Glump
Auf einer Versammlung äußerte neulich ein Bürger aus dem Erdinger Land seinen Ärger über den mäßigen Handy-Empfang. "Wir sind ja auf des Schinterglump angewiesen", klagte er und verwendete dabei eine Sonderform des Wortes Glump, das ein wertloses Zeug oder ein Graffl benennt. Ein minderwertiges Gerät provoziert häufig Aussprüche wie: "A sechas Glump!" oder: "Glump varreckts!" Die Steigerungsform lautet Schinterglump. Die BR-Fernsehsendung "Capriccio" merkte einmal zu einem Jubiläum des Freilichtmuseums auf der Glentleiten ironisch an: "Glentleiten, eine Art Gnadenhof für oides Glump." Manchmal ist ein Glump sogar für etwas gut. Mit Blick auf die Eröffnung des vorzüglichen Bauernhofmuseums Jexhof im Jahr 1987 erinnerte sich der Fürstenfeldbrucker Alt-Oberbürgermeister Sepp Kellerer: "Das alte Glump sollte man lieber abreißen als wieder herrichten, das war damals im Brucker Kreistag vorherrschende Meinung."
zrapft und zritt
Vor einigen Wochen ging es an dieser Stelle um das Adjektiv bullert. Nach unserem Verständnis weist es drauf hin, dass die Haare kreuz und quer und wirr auf der Kopfhaut liegen, so ähnlich wie beim britischen Premier Boris Johnson. SZ-Leserin Elfi Reischl ist mit dieser Definition aber nicht zufrieden. Bullert sei ja nicht vom Bullen abgeleitet und bedeute auch nicht bullig, teilte sie mit. Das Wort komme vielmehr wie die Bullhaum (Pudelhaube) vom Pudel und bedeute pudelig (pudlert). Die Endung werde wie bei nackert und strumpfsockert meist als -ad gesprochen; das d von pudlert werde verschluckt, und so höre man bullad. Als pudlert bezeichnet Elfi Reischl Tiere oder Personen, die eine pudelartige Frisur tragen. "Boris Johnson ist nicht pudlert (bullad). Dazu fehlt ihm die Haarfülle!", schreibt sie. Vielmehr sei er zrapft oder noch besser zritt (zerzaust, zerrüttet). Dazu passe das übertragbare Sprichwort "Wia 's Haarl, so 's Madl". So sei es auch bei Boris Johnson, meint Frau Reischl. "Innerlich und äußerlich zritt!"
Giasinger Heiwog
Neulich ist das Auto nicht angesprungen, es wurde in die Werkstatt geschleppt. Kfz-Meister Rainer B. stellte eine rasche Diagnose: Der Tank war leer. Die Anzeige hatte fälschlicherweise angegeben, er sei noch halb voll. Es sei eigentlich ein gutes Auto, sagte der Meister, es habe nur eine Schwäche: "Die Benzinanzeige geht nach der Giasinger Heiwog!" Bei allem Ärger war es erfrischend, diese alte Redewendung wieder einmal live zu hören. Dahinter steckt ja ein Stück Wirtschaftsgeschichte, denn es geht es dabei um die legendäre Heuwaage, die einst in München-Giesing stand. Mit ihrer Hilfe wurden in Zeiten ohne Digitalanzeige Pferdefuhrwerke und ihre Ladung gewogen. Die Giasinger Heiwog hatte riesige Ausmaße, trotzdem konnte man damit das wahre Gewicht einer Ladung nur grob und ungenau wiedergeben. Wegen dieser Eigenschaft fand die Giesinger Heuwaage Eingang in den Sprachschatz. Nicht nur Rainer B. pflegt alles Ungenaue, das ihm im Alltag begegnet, immer noch mit dieser Wendung zu beschreiben. Auch eine ungenaue Uhr geht nach der Giasinger Heiwog. Überhaupt werden gewisse Münchner Orte gerne für solche Vergleiche herangezogen. Schreiner und Zimmerer sagen, wenn der Abstand in einer Holzkonstruktion nicht stimmt: "Da fehlt's ja um d'Neihauser Strass!" Der Abstand ist also, leicht übertrieben, so groß wie die Neuhauser Straße, die heute Teil der Fußgängerzone im Zentrum von München ist.
Duadinedowe
Kollege K. hat neulich in einer Mail um eine Auskunft gebeten, aber im selben Satz die Bitte geäußert, nicht unnötig Zeit darauf zu verwenden. "Duadinedowe!", schrieb er in feinstem Dialekt. Sich owedoa (obetun, abhintun) heißt: sich anstrengen, sich nach Kräften bemühen. K. sagte damit also: Verwende nicht zu viel Mühe darauf! Wenn sich jemand recht plagt, heißt es: "Jetz hod er se a so owedo!" Wer faul ist, der "duad se ned owe", es bekümmert ihn nicht. Das ist manchmal lustig, manchmal auch todtraurig. Die Landshuter Zeitung erinnerte vor Jahren an einen Prozess kurz nach dem Krieg, bei dem es um den Mord an einem jungen Mann aus Polen ging. Der Bruder des Opfers beklagte, man habe nicht intensiv genug ermittelt. Von einem Polizisten habe er sich damals aber anhören müssen: "Zwengs dem Polackenbuam dean mia uns ned obe."
Eisenschewerer
Im Vilstalboten, einem im niederbayerischen Frontenhausen erscheinenden Anzeigenblatt, war neulich eine interessante Annonce zu lesen: "Eisenschewerer kauft Alteisen, landwirtschaftliche Geräte und Metalle aller Art." Das Wort Eisenschewerer liest man nicht alle Tage, es hat Kraft, einen robusten Klang und weckt sofort die Aufmerksamkeit des Lesers. Allerdings verschließt es sich einem raschen Verständnis. Zunächst fällt einem das Verbum scheppern ein, das eine ähnliche Bedeutung hat wie klappern, klirren, krachen. Im Zusammenhang mit dem Grundstoff Eisen ist das ja nicht abwegig. Ein Anruf bei besagtem Eisenschewerer ergab aber, dass er selber diesen Begriff auf das Wort schachern zurückführt, also handeln und feilschen. Das in Ostbayern gängige Verbum "verschäwern" bedeutet, dass etwas (zu) billig verkauft wird. Es bleibt zu hoffen, dass der Eisenschewerer, man könnte ihn auch Schrotthändler nennen, zu guten Erlösen kommt, denn um den Schrottpreis, wie er sagt, stehe es derzeit ganz schlecht.
kudern
Als neulich eine Gruppe von aufgedrehten Frauen abends am Ostbahnhof in den Zug nach Mühldorf einstieg, da war plötzlich was los im Abteil. Es war eine fröhliche Schar, in der vital kommuniziert wurde. Die eine wusste stets noch einen lustigeren Schwank zu erzählen als die andere. Wenn Frauen sich in der Öffentlichkeit etwas zu laut der Fidelität hingeben, dann sagt man, dass sie kudern, also penetrant kichern oder lachen. Die Autorin Magdalena Stöckl schrieb einmal: "Wir Mädel kudern." In einschlägigen Wörterbüchern (Zehetner, Ringseis) ist zu lesen, kudern sei ein verhaltenes Lachen. Die österreichische Autorin Lydia Haider gestand einmal in einem Interview im Standard über ihre schreibenden Freundinnen: "I bin ich die Einzige, die arbeitet und dazu fleißig sauft ... die anderen kiffen ab und zu und kudern dann herum." Der einstige Saalordner in der mittlerweile verschwundenen Passauer Nibelungenhalle, Sepp Reischl, erzählte der Passauer Neuen Presse, er habe einmal am Politischen Aschermittwoch hinter der Bühne ein Treffen der früheren Olympionikinnen Irene Epple und Monika Scheftschik arrangiert. "Die beiden hat man bis weit vor den schweren Bühnenvorhang kudern gehört", erinnerte sich Reischl an die lautstarke Wiedersehensfreude der Wintersportlerinnen. Männern wiederum kudern nicht, sie zahnen. Robert Hültner lässt einen Protagonisten in seinem Roman "Am Ende des Tages" mitteilen: "... hat er mich bloß blöd angezahnt."
Semmel
Der Münchner Merkur hat in einer Art Alarm-Meldung verbreitet, Ministerpräsident Markus Söder habe sich in einem aktuellen Interview mit einer Illustrierten einen Sprachfehler (Fauxpas) geleistet. In dem nämlichen Gespräch hatte er verraten, was zu Hause sein Aufgabenbereich ist: Brötchen holen! Da trägt er in der Tat eine große Verantwortung, nicht zuletzt in sprachlicher Hinsicht. Wie kommt der Ministerpräsident dazu, in Bayern nach "Brötchen" zu fragen? Vielleicht habe er durch seine häufigen Besuche in Berlin vergessen, wie man in einer bayerischen Bäckerei eine Bestellung abgibt, spekuliert der Merkur und merkt an, im Freistaat sei es üblich ist, Semmeln zu holen oder auch Weggla, wie sie in Söders Heimat Nürnberg genannt werden. Semmel ist ein urbayerisches Wort, das auf die alten Römer zurückgeht. Diese brachten einst den Weizen in die Gegend des heutigen Bayern und mahlten daraus feines Mehl, das sie simila nannten. Im Althochdeutschen wurde daraus semela, weißes Brot, während es nördlich des Limes nur roggernes dunkles Brot gab. Die CSU vergisst diese Tradition gerne, auf den Parteitagen wurden schon Currywurst und Schrippen kredenzt. Dabei hat die Semmel - im Gegensatz zur Schrippe und zum Brötchen - sogar den Sprung in die Schriftsprache geschafft. Wie sagte Goethe zu den Prinzen von Gotha: "Nun, ihr Semmelköpfe, was macht ihr?"
bullert
Kollegin M., die von ländlicher Herkunft ist, hat beklagt, die Münchner wüssten ja wirklich gar nichts mehr. Sogar ihr eigener Mann habe sich über einen Begriff aus ihrem Wortschatz halb totgelacht. Dabei habe sie nur über jemanden gesagt, der sei bullert (bullad). Das aber habe ihr Gatte nicht verstanden. "Und dann hat er mir nicht geglaubt, dass es das Wort tatsächlich gibt und behauptet, es sei eine Erfindung von mir", erzählte sie entrüstet. In der Tat ist das Adjektiv bullert nicht mehr flächendeckend bekannt. Vielleicht wird es auch nur im Großraum Landshut verwendet, dort aber hundertprozentig. Bullert ist unter Druck geraten, nachdem die Männer eitler geworden sind. Fußballer können ja quasi nur noch mit einem Undercut das Spielfeld betreten (untere Schädelhälfte rasiert, Deckhaar in der Länge belassen und voller Gel). Früher sind zumindest Buben nicht so oft mit dem Kamm in Berührung gekommen. Die Haarbüschel lagen kreuz und quer und wirr ewig weit ins Gesicht hinein. Man sprach in solchen Fällen von Zotln (zotteligen Haaren) oder einer Sturmfrisur. Die Haare waren bullert, der britische Premier Boris Johnson kommt stets bullert daher, bei ihm passt sogar die Steigerungsform raubullert.
Scheißwetter
Vor Kurzem war der Tag des offenen Denkmals, und die Führungen waren wie immer lehrreich. In Wasserburg am Inn erfuhr man zum Beispiel, dass dort der heute noch gängige Begriff Scheißwetter sogar archivalisch belegt sei. Mit diesem Wort hatte ein Arzt in grauer Vorzeit den Regen beschrieben, der die Exkremente der Plumpsklos in den Erkern der Herrenhäuser auf die Straße schwemmte. Das Präfix Scheiß- ist ja ein Widerspruch an sich. Es kann pejorativen Charakter haben (Hundsscheiß) oder emotional verstärkend wirken (scheißgrantig, scheißfreundlich, scheißpeinlich). Ohne Umschweife nannte man das stille Häusl auf dem Land früher Scheißhaus. SZ-Leser Hans Störringer hat uns dazu folgende Begebenheit zuteil werden lassen: "Das Scheißhaus wurde früher bei uns auch Wander-Scheißheisl genannt. Wenn es voll war, hat man es ein paar Meter weiter auf den Misthaufen geschoben. Einmal haben ein paar Dienstboten ein Häusl, in dem eine Bäuerin, eine echte Bissgurrn, saß, einfach gepackt und mitsamt der Person auf den Misthaufen geschmissen. Nach der Schandtat, so heißt es, sei die Bäuerin zu ihren Dienstboten scheißfreundlich gewesen."
Batzlaugen
Selbst solche Mitglieder der Gesellschaft, die noch nicht komplett verroht sind, benützen das Online-Medium Facebook gerne als eine Art verbale Dreckschleuder. Neulich hat sich ein junger Gloiffe (grober Kerl) im Netz mordsmäßig aufgeregt, weil ihm eine "nette Dame" die Vorfahrt genommen hatte ("du Mistbritschn du elendige"). Er sei stocknarrisch, schrieb er und empfahl dem vermeintlichen Verkehrsmonster, nochmals die Fahrschule zu besuchen - "oder mach deine Batzlaung auf und lern as Schilderlesen", belferte er und belegte somit auf nachhaltige Weise, dass sich das Bairische durch eine enorm ausgeprägte Schimpfkultur auszeichnet. Neben der Mistbritschn fallen im Post des Wüterichs vor allem die Batzlaung (Batzlaugen) auf. Diese deuten ja eigentlich auf ein medizinisches Problem hin, nämlich auf die Basedowsche Krankheit, die sich häufig durch das Hervortreten der Augäpfel bemerkbar macht. Im Standarddeutschen sagt man dazu auch Glupschaugen. Das Adjektiv lautet batzlaugert (botzaugert).
tenk
Die Lern- und Konzentrationstrainerin Michaela Mayer aus Traunwalchen ist Linkshänderin und beschäftigt sich schon deshalb intensiv mit diesem Thema. In Deutschland gelten bis zu 15 Prozent der Bevölkerung als Linkshänder. Mayer befragte viele von ihnen und kam dadurch zu erstaunlichen Erkenntnissen. Demnach gibt es immer noch viele Linkshänder, die in der Schule Probleme haben. Außerdem fand Mayer heraus, dass Linkshänder nach wie vor zu Rechtshändern umerzogen werden, was längst überwunden zu sein schien. Nun nimmt diese Tendenz sogar wieder zu. In sprachlicher Hinsicht fällt auf, dass das alte Wort für Linkshänder (Tenke) in Vergessenheit gerät. "In unserer Klass san zwoa Tenke drin", hieß es früher. Das dazugehörige Adjektiv lautet tenk (denk). Der Autor Hans Göttler hat in seiner Übertragung des "Struwwelpeter" ins Bairische das Wort tenk mit eingebaut: "Und kaam is d'Muadda ausn Haus / Steggd ea an Damm as Mai! O Graus! / Zerschd glei an denkn, dann an rechtn / Grad schmecka duads dem Lump, dem schlechtn!" Tenk bedeutet auch linkisch und ungeschickt: "Der hod aber zwoa tenke Händd!" Tenk zählt sogar zu den bairischen Kennwörtern, die sich dadurch auszeichnen, dass sie in keinem anderen deutschen Dialekt vorkommen.
In Gottsnam dreißge
Kollege O. hat erzählt, sein Vater verwende gerne die Redensart "In Gottsnam dreißge". Wenn eine Aufgabe nicht mehr aufzuschieben ist, so unliebsam sie auch sein mag, dann seufzt man: "Ja dann pack ma's halt an, in Gottsnam dreißge." Das heißt: Es bleibt uns eh nix anderes übrig. Offen ist, warum hier ausgerechnet die Zahl 30 zur Anwendung kommt. Sie begegnet einem ab und zu im kirchlichen Brauchtum. Die Zeit zwischen dem 15. August (Mariä Himmelfahrt) und dem 8. September (Mariä Geburt) wird "Frauendreißiger" genannt, diese 30 Tage gelten seit jeher als ideale Zeit zum Kräutersammeln. Der 30. Tag wiederum spielte einst beim Totenbrauchtum eine Rolle. Am 30. Tag nach ihrer Beerdigung wurde noch einmal ein Seelengottesdienst für die Verstorbenen gehalten. Der Dialektologe Ludwig Zehetner vermutet bei "In Gottsnam dreißge" ein verstümmeltes Dreißigst, also im Sinne von endgültig, schließlich, endlich.
Gejzgod
Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) hat die Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen des Bayerischen Cimbern-Kuratoriums besucht. Das Kuratorium pflegt enge Kontakte zu den norditalienischen Sprachinseln der Zimbern, in denen noch alte bairische Mundarten gesprochen werden. Das Cimbern-Kuratorium freute sich so sehr über den Besuch des Ministers, dass es ihm am Ende seiner Rede prompt die Ehrenmitgliedschaft antrug. Das wiederum ließ Sibler erstrahlen, und er bedankte sich mit einer astreinen bairischen Formel: "Gejzgod, dass ma die Ehr odadds!" Das heißt: Vergeltsgott, dass ihr mir diese Ehre zuteil werden lässt." Es gab dafür großen Beifall von den bayerischen und italienischen Gästen. Die Dankesformel existierte einst als Vergeltsgott, Vergejzgod oder kurz Gejzgod (Vergelte es euch Gott). Der oder die Beschenkte erwiderte: "Sengsgod" oder "Gsengsgod" (Segne es Gott). Die moderne Gesellschaft kann solchen Formeln des gegenseitigen Respekts leider nichts mehr abgewinnen. Hier erfahren Sie mehr über die Zimbern.
Basst scho
"Basst scho" ist ein typisch bairischer Ausdruck. In ihm spiegelt sich die weite Toleranzspanne der Sprecher, die aber wie viele andere edle Tugenden im Schwinden begriffen ist. "Basst scho" wird nicht nur gesagt, wenn etwas tatsächlich passt, sondern auch, wenn eigentlich nichts passt, der Sprecher sich aber demütig dem Lauf des Schicksals ergibt. Diese Logik verstehen freilich nur solche Bayern, die mit den Feinheiten des Dialekts groß geworden sind. "Basst scho!" heißt auch eine Buchreihe des Regensburger Sprachprofessors Ludwig Zehetner (im Bild), in der seine Kolumnen aus der Mittelbayerischen Zeitung zusammengefasst sind. Soeben ist der vierte Band erschienen ("Einblicke in die Geheimnisse des Bairischen", Edition Vulpes, Regensburg, 2019, 19 Euro). Zehetner weist immer wieder darauf hin, dass das Bairische ein eigenständiges sprachliches System darstellt. In diesem Sinne erklärt er in dem Band unter anderem, was es mit alten Wochentagsnamen wie Irta und Pfinzta auf sich hat und mit Verben wie verdrallamanschieren und verurassen. Nicht zuletzt erörtert Zehetner die Phänomenologie der Nudeln in der Volkssprache, er erklärt, welche Anleihen das Bairische aus dem Hebräischen nahm und wie neuerdings Unwörter wie kucken und pennen das Bairische verunzieren.
Spektifi
Vor einigen Monaten war an dieser Stelle eine Abhandlung über den kuriosen Begriff Zuawaziager zu lesen, also über ein Fernglas, das die Dinge ans Auge des Betrachters zuawaziagt (zuaraziagt, ans Auge heranzieht). Helmut Thieß hat uns dazu geschrieben, dieses Wort erinnere ihn an eine verstorbene Nachbarin, die immer einen solchen Zuawaziager auf dem Fensterbrett stehen hatte, damit sie zweifelsfrei erkennen hat können, wer unten auf der Straße vorbeigeht. Allerdings habe sie ihn nie als Zuawaziager bezeichnet, schreibt Thieß, sondern als Spektifi, abgeleitet vom alten Begriff Perspektiv (Spektiv), obwohl es kein Fernrohr zum Zusammenschieben war, wie es im Duden steht, sondern ein einfacher Operngucker. Tatsächlich wird das Wort Spektiv in einigen Mundarten in der Bedeutung von Fernrohr verwendet. Bei älteren Herrschaften muss das auch beim Suchen der Brille herhalten: "Herrschaftszeiten, wo ist denn bloß mein Spektifi?"
Ribisl
Der Künstler Jakob Friedl hegt die Absicht, der nächste Regensburger Oberbürgermeister zu werden. Unterstützen wird ihn bei seinem Plan die sogenannte Liste Ribisl, die im März 2020 ebenfalls bei der Kommunalwahl antreten will. Mittlerweile wurde auch der Verein Ribisl-Partie e.V. gegründet. "Wir fordern die Gestaltbarkeit des öffentlichen Raums an selbst gewählten Orten und wollen alle Menschen dazu ermuntern kreativ mitzumachen", erklärte Friedl neulich auf etwas luftige Art das Anliegen der Ribisl-Freunde. Am interessantesten an der Gruppierung ist bis jetzt der Name Ribisl. Hinter diesem Begriff stecken schmackhafte Früchte, die eigentlich als Johannisbeeren bekannt sind. Im bayerischen Alpenvorland und in Österreich werden sie jedoch Ribisl genannt, ausgehend vom lateinischen Wort ribes (arabisch: ribas). Als Delikatessen werden darüber hinaus der Ribislsaft sowie der Ribislwein gehandelt. Der Schauspieler Helmut Qualtinger (1928-1986) sagte einst in seinem famosen Ein-Mann-Stück "Der Herr Karl": "Da waren im Inundationsgebiet, Überschwemmungsgebiet - so Standeln . . . san mir gsessen mit den Madln . . . Ribislwein abigstessen . . ." In Südbayern heißen die Ribisl mancherorts Weinbeerln (Weibierl), im Isartal nennt man sie gelegentlich auch Hanslbial.
Niedrigbayern
Bayern hat sieben Regierungsbezirke, fast zu viele, um sie stets parat zu haben. Zum einen gibt es den altbayerischen Block mit Oberbayern, Niederbayern und der Oberpfalz, dann Schwaben und schließlich die fränkischen Bezirke Ober-, Unter- und Mittelfranken. Am wenigsten trägt man es einem Engländer nach, wenn er da etwas durcheinanderbringt. Der britische Schlagersänger Graham Bonney, der es in den 70er-Jahren mit Hits wie "Supergirl" und "Papa Joe" zu einigem Ruhm brachte, ist bei der Schlagernacht im niederbayerischen Velden aufgetreten und hat das Publikum mit seiner Sangeskunst in Wallung gebracht. Aber auch den sprachlich Interessierten servierte Bonney ein Schmankerl, als er nämlich kundtat, er freue sich sehr, in Niedrigbayern auftreten zu dürfen. Dieser Satz war fast anrührender als seine Songs, es stimmt ja auch: Die Arbeitslosenzahl in Niederbayern ist niedrig, auch die Berge sind niedrig, und die Verzagtheit sowieso. Graham Bonney hat seine Sache gut gemacht, die Veldener freuen sich schon auf sein nächstes Gastspiel in Niedrigbayern.
Fotznspanglerei
In Garmisch-Partenkirchen hat eine Zahnarztpraxis eröffnet, die den ungewöhnlichen Namen "Fotznspanglerei" führt. Dieser Dialektbegriff ist ein Synonym für den Zahnarzt oder den Kieferorthopäden, ausgehend von dem Begriff Fotzn, der das Gesicht, den Mund und die Ohrfeige benennt. Außerhalb von Bayern wird das Wort als Bezeichnung für das weibliche Geschlechtsteil verwendet, das führt dann oft zu Missverständnissen. Die Betreiber der Garmischer Praxis beziehen das Wort laut ihrer Homepage auf ihre zahnärztliche Arbeit, die ja stark handwerklich geprägt ist (Spengler, Spangler=Blechschmied, Installateur). Analog dazu kennt man in Berlin den Zahnklempner. In Garmisch erheben Sprachsensible bereits ihre Stimme gegen den "vulgären" Begriff Fotznspanglerei. Niklas Hilber (Bund Bairische Sprache) sagt, hinter dieser Kritik stecke der Wunsch nach einer Sagrotanwelt, in der die "Miasmen des Lebens" (Fleischverzehr, Alkohol, Sex, Nacktheit, Heiterkeit usw.), nicht mehr vorkommen, auch sprachlich nicht. Wohin diese Kritik strebe, da sei "das Ende, das Eis, die Reinheit und das Nichts" (Thomas Mann, Beim Propheten).
oreidig
Kollegin F. hat erzählt, sie habe an einem Zehn-Kilometer-Volkslauf teilgenommen. Eine Freundin habe vor dem Start vor lauter Aufregung einen Druck auf der Blase verspürt und sich in einem Dixi-Klo Erleichterung verschafft. Damit löste sie eine Kettenreaktion aus. "Ihr könnts schon einigehen ins Klo", rief sie dem Laufvolk zu, "is hoid a weng oreidig!" Welch eine Nonchalance! Aber unter den Gegebenheiten von öffentlichen Klos ist die Aussage nicht überraschend. Oreidig könnte am ehesten übersetzt werden mit Adjektiven wie widerlich, schmutzig, eklig und ekelhaft. Über die Herkunft des Wortes gibt die Fachliteratur nur wenig preis. Die Kabarettistin Martina Schwarzmann sagte neulich, oreidig sei zurzeit ihr bairisches Lieblingswort, seitdem auch ihre Kinder eine auswärts vorgefundene Toilettensituation mit diesem Wort beurteilt hätten. Das Wort ist sogar in Franken populär. Beim Kirwa-Fest der Feuerwehr Oberweißenbach bei Selb konnten die Gäste vor wenigen Tagen sogar eine "oreidige Bar" (sie hieß tatsächlich so!) aufsuchen, an der stilgerecht eine Odel-Mass serviert wurde. Die Kabarettistin Monika Gruber erfreut ihr Publikum gerne mit dem erweiterten Schimpfwort "oreidige Schoaswiesn".
Wurschtbrot
Einem Facebook-Eintrag ist zu entnehmen, dass die Kleinen im Kindergarten Herz Jesu in Schwandorf künftig nicht mehr Wurschtbrot, sondern Wurstbrot sagen sollen. Man müsse richtig sprechen, wurden die Kinder laut dem Facebook-Post ermahnt, das Gesagte müsse jeder verstehen. Leider werden dem Nachwuchs damit wieder einmal Spracheigenheiten ausgetrieben, die der sprachlichen und charakterlichen Entwicklung keineswegs Schaden zufügen würden. Statt ein sinnvolles Nebeneinander von Standardsprache und Mundart zu fördern, wird eine Ausdrucksweise zur Norm erhoben, die zwar dem Duden gerecht wird, aber weder Farbe noch Geruch hat. Das Wurschtbrot in der gesprochenen Form hat Kraft, das Wurstbrot ist mager und steril. Wurscht sagt man nicht nur in Bayern. Ein Wiener Bürger teilte am Samstag im ORF mit, die Politiker hätten "olle Dreck am Stecken, wurschtegal, wer des is." Allein am vergangenen Wochenende wurde die Form "wurscht" in der deutschsprachigen Presse Dutzende Male verwendet, in der taz ebenso wie in der Zeit und in der SZ. Die 100-jährige Lisel Heise aus Kirchheimbolanden in Rheinland-Pfalz, die in den Stadtrat gewählt werden will, erwiderte auf die Frage, was ihre Urenkel dazu sagen: "Das ist denen wurscht."
I hon glong
Ein aus Indien stammender und im Bayerischen Wald tätiger Pfarrer hat erzählt, er habe am Anfang Mühe gehabt, den Dialekt der Menschen in seiner Pfarrei zu verstehen. Im Beichtstuhl habe beispielsweise ein Mann, der gegen das 8. Gebot verstoßen hatte, gesagt: I hon glong! (ich habe gelogen). Es leuchtet ein, dass das für einen Ortsfremden unverständlich klingt. "I hon glong" hört sich eher wie Chinesisch an. Erstaunlich oft klingen das Bairische und das Chinesische ähnlich. Es gibt im Bairischen lustige Verballhornungen wie Langfingfangwau (Polizeihund), Kneif Zang (Schwiegermutter) und Hau nei (guten Appetit!). Herbert Rosendorfer hatte einst in seinen "Briefen in die chinesische Vergangenheit", einem Bestseller, aufgezeigt, dass das Bairische und das Chinesische durchaus unter einen Hut zu bringen sind. Ähnlich verfuhr der Philosoph Karl Valentin in einem Couplet: "Wanni ko, na kimi ..." Auch im folgenden Fall klingt das Bairische eher chinesisch: "Do daada ma fei aa stinga!"
Servus
Beim Abendempfang der Staatsregierung für Prinz Charles und Herzogin Camilla in der Münchner Residenz schmeichelte der britische Thronfolger den Gastgebern mit einer Charme-Offensive: "Servus" grüßte er im Tonfall eines bayerischen Ureinwohners. Servus dürfte eines der wenigen Wörter aus dem bayerisch-österreichischen Sprachkosmos sein, das Eingang in die künftige europäische Einheitssprache finden wird. Populär wurde das Grußwort schon vor vielen Jahren, als Fernsehstars wie Thomas Gottschalk und Franz Beckenbauer ein Millionenpublikum an den Bildschirmen mit Servus begrüßten. Dagegen ist nichts einzuwenden, es ist ja erfreulich, dass ein aus dem Dunstkreis der Antike stammender Begriff auf diese Weise weiterleben darf. Servus kommt aus dem Lateinischen, bedeutet gehorsamster Diener und ist wohl über den Wiener Hof nach Bayern gekommen. Der große bayerische Sprachforscher Johann Andreas Schmeller kannte Servus im 19. Jahrhundert noch nicht. In Bayern hat es sich vermutlich im Ersten Weltkrieg verbreitet, als die Abschiedsgrüße Adjes und Ade wegen ihres feindlichen französischen Ursprungs nicht mehr opportun waren und durch deutsche Begriffe ersetzt wurden. Auch in der Jugendsprache lebt Servus weiter, allerdings in der SMS-tauglichen Kurzform Seas.
gschupft
Die Kolumnistin Marie Waldburg hat neulich in der BR-Sendung "Ringlstetter" über das Leben der Reichen und Schönen erzählt. In Monaco, sagte sie, habe sie das einzige Hochzeitsinterview des Fürstenpaares Albert und Charlène bekommen. "Der Albert is ja total nett", plauderte sie, "aber sie (die Fürstin) is a bissl gschupft." Gastgeber Hannes Ringlstetter pflichtete feixend bei: "Gschupft is genau der richtige Ausdruck." In Bayern wird gschupft vor allem auf Frauen angewendet. Über "gschupfte Mütter" lästerten Gerhard Polt und die Well-Brüder in ihrem Stück "Ekzem Homo". Beliebt ist das Schimpfwort "gschupfte Henna" (in der Tölzer Gegend: drapfte Henna). Als gschupft gilt eine Frau, die leicht verrückt oder zickig ist oder sich für was Besseres hält. In Österreich hat sich das Wort im Lied "Der gschupfte Ferdl" erhalten. So nennt man in Wien einen geschniegelten Gecken, der ein Luxusleben führt, aber seine Familie vernachlässigt.
Mantschästerhose
Die deutsche Sprache ist stark angereichert mit modernen Anglizismen. Unabhängig davon klingen aber auch viele bayerische Mundartbegriffe "very british". Etwa der Bulldog, wie der Traktor hie und da noch genannt wird, ausgehend von einem alten Lanz-Modell aus den 20er Jahren, dessen Motor Ähnlichkeit mit dem Gesicht einer Bulldogge hatte. Diese Maschinen waren so populär, dass in Bayern schließlich alle Traktoren und Ackerschlepper Bulldog genannt wurden. Auch der Bierschaum wird in Südbayern nach englischem Vorbild vereinzelt noch Foam genannt. Nicht zu vergessen die legendären ou-Laute in der Oberpfalz, die allerdings in Deutschland weniger Ansehen genießen als die ähnlich klingenden Vokalverdumpfungen in den Werken Shakespeares oder in den Ansprachen der Queen. Neulich wurde in einem oberbayerischen Friseursalon ein Wort erwähnt, das ebenfalls in diese Kategorie passt. Ein Kunde erzählte, er hege die Absicht, sich "in Minga so a Mantschästerhosn zu kaufen". Dieses Wort, das eine Breitcordhose benennt, hängt unüberhörbar mit der englischen Stadt Manchester zusammen. Im Bairischen spricht man das Wort aber nicht wie die Briten aus, sondern so, wie man es schreibt. Es wird also nicht die erste Silbe betont, sondern der Buchstabe ä. Diese strapazierfähigen Hosen wurden zuerst in Manchester produziert, der Cordstoff heißt in der Modebranche bis heute Samtmanchester. In der Mundart wurde daraus die Mantschästerhose. (Auch die Zimmererkluft wird aus Cord gefertigt.)
Biidui
Das Gymnasium Berchtesgaden hat anlässlich des Internationalen Tags der Muttersprache einen lehrreichen Projekttag veranstaltet. Unter anderem wurde dabei die Berchtesgadener Mundart thematisiert, natürlich unter Einbeziehung des kuriosen Spitznamens Biidui, der einst in Berchtesgaden zu hören war. Träger dieses Namens war der Skirennläufer Franz Pfnür (1908-1996), der bei den Olympischen Spielen 1936 eine Goldmedaille gewann. Dass man ihn Biidui rief, hatte einen einfachen Grund. Pfnür war sich einmal während eines Rennens nicht sicher, ob er ein Tor regelgerecht durchfahren hatte. Da es damals beim Slalomlauf noch gemächlich zuging, konnte Pfnür den Zuschauern am Hang die Frage "Bi i dui?" zurufen, zu Deutsch: "Bin ich durch?" Laut dem Heimatkundeverein Berchtesgaden hat ein Reporter Pfnür später gefragt: "Und Franz, bist jetzt durch gwesen oder nicht?" Seine Antwort: "Feillebiiduigwen" - "freilich bin ich durch gewesen!" Der Biidui ist schon lange tot, aber im Berchtesgadener Gymnasium ist sein Name nach wie vor ein Begriff.
narrisch
Eine Bekannte hat im vergangenen Sommer erlebt, wie afrikanische Verkäufer am Strand des italienischen Badeorts Caorle Handtücher und Armschmuck mit den Worten "Saubillig! Narrisch billig!" anpriesen. Die Händler waren also mit den Feinheiten des Bairischen bestens vertraut. Immerhin wussten sie, dass man das Wort narrisch auch verstärkend verwenden kann. Ein Essen kann narrisch gut sein. Narrisch ist ein bairisches Universalwort. Ein stressgeplagter Redakteur einer Zeitschrift hat neulich in einer Mail geklagt: "Es ist zum Narrischwerden!" Narrisch drückt auch den Zustand des Zorns und des Ärgers aus. Wer stets zornig reagiert, der ist ein narrischer (nascher) Deife. Im Fasching wiederum darf man narrisch im Sinne von lustig und ausgelassen sein. Wer Süßigkeiten liebt, der ist oft "ganz narrisch aufn Schoklad". Manchmal schwingt beim Adjektiv narrisch auch Anerkennung mit. In der Kultserie "Irgendwie & Sowieso" sagt eine Bäuerin zu den beiden Stingeln Sir Quickly und Tango: "Mei Liaba, narrische Hundt seids scho!"
Schachtelwirt
Die Chamer Ausgabe der Mittelbayerischen Zeitung hat ihre Leserschaft mit der Überschrift "Schlägerei beim Schachtelwirt" überrascht. Mancher Einheimische wird stutzig geworden sein, denn einen Schachtelwirt sucht man in Cham vergeblich. Der Polizeibericht brachte die Aufklärung: "Drei Verletzte sind das Ergebnis einer Rauferei in einem Chamer Fast Food-Lokal am Samstag." Schon seit Jahren kursiert im Volksmund das Wort Schachtelwirt als Synonym für Restaurants wie Mc Donald's oder Burger King, die ihr Essensangebot in Schachteln oder Pappkartons aushändigen. Der österreichische Kolumnist Christoph Winder schrieb einmal in einer Lobpreisung auf die Wortschöpfung Schachtelwirt sehr treffend: "Der Begriff lebt von der ironischen Reibung zwischen der Gemütlichkeit und Heimeligkeit, die der "Wirt" verbreitet, und der kühl kalkulierten Sachlichkeit, mit der der Kunde weltweit bei McDonald's abgespeist wird." Die Fast Food-Kundschaft ist überhaupt sehr wortkreativ. Einschlägige Lokale werden auch Mäckie oder Pommesboutique genannt. Natürlich werden dort Kalorientabletten (Hamburger) feilgeboten.