Sprachforschung:"Geij Bou, dassd fei schee schmaadzd!"

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  • Eine neue wissenschaftliche Studie aus Augsburg zeigt, dass die Zahl der Dialekt sprechenden Kinder drastisch zurückgeht, zumindest in Bayerisch-Schwaben.
  • Ein weiteres Ergebnis der Studie: je größer der Ort, desto weniger Dialekt sprechende Kinder gibt es.
  • Für die Studie wurden Kindergartenkinder herangezogen, weil Dialektkompetenz in der Regel im Vorschulalter erworben wird.

Von Hans Kratzer, Augsburg

Sollen Kinder Dialekt sprechen oder nicht? Und welche Nachteile müssen sie in Kauf nehmen, wenn sie beispielsweise "der Schoklad" statt "die Schokolade" sagen? Über solche Fragen wird seit Jahrzehnten gestritten, auch in der Wissenschaft, die in den Siebzigerjahren noch lautstark proklamierte, der Dialekt bilde eine Sprach- und damit eine Entwicklungsbarriere. Eine neue wissenschaftliche Studie aus Augsburg belegt nun die Folgen dieser Debatten. Die Zahl der Dialekt sprechenden Kinder geht demnach drastisch zurück, zumindest in Bayerisch-Schwaben.

"Geij Bou, dassd fei schee schmaadzd!" (gell Bub, dass du fei schön sprichst!). Diese schlichte Mahnung, welche die Mutter des Schriftstellers Josef Fendl ihrem Buben jedes Mal mit auf den Weg gab, wenn er einst in die Stadt fuhr, belegt die mit dem Dialekt verknüpften Abstiegsängste. Dahinter steht die Überzeugung: Gerade der bayerische Mensch sollte schön, also nach der Schrift reden, denn sein Dialekt sei grob und verhindere zuverlässig einen schulischen wie auch beruflichen Erfolg.

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Mittlerweile ist in der Politik wieder ein Umdenken zu beobachten. Die Mundarten seien kein Bildungshindernis, sondern ein Kulturgut, heißt es nun. Das Beherrschen von Dialekten soll nach Vorgaben des Kultusministeriums künftig wieder als Stärke und Bereicherung bewusst gemacht und in Kindergärten und Schulen gefördert werden. "Dialektsprechen ist nach wie vor ein gesellschaftlich relevantes Thema", sagt der Augsburger Linguist Werner König. Auf der einen Seite sehe man den Rückgang der kleinräumigen Mundarten, auf der anderen Seite spiele der Dialekt eine zentrale Rolle in der Konstruktion von regionaler Identität. König ist deshalb überzeugt: "Dialekte werden sowohl in der Politik wie auch in weiten Kreisen der Gesellschaft als schützenswertes Phänomen und ihr Rückgang als Wertverlust gesehen."

Trotzdem: "Soziale Benachteiligung durch Sprache hat in Deutschland eine lange Tradition", sagt der Sprachwissenschaftler Peter Maitz. Er hält die sprachliche Normierungswut für ein spezifisch deutsches Phänomen. "In der Schweiz und in Österreich gibt es diesbezüglich eine viel höhere Toleranz."

Dass der Schwund der Dialekte eine Folge von gesellschaftlicher Modernisierung und Globalisierung sei, greife zu kurz, sagt König. In diesem Fall müssten auch die Dialekte in der deutschsprachigen Schweiz auf dem Rückzug sein, was jedoch nicht der Fall sei. Dort trägt ein Nobelpreisträger wie Kurt Wüthrich sogar seine wissenschaftlichen Erkenntnisse unbeirrt in seinem angestammten Schwyzerdütsch vor. Auf der Suche nach einer wissenschaftlichen Erklärung starteten König und seine Mitstreiter Christian Pfeiffer und Peter Maitz 2016 am Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft an der Uni Augsburg eine systematische Bestandsaufnahme über Dialektkompetenz im Regierungsbezirk Schwaben.

Für die Studie wurden Kindergartenkinder herangezogen, weil Dialektkompetenz in der Regel im Vorschulalter erworben wird. Geschieht dies in diesem Alter nicht, ist davon auszugehen, dass eine Dialektübertragung von den Eltern auf die Kinder nicht mehr stattfinden wird. "Auf diese Weise sollten unsere Daten nicht nur Aussagen über die aktuelle Situation, sondern zugleich über die Zukunft des Dialekts in Bayerisch-Schwaben erlauben", sagt König.

Als Informantinnen dienten Erzieherinnen in 173 Kindergärten, in denen insgesamt 5341 Kinder sprachlich analysiert wurden. "Die Größe dieser empirischen Basis gewährleistet, dass die Ergebnisse einigermaßen zuverlässig sind", sagt König. Es gibt in dieser Dimension bislang keine vergleichbare Untersuchung. Die Ergebnisse sind für Dialektverfechter ernüchternd. Es stellte sich heraus, dass von den 5341 Kindern nur 974 Dialekt sprechen, das sind gut 18 Prozent. 2401 sprechen Hochdeutsch (45 Prozent) und 2387 "etwas dazwischen". Zu 140 Kindern (2,6 Prozent) wurden keine Angaben gemacht.

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Ein weiteres Ergebnis der Studie: je größer der Ort, desto weniger Dialekt sprechende Kinder gibt es. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass in städtischen und damit eher dialektfernen Regionen oft schon weniger ausgeprägte Dialektfärbungen als Dialekt gewertet werden. "Auf dieser Basis würde der Anteil von Dialektsprechern nochmals reduziert", sagt König.

Die Mischform der Regiolekte, welche die alten Ortsdialekte ersetzen, werden mittlerweile von vielen als Dialekte betrachtet. Für Dialektpuristen müsste in diesem Fall der Gesamtwert von 18 Prozent Dialektsprechern nochmals nach unten korrigiert werden. Aus der Sicht von Menschen, die meinen, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, oder der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger sprächen in öffentlicher Rede Dialekt, müsste der Wert wiederum um einiges erhöht werden.

Laut der Studie benützen immerhin gut 50 Prozent der Kinder Sprachvarietäten, die mehr oder weniger deutlich regionale Merkmale transportieren. "Dies heißt aber nicht zwangsläufig, dass diese Regiolekte die Alltagssprache der Zukunft in Bayerisch-Schwaben sein werden", sagt König. "Wir wissen nicht, wie die hier untersuchten Kinder sich im Alter zwischen zwölf und 16 Jahren entscheiden werden." Die Medien und das Bildungssystem, denen sie ausgesetzt seien, pflegten nach wie vor eine Sprache, die an norddeutschen Regionalformen orientiert sei und diese als höherwertig betrachte. Nur auf dem Oktoberfest und in der Fasnacht greife die Abwertung süddeutscher Sprachvarietäten nicht. "Da hat der Dialekt ein positives Image. In diesem Bereich bietet er einen realen Mehrwert im Sinne unserer am Erfolg orientierten Gesellschaft", lautet die Bilanz des Sprachwissenschaftlers König.

© SZ vom 11.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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