SZ: Die Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg hat große Probleme mit den Etatvorgaben des Finanzministers. Sie kommt zu ganz anderen Ergebnissen als Schäuble - und rechnet mit einem Schuldenberg von knapp zehn Milliarden Euro bis 2014. Der Grund: Die Behörde bekommt weniger Steuergeld vom Bund.
Von der Leyen: Wir haben in den letzten vier, fünf Tagen mit der Bundesagentur lange zusammen gesessen. Wir sind uns jetzt weitgehend einig darüber, dass sie bis 2015 ihre Schulden beim Bund abbauen kann. Dann dürfte sie auch wieder in der Lage sein, Rücklagen zu bilden - und wird somit kein dauerhaftes Milliardendefizit tragen.
SZ: Wie soll das gehen, wenn Sie in Ihrem Etat, aus dem sich wiederum teilweise der Etat der BA speist, gleichzeitig Milliarden einsparen müssen?
Von der Leyen: Die Bundesagentur ist inzwischen ein moderner und effizienter Dienstleister. Weil sie in der Krise und im Aufschwung einen klasse Job macht, haben sich die Einnahmen deutlich verbessert. Die gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt spült weiter Geld in die Kassen. Wir haben allein im vorigen Jahr 600.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen neu hinzu bekommen, das heißt 600.000 Mal neue Beiträge für die BA. Gleichzeitig sinken die Ausgaben, weil wir ja weniger Arbeitslose haben. Das bedeutet, wir können bis 2015 auch Personal- und Verwaltungsausgaben in der Bundesagentur für Arbeit abbauen.
SZ: Sie wollen bei der Arbeitsvermittlung Stellen streichen?
Von der Leyen: Die BA hat etwa 116.000 Stellen. Der Personalapparat kann doch nicht gleich bleiben, wenn die Arbeitslosigkeit von 3,2 Millionen auf hoffentlich 2,5 Millionen im Jahresdurchschnitt 2015 sinkt. Das wäre bei jedem Wirtschaftsunternehmen genauso selbstverständlich.
SZ: Also weg mit vielen Stellen?
Von der Leyen: Wir setzen auf natürliche Fluktuation und unterscheiden nach den Aufgaben. Bei den Langzeitarbeitslosen tut sich noch zu wenig, da wird nicht an Personal gespart. Das ist die schwierigste Klientel, die brauchen am meisten Betreuung. Bei denen, die kurzzeitig auf Jobsuche sind, ist viel Bewegung drin. Hier sinkt die Zahl der Arbeitslosen am stärksten. Wenn hier in der Verwaltung eine Stelle frei wird, müssen wir sie nicht unbedingt wieder besetzen. Es wird jedenfalls keine betriebsbedingten Kündigungen geben.
SZ: Können Sie auch garantieren, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung bis 2013 nicht erhöht wird?
Von der Leyen: Ich gebe keine Garantieerklärungen ab, auch nicht in der SZ.
SZ: Sie sind sich also nicht sicher?
Von der Leyen: Ich halte für richtig, dass der Beitragssatz bei 3,0 Prozent bleibt, damit die Lohnnebenkosten nicht steigen. Deshalb wollen wir ja effizienter werden und die Vermittlung beschleunigen. Und wenn die Weltkonjunktur so gut bleibt und sich nicht durch die Ereignisse in Japan eintrübt, können wir das schaffen. Aber da ich nicht in die Glaskugel der globalen Ereignisse schauen kann, ist es klug, vorsichtig zu bleiben.
SZ: Sie sind nicht nur Ministerin, sondern auch stellvertretende CDU-Chefin. Wie sehr leiden Sie unter den Wahlniederlagen vom Sonntag?
Von der Leyen: Sie sind Ansporn und Mahnung zugleich. Ansporn, weil wir als CDU mit 39 und 35 Prozent respektable Ergebnisse erzielt haben, die leider in der Konstellation nicht zum Sieg reichten. Die Mahnung ergibt sich aus dem Beispiel Fukushima. Für eine Volkspartei ist es überlebensnotwendig, immer wieder den inneren Kompass neu auszurichten, wenn sich gesellschaftlich Dinge verändern.
SZ: Was muss Ihre Partei lernen?
Von der Leyen: Dass wir für Erfolge bei Wirtschaft und Arbeitsplätzen nicht automatisch gewählt werden - selbst wenn es den Menschen gut geht. Sobald die ökonomische Lage entspannt ist, tritt das Oberthema Wirtschaft in den Hintergrund und andere, vermeintliche Nebenthemen dominieren. Wer da zu spät dran ist, wird auf dem falschen Fuß erwischt.
SZ: Was hat die CDU verschlafen?
Von der Leyen: Die volle Dringlichkeit der notwendigen Energiewende. Wahrscheinlich hätten wir 2010 einfach mehr auf unseren Umweltminister Norbert Röttgen hören sollen. Er mahnte früh, wie es ein Fachminister tun muss. Er war als Kenner der Materie vielen in der CDU voraus, die - wie ich auch - eine Katastrophe wie in Japan nicht für möglich gehalten hätten. Umso mehr hat Röttgen jetzt die Glaubwürdigkeit, die Energiewende entschlossen umzusetzen.
SZ: Haben Sie Verständnis, dass die Bürger die Atom-Kurswende nach Fukushima nur noch als Wahlkampfmanöver empfunden haben, weil die gleiche Koalition gerade mal sechs Monate zuvor die Laufzeiten verlängert hatte?
Von der Leyen: Wegen der zeitlichen Nähe kann ich das nachvollziehen. Trotzdem musste die Koalition auf die neuen Erkenntnisse reagieren und jetzt mit Augenmaß den weiteren Kurs entwickeln, denn das Undenkbare ist möglich geworden: der GAU in einem Land der Hochtechnologie.
SZ: Kann die Koalition nach dem Atomschwenk nur eines der abgeschalteten Kraftwerke wieder anlaufen lassen, ohne unglaubwürdig zu werden?
Von der Leyen: Ich bin keine Energie- oder Sicherheitsexpertin. Aber auf eines werde ich als Arbeits- und Sozialministerin achten: dass am Ende nicht nur die kleinen Leute die notwendige, aber keineswegs kostenlose Energiewende ausschließlich über höhere Preise bezahlen müssen. Das verstehe ich unter einem Ausstieg mit Augenmaß. Die Wirtschaft wird ihren Teil einbringen müssen.
SZ: Es waren die Wirtschaftspolitiker der Koalition, die die Laufzeitverlängerungen für Atommeiler durchgesetzt haben. Was werden Sie tun, wenn dieselben bald erneut versuchen, den Fachminister Röttgen auszubremsen?
Von der Leyen: Ich werde ihn voll und ganz unterstützen. Ganz einfach, weil er mich mit seiner Expertise überzeugt.