Süddeutsche Zeitung

Von der Leyen:"Wer zu spät dran ist, wird auf dem falschen Fuß erwischt"

Die jüngsten Wahlniederlagen der Union sind für sie Ansporn und Mahnung zugleich. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen über Schulden machen, den GAU und die Fehler ihrer Partei.

T. Öchsner und S. Braun

Bei Ursula von der Leyen, 52, geht es zack, zack. 40 Minuten hat die Arbeitsministerin Zeit. Danach braucht sie ein paar Minuten, um sich die neuen Arbeitsmarktzahlen für eine Pressekonferenz anzuschauen. In ihrem Büro liegt das Buch des früheren Integrationsministers von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, "Zuwanderung als Chance". Von der Leyen sagt, dass sie "viel liest".

SZ: Frau von der Leyen, haben Sie Angst zur obersten Sparministerin Deutschlands zu werden?

Ursula Von der Leyen: Wieso?

SZ: Weil Finanzminister Schäuble Ihnen vorschreibt, sparen zu müssen wie kein anderer Ressortchef im Kabinett.

Von der Leyen: Ich habe überhaupt keine Angst, sondern werde meinen Beitrag zum Schuldenabbau leisten, schließlich macht der Sozialetat etwa die Hälfte des Bundeshaushalts aus. Unser Sozialstaat muss auf festen Füßen stehen. Wir sehen doch, was passiert, wenn Länder in Schulden ertrinken! Wir haben in Spanien 20 Prozent Arbeitslosigkeit, bei der Jugend sogar 40 Prozent. Den Preis von Schulden-Missmanagement zahlen am Ende immer die kleinen Leute.

SZ: Ihr Budget soll von 131 auf 124 Milliarden Euro im Jahr 2014 schrumpfen. Wie soll das gehen, ohne Leistungen für Arbeitslose zu streichen?

Von der Leyen: Sehen Sie doch nicht so schwarz! Im Grunde spiegeln die Zahlen einen positiven Trend. Die Arbeitslosigkeit sinkt, deswegen gehen die Ausgaben zurück. Das ist ein Riesenerfolg für unser Land.

SZ: Die Opposition wirft Ihnen vor, die Förderinstrumente der Jobcenter und Arbeitsagenturen "nach Kassenlage" einsetzen zu wollen.

Von der Leyen: Das ist Unsinn. Die Vereinbarung vom Sommer 2010 gilt unverändert: Der Sozialetat liefert ein Drittel des Sparpakets, aber auch die Wirtschaft liefert ihren Teil. Ich werde sehr darauf achten, dass die in der Sparklausur justierte soziale Balance gewahrt bleibt. Daneben läuft die lange geplante Reform der Förderinstrumente am Arbeitsmarkt - nur hat die allenfalls indirekt mit unseren Sparbemühungen zu tun.

SZ: Das heißt, bei den Programmen für Behinderte oder die berufliche Rehabilitation wird nichts gestrichen?

Von der Leyen: So ist es.

SZ: Bislang gibt es 42 verschiedene Instrumente für Arbeitsvermittler. Künftig sollen es etwa 30 sein. Hatten die Arbeitsagenturen und Jobcenter vorher zu viel Geld für Unnützes verschleudert?

Von der Leyen: Nein, wir haben aber eine enorm zersplitterte Landschaft mit zu wenig Spielraum für die Vermittler, den einzelnen Arbeitslosen flexibel zu helfen. Das wollen wir ändern.

SZ: Daraus ergibt sich noch nicht die ganz große Effizienz.

Von der Leyen: Deshalb werden wir außerdem stärker auf die Qualität derjenigen achten, die Arbeitslose weiterbilden, umschulen oder trainieren. Viele Träger leisten wirklich gute Arbeit. Aber es hat manche schwarze Schafe gegeben, die wenig Leistung gebracht und richtig Geld gekostet haben. Wir kennen alle die Extremfälle, bei denen Menschen in unsinnige Trainingsmaßnahmen gesteckt wurden. Das kostet die Arbeitsuchenden wertvolle Zeit und den Steuerzahler Geld. Deswegen müssen künftig alle Anbieter einen strengen Qualitätscheck durchlaufen.

SZ: Sie wollen auch, dass Arbeitsagenturen und Jobcenter weniger verpflichtet sind, bestimmte Leistungen zu erbringen. Es liegt künftig stärker im Ermessen des Vermittlers, ob es zum Beispiel einen Zuschuss gibt. Ist das nichts anderes als ein Sparprogramm unter dem Deckmantel einer Reform?

Von der Leyen: Nein, wir hatten bisher zu viele Pflichtleistungen, die jedem Arbeitslosen bewilligt werden müssen, ganz egal, ob sinnvoll oder nicht. Statt Abfertigung nach Schema F brauchen wir mehr Maßbetreuung. Dafür müssen aber auch die Vermittler gut ausgebildet sein. Darauf legen wir noch mehr Wert.

SZ: In Ihren eigenen Papieren steht, dass durch die Instrumentenreform Ihr Haushalt entlastet wird. Wie viel wollen Sie damit einsparen?

Von der Leyen: Das lässt sich nicht exakt beziffern. Sinn der Reform ist es, aus Fehlern zu lernen, das Budget zielgenauer einzusetzen und Arbeitslose schneller in Arbeit zu bringen. Und wenn das klappt, spart das dem Steuerzahler natürlich auch Geld.

SZ: Die Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg hat große Probleme mit den Etatvorgaben des Finanzministers. Sie kommt zu ganz anderen Ergebnissen als Schäuble - und rechnet mit einem Schuldenberg von knapp zehn Milliarden Euro bis 2014. Der Grund: Die Behörde bekommt weniger Steuergeld vom Bund.

Von der Leyen: Wir haben in den letzten vier, fünf Tagen mit der Bundesagentur lange zusammen gesessen. Wir sind uns jetzt weitgehend einig darüber, dass sie bis 2015 ihre Schulden beim Bund abbauen kann. Dann dürfte sie auch wieder in der Lage sein, Rücklagen zu bilden - und wird somit kein dauerhaftes Milliardendefizit tragen.

SZ: Wie soll das gehen, wenn Sie in Ihrem Etat, aus dem sich wiederum teilweise der Etat der BA speist, gleichzeitig Milliarden einsparen müssen?

Von der Leyen: Die Bundesagentur ist inzwischen ein moderner und effizienter Dienstleister. Weil sie in der Krise und im Aufschwung einen klasse Job macht, haben sich die Einnahmen deutlich verbessert. Die gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt spült weiter Geld in die Kassen. Wir haben allein im vorigen Jahr 600.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen neu hinzu bekommen, das heißt 600.000 Mal neue Beiträge für die BA. Gleichzeitig sinken die Ausgaben, weil wir ja weniger Arbeitslose haben. Das bedeutet, wir können bis 2015 auch Personal- und Verwaltungsausgaben in der Bundesagentur für Arbeit abbauen.

SZ: Sie wollen bei der Arbeitsvermittlung Stellen streichen?

Von der Leyen: Die BA hat etwa 116.000 Stellen. Der Personalapparat kann doch nicht gleich bleiben, wenn die Arbeitslosigkeit von 3,2 Millionen auf hoffentlich 2,5 Millionen im Jahresdurchschnitt 2015 sinkt. Das wäre bei jedem Wirtschaftsunternehmen genauso selbstverständlich.

SZ: Also weg mit vielen Stellen?

Von der Leyen: Wir setzen auf natürliche Fluktuation und unterscheiden nach den Aufgaben. Bei den Langzeitarbeitslosen tut sich noch zu wenig, da wird nicht an Personal gespart. Das ist die schwierigste Klientel, die brauchen am meisten Betreuung. Bei denen, die kurzzeitig auf Jobsuche sind, ist viel Bewegung drin. Hier sinkt die Zahl der Arbeitslosen am stärksten. Wenn hier in der Verwaltung eine Stelle frei wird, müssen wir sie nicht unbedingt wieder besetzen. Es wird jedenfalls keine betriebsbedingten Kündigungen geben.

SZ: Können Sie auch garantieren, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung bis 2013 nicht erhöht wird?

Von der Leyen: Ich gebe keine Garantieerklärungen ab, auch nicht in der SZ.

SZ: Sie sind sich also nicht sicher?

Von der Leyen: Ich halte für richtig, dass der Beitragssatz bei 3,0 Prozent bleibt, damit die Lohnnebenkosten nicht steigen. Deshalb wollen wir ja effizienter werden und die Vermittlung beschleunigen. Und wenn die Weltkonjunktur so gut bleibt und sich nicht durch die Ereignisse in Japan eintrübt, können wir das schaffen. Aber da ich nicht in die Glaskugel der globalen Ereignisse schauen kann, ist es klug, vorsichtig zu bleiben.

SZ: Sie sind nicht nur Ministerin, sondern auch stellvertretende CDU-Chefin. Wie sehr leiden Sie unter den Wahlniederlagen vom Sonntag?

Von der Leyen: Sie sind Ansporn und Mahnung zugleich. Ansporn, weil wir als CDU mit 39 und 35 Prozent respektable Ergebnisse erzielt haben, die leider in der Konstellation nicht zum Sieg reichten. Die Mahnung ergibt sich aus dem Beispiel Fukushima. Für eine Volkspartei ist es überlebensnotwendig, immer wieder den inneren Kompass neu auszurichten, wenn sich gesellschaftlich Dinge verändern.

SZ: Was muss Ihre Partei lernen?

Von der Leyen: Dass wir für Erfolge bei Wirtschaft und Arbeitsplätzen nicht automatisch gewählt werden - selbst wenn es den Menschen gut geht. Sobald die ökonomische Lage entspannt ist, tritt das Oberthema Wirtschaft in den Hintergrund und andere, vermeintliche Nebenthemen dominieren. Wer da zu spät dran ist, wird auf dem falschen Fuß erwischt.

SZ: Was hat die CDU verschlafen?

Von der Leyen: Die volle Dringlichkeit der notwendigen Energiewende. Wahrscheinlich hätten wir 2010 einfach mehr auf unseren Umweltminister Norbert Röttgen hören sollen. Er mahnte früh, wie es ein Fachminister tun muss. Er war als Kenner der Materie vielen in der CDU voraus, die - wie ich auch - eine Katastrophe wie in Japan nicht für möglich gehalten hätten. Umso mehr hat Röttgen jetzt die Glaubwürdigkeit, die Energiewende entschlossen umzusetzen.

SZ: Haben Sie Verständnis, dass die Bürger die Atom-Kurswende nach Fukushima nur noch als Wahlkampfmanöver empfunden haben, weil die gleiche Koalition gerade mal sechs Monate zuvor die Laufzeiten verlängert hatte?

Von der Leyen: Wegen der zeitlichen Nähe kann ich das nachvollziehen. Trotzdem musste die Koalition auf die neuen Erkenntnisse reagieren und jetzt mit Augenmaß den weiteren Kurs entwickeln, denn das Undenkbare ist möglich geworden: der GAU in einem Land der Hochtechnologie.

SZ: Kann die Koalition nach dem Atomschwenk nur eines der abgeschalteten Kraftwerke wieder anlaufen lassen, ohne unglaubwürdig zu werden?

Von der Leyen: Ich bin keine Energie- oder Sicherheitsexpertin. Aber auf eines werde ich als Arbeits- und Sozialministerin achten: dass am Ende nicht nur die kleinen Leute die notwendige, aber keineswegs kostenlose Energiewende ausschließlich über höhere Preise bezahlen müssen. Das verstehe ich unter einem Ausstieg mit Augenmaß. Die Wirtschaft wird ihren Teil einbringen müssen.

SZ: Es waren die Wirtschaftspolitiker der Koalition, die die Laufzeitverlängerungen für Atommeiler durchgesetzt haben. Was werden Sie tun, wenn dieselben bald erneut versuchen, den Fachminister Röttgen auszubremsen?

Von der Leyen: Ich werde ihn voll und ganz unterstützen. Ganz einfach, weil er mich mit seiner Expertise überzeugt.

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Quelle:
SZ vom 02.04.2011/ema/pak
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