Schulabschluss in Corona-Zeiten:Wie Abiturienten ihren Abschied feiern

Lesezeit: 3 Min.

Zeltplatz statt Ballsaal: 35 000 Absolventen feiern in dieser Woche ihren Abschied vom Gymnasium - so festlich es eben geht. Für die Zeugnisverleihung gelten strenge Vorschriften.

Von Gregor Grosse, Sarah Höger und Viktoria Spinrad, München

Stefan Prell ist der Hüter der Liste. Knapp 270 Namen von Mitschülern und deren Verwandten stehen auf dem Zettel des Abiturienten aus Prien am Chiemsee, und es dürfte keiner mehr sein. Denn genau so viele Abschlussschüler und Verwandte dürfen sich am Freitag im 550 Quadratmeter großen König-Ludwig-Saal in Prien am Chiemsee aufhalten, wenn die Zeugnisse überreicht werden. So hat es ein Mathematiklehrer am Ludwig-Thoma-Gymnasium in Millimeterarbeit ermittelt. Mit Zollstock, Metermaß und Taschenrechner. Spaß klingt anders, aber Prell wirkt alles andere enttäuscht. Im Gegenteil. "Wir sind total glücklich, dass wir überhaupt etwas machen können", sagt der 18-Jährige.

Prell ist einer von 35 000 Abiturienten in Bayern, die sich in dieser Woche für immer von der Schule verabschieden. Mit deutlich weniger Brimborium, als sich die Abschlussschüler sonst gerne feiern lassen. Aber dann auch wieder mit deutlich mehr Freiheiten als die Schüler aus dem Jahrgang vor ihnen im vergangenen Sommer. Die Rahmenbedingungen für die Zeugnisverleihung hat das Kultusministerium mit Aufzählungs- und Unteraufzählungspunkten zusammengefasst. Abstand, Masken, Rahmenhygieneplan. Essen auftischen dürfen die Schüler nicht, aber immerhin: Es können so viele Gäste kommen, wie es die Raumgröße zulässt. Eine formelle Obergrenze gibt es nicht.

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Am Chiemsee heißt das: Jeder Abiturient darf immerhin zwei Verwandte mitbringen. Der Pandemiebeauftragte Prell zeigt sich dankbar: "Wir waren positiv überrascht, dass wir überhaupt jemanden mitbringen können." Die Gästeliste hat er im Griff, Details wie Catering und Musik muss er noch klären. Womöglich kommen die Abschiedslieder dieses Jahr nicht von der schuleigenen Big Band. Sondern vom Band. Auch der Ball am Samstag im nahen Übersee wird kleiner ausfallen als in anderen Jahren. "Manche Mitschüler sind schon im Urlaub, weil sie davon ausgegangen sind, dass wieder nichts geht", so Prell.

Auch hundert Kilometer Luftlinie nördlich vom Chiemsee ist die Abifeier in diesem Jahr kein Wunschkonzert. In Straubing mieten die Abiturienten des Ludwigsgymnasiums für gewöhnlich ein Schiff und schippern damit über die Donau. Dieses Jahr geht das nicht. Auf gutes Wetter hoffen sie heuer trotzdem. Denn im Innenhof der Schule kann jeder Abschlussschüler drei Verwandte zur Zeugnisverleihung mitbringen, in der Aula wären sie unter sich. Darüberhinaus verzichtet man hier auf eine Feier. Direktorin Ricarda Krawczak berichtet von mehreren Gesprächen mit der Stadt. "Aber es war schwierig, alle Vorgaben einhalten zu können", sagt Krawczak, "wir hatten einfach keine Planungssicherheit."

Diese haben sie sich am Johannes-Butzbach-Gymnasium im unterfränkischen Miltenberg mit einem Kniff kurzerhand selber verschafft. Ihre private Abschlussfeier - die außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Kultusministeriums liegt - haben die Schüler als Kulturveranstaltung angemeldet. Im Vergleich zu den Auflagen des Ministeriums darf hier auch bewirtet werden, außerdem kann ein eigenes Hygienekonzept vorgelegt werden. Und, noch viel wichtiger: Bei Kulturveranstaltungen dürfen unter freiem Himmel bis zu 1500 Gäste teilnehmen - und nicht nur 100, wie sonst bei privaten Feiern.

Vormittags wird die offizielle Zeugnisübergabe im kleinen Rahmen in der Schulfamilie stattfinden, abends soll auf dem Schulhof dann die richtige Feier steigen. Um das zu ermöglichen, haben die Schüler extra ein Hygienekonzept erstellt und es genehmigen lassen. Außer am Platz müssen Masken getragen werden. Sogar Foodtrucks haben die 59 Absolventen organisiert, damit sich nicht alle Gäste um ein Buffet tummeln. Auch Livemusik und Bühneneinlagen sind geplant. Für die strengen Vorgaben hat man hier mit Blick auf die teils vollen Stadien bei der Fußball-EM wenig Verständnis. "Da sieht man, wo die Prioritäten liegen", sagt die Abiturientin Anna Stark.

Rückendeckung bekommen sie und ihre 58 Mitabsolventen vom Schulleiter. "Dieser Jahrgang wurde so geknebelt, gerade was die sozialen Kontakte in der Schule betrifft", sagt Ansgar Stich. Die Schüler sollten ihre Feier so frei wie möglich gestalten. "Ich werde ihnen da keine Knüppel zwischen die Beine werfen". Ein bisschen Ekstase, aber mit Bedacht: Am Vortag sollen sich alle Gäste der Feier testen lassen. "Wir wollen schon auf Nummer sicher gehen", sagt Stark. Zumal viele erst kurz vorher von einer Abifahrt aus Kroatien zurückkommen.

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Diese wollen sich viele bayerische Schüler auch heuer nicht nehmen lassen. Kroatien, Spanien, Griechenland: In vielen beliebten Zielen steigen die Infektionszahlen. Entsprechend besorgt blickt man im bayerischen Gesundheitsministerium auf die Gruppenausflüge ins Ausland. Zwar sei der Wunsch nach einer gebührenden Abschlussfeier "verständlich", sagt ein Sprecher. "Der Schulabschluss stellt für die Schülerinnen und Schüler im Freistaat natürlich etwas ganz besonderes dar." Jedoch müsste man trotz spürbar gesunkener Infektionszahlen "weiter Umsicht und Vorsicht walten lassen." Es gelte alles zu tun, um einer vierten Welle im Herbst zuvorzukommen. Der Appell: Die Schüler sollten die geltenden Regelungen "nicht über Gebühr beanspruchen".

Es sind die mahnenden Worte eines Ministeriums, das weiß, wie schnell Feierfreudige Mutationen aus dem Ausland einschleppen und die Infektionskurve wieder in die Höhe schnellen lassen können. Vor allem dann, wenn der Alkohol fließt und aus Abständen Annäherungen werden. Dass es auch ohne Flugzeug zum Feiern gehen kann, zeigen die Abiturienten im oberpfälzischen Nabburg. Die Absolventen des Johann-Andreas-Schmeller-Gymnasiums kramen in dieser Woche Schlafsäcke und Bunsenbrenner aus dem Keller. Gleich im Anschluss an die Zeugnisverleihung geht es dann für ein paar Tage zum Campen in der Region.

© SZ vom 12.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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