. Sondern eben ein Ausblick. Wer trotzdem zurückschaut, kommt schwer vorbei an diesem Satz, den die Ministerin am Tag ihrer Ernennung fallen ließ. Ob sie denn digitale Kompetenzen mitbringe, wollten die Reporter wissen? Gerlachs Antwort: "Das ist sicher nicht mein Spezialgebiet". Ein schockierend ehrlicher, aber fast unerhörter Satz im Politbetrieb, der eigentlich keine Schwächen erlaubt. Alle haben gefragt: Wie kann sie nur? Und Gerlach? Hat sich gefragt, warum sie jemand nach ihrer Kompetenz fragt. "Das vernehme ich bei männlichen Kollegen eher nicht." Und überhaupt, sagt sie: "Ich habe sehr schnell gemerkt, dass ich keine studierte Informatikerin sein muss, weil ich hier im Ministerium keine Apps programmieren muss."

Dass es ihr Ministerium nach der Wahl noch gibt, da ist sich Gerlach "relativ sicher". Aber vielleicht ist ja ein anderes Haus frei, mit mehr Macht? "Ein Politiker muss in der Lage sein, sich in alle Themen einzufinden und eine gewisse Leidenschaft dafür zu entwickeln." Aber das Digitale "taugt mir", sagt Gerlach, "Spezialgebiet hin oder her."

Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivBayerischer Landtag
:Söder und Seehofer müssen auf den Zeugenstuhl

Der Untersuchungsausschuss zum Nürnberger Zukunftsmuseum lädt den amtierenden und den ehemaligen Ministerpräsidenten zur Aussage. Die Opposition rügt die teure Miete des Museums und kritisiert die Auswahl des Standorts. Es geht nun um die Rekonstruktion der Abläufe seit 2014.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: