"Hauptsach, es is koa Preiß!" Dieses Bonmot nahm der Sprachprofessor Anthony Rowley gerne in den Mund, wenn er gefragt wurde, warum ausgerechnet er, ein Brite, zum Leiter des Forschungs- und Editionsprojekts "Bayerisches Wörterbuch" erkoren wurde. Mit seinem Exotenstatus und seinen vielen Fernsehauftritten hat Rowley die Popularität des Wörterbuch-Projekts gewiss stark befördert. Nach seinem Eintritt in den Ruhestand hat nun eine Frau seinen Posten übernommen, die ausnahmsweise nicht aus England stammt, sondern aus Mering im Landkreis Aichach-Friedberg, wo sich die Menschen durchaus noch in der Mundart verständigen. Aber auch beruflich beschäftigt sich Andrea Schamberger-Hirt seit vielen Jahren mit dem Phänomen Dialekt. Nach einer Lehramts-Ausbildung und einer Tätigkeit als Schulbuchreadakteurin arbeitete sie seit 2008 als Redaktorin des Bayerischen Wörterbuchs, bevor sie die Leitung des Jahrhundertprojekts übernahm.
Das Bayerische Wörterbuch ist eines der ältesten Forschungsgebiete an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Die mit der Herausgabe beauftragte "Kommission für Mundartforschung" wurde bereits 1911 gegründet. Viele Jahrzehnte lang wurde dann Material für das Mammutwerk zusammengetragen. Seit 1995 wird das Wörterbuch publiziert, soeben ist der dritte Band - prä (lateinisch) bis törmisch (schwindlig) - erschienen (Wörter mit den Anfangsbuchstaben P und T sind unter B und D gelistet). Das Projekt wirkt wie ein langer, ruhiger Fluss. Es werden noch weitere 40 Jahre ins Land gehen, bis es abgeschlossen wird. Erst 2060 soll das Wörterbuch vollendet werden.
Kratzers Wortschatz:"Wir sind ja auf des Schinterglump angewiesen"
Doch nicht immer ist das Gerät, etwa ein Handy, das "oide Glump" - manchmal ist es auch das fehlende Signal auf dem Land.
Ein Wörterbuch, das so lange gedeihen darf, braucht einen guten Platz. Und den hat die Redaktion, die im Obergeschoss der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Nordostflügel der Münchner Residenz beheimatet ist. Hier erstreckt sich ein Hort der Stille und der Gelehrsamkeit. In die mit Büchern und Aktenkästen vollgestellten Büros dringt kein Lärm hinein. Dieser Ort hätte auch den Maler Spitzweg delektiert. Es erscheint einem so, als verlaufe der Alltag entschleunigter als draußen in der Stadt. "Für unsere Arbeit braucht man viel Ruhe", bestätigt Andrea Schamberger-Hirt, "man muss sich in die unterschiedlichsten Themen vertiefen und alles geistig durchdringen." Dass hier ein Radio dudelt, ist völlig undenkbar.
Vor dem Hintergrund des grassierenden Sprachwandels drängt sich aber eine Frage auf: Ist ein solches Projekt noch zeitgemäß? Selbst manche Linguisten äußern sich bereits abfällig über die Dialektforschung. Solche Kritik perlt an Schamberger-Hirt wirkungslos ab. "Dialekte haben eine historische Tiefe", sagt sie, "sie verbinden uns quasi mit den Vorfahren." Die Standardsprache sei dagegen nur ein Kunstprodukt. Stolz nimmt sie den soeben erschienenen dritten Band zur Hand, der bis zum Buchstaben D reicht. Er hat ein stattliches Gewicht und eine Delle im Umschlag. Einem Mitarbeiter fiel das Trumm beim ersten Hingreifen jäh aus der Hand.
Ein Lieblingswort habe sie nicht, sagt Frau Schamberger-Hirt. Früher hätte sie auf diese Frage das Wort Deandl (Mädchen) genannt, "aber als Wörterbuchmacherin begeistere ich mich für alle Wörter." An Begriffen und Redensarten herrscht in ihrem Reich wahrlich kein Mangel. In den Zettelkästen schlummern gut acht Millionen Belege, zusammen mit den Fragebögen seien es wohl mehr als zehn Millionen, schätzt Schamberger-Hirt. Dass alles so lange dauert, hängt mit der mühsamen Auswertung zusammen. Die Zettel sind ganz unterschiedlich geformt, die Handschriften schwer zu lesen, und die Tinte ist nicht selten ausgeblichen. Die Stichwörter dokumentieren das Alltagsleben und die Volkskultur in Altbayern, von der Geburt bis hin zum Tod. Das Schwäbische und Fränkische werden im Wörterbuch nur in Übergangsgebieten berührt, etwa am Lechrain, der Sprachgrenze zu Schwaben. Im Fränkischen wird der Raum um Nürnberg, Wunsiedel und Selb einbezogen, weil es dort nordbairische Einflüsse gibt.
Schamberger-Hirt ist optimistisch, dass das Werk 2060 fertig ist. Auch wenn jetzt gerade ein Umbruch in der vierköpfigen Redaktion vollzogen wird. "Beim Oxford Dictionary dauert es fünf Jahre, bis man sich eingearbeitet hat, bei uns bis zu drei Jahre", sagt sie, es ist beileibe kein Kinderspiel. Die Mitarbeiter müssen sprachhistorisch breit aufgestellt sein, die verzwickten Regeln der bayerischen Mundarten kennen, alte Handschriften lesen können und auch Urkunden im Archiv. Die Redaktion verschickt nach wie vor Fragebögen an die 350 Gewährsleute, die ihr zuarbeiten. Der bislang letzte Fragebogen stammt vom Oktober 2019. Es geht darin um das anrüchige Verbum scheißen. "Leider müssen wir auch diese Frage stellen", heißt es im Anschreiben entschuldigend.
Der nächste Band, der dann bis zum Buchstaben E hineinführen wird, soll in fünf bis sechs Jahren erscheinen. Obwohl Schamberger-Hirt trotz knapper Finanzmittel den digitalen Umbruch in der Wörterbucharbeit forcieren will, soll die Printausgabe ein wichtiger Pfeiler bleiben, aus einem einfachen Grund: "Weil das in 500 Jahren immer noch da sein wird. Da bin ich konservativ." Im Internet jedenfalls verzeichnet das Angebot der Wörterbuch-Redaktion die häufigsten Klickzahlen innerhalb der Akademie der Wissenschaften. Und es flattern jeden Tag Wort-Anfragen in die Redaktion, etwa über die Bedeutung alter Flurnamen, über ein vergessenes Wort, das die Oma erwähnt hat oder das einem Sportler mitten im Fitnesstraining eingefallen ist. Schamberger-Hirt wundert das nicht: "Wir spüren, dass die Menschen viel über Sprache nachdenken."