Raumfahrt:Deutschland unterstützt schnelles Internet aus dem All

Raumfahrt: Illustration eines Satelliten des EU-Navigationssystems Galileo. Nun möchte EU-Kommissar Thierry Breton mit einer Breitbandkonstellation ein weiteres Leuchtturmprojekt auf den Weg bringen. Illustration: Pierre Carril

Illustration eines Satelliten des EU-Navigationssystems Galileo. Nun möchte EU-Kommissar Thierry Breton mit einer Breitbandkonstellation ein weiteres Leuchtturmprojekt auf den Weg bringen. Illustration: Pierre Carril

(Foto: dpa)

Deutschland und Italien wollen ein europäisches Satellitenbreitbandnetz, warnen aber vor einem Schnellschuss. Profitieren sollen auch Bürger und Start-ups.

Von Dieter Sürig

Eines der Lieblingsprojekte von EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton ist die "Konnektivitätsinitiative". Dahinter verbirgt sich ein Satellitennetz, das vor allem Europa, Afrika und die Arktis mit einem souveränen, sicheren Hochgeschwindigkeitsinternet aus dem All versorgen soll. Nutzer sollen, neben Regierungen, staatlichen Stellen und Militär, über kommerzielle Anbieter auch Unternehmen und Bürger werden. Die Konstellation erfordert Hunderte Satelliten, die bis 2027 um die Erde fliegen sollen. Angesichts der jahrelangen Verzögerungen beim EU-Navigationssatellitensystem Galileo mit nur 30 Satelliten scheint das ein ambitionierter Plan zu sein. So ambitioniert, dass Breton erste Konzepte bereits im Februar präsentierte - ohne Studien von Start-ups abzuwarten, die bis Ende Juli eingereicht werden. Nur die Machbarkeitsstudie eines Industriekonsortiums hatte er vorliegen. "Aus unserer Sicht müssen wir erst schauen, wo wirklich Bedarf besteht", sagte die neue Raumfahrt-Koordinatorin der Bundesregierung, Anna Christmann (Grüne), damals.

Die Besorgnisse der Regierung darüber, dass Breton sein Leuchtturmprojekt zu schnell durchboxen könnte, scheinen mittlerweile so gewachsen zu sein, dass sich Berlin nach SZ-Informationen aktiv in die Umsetzung des Projekts eingeschaltet hat. Die Rede ist von einem Brief an EU-Kommissar Breton, in dem sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und der italienische Minister für Technologische Innovation und Digitalisierung, Vittorio Colao, dafür einsetzen, wichtige Fragen zu klären, bevor das Projekt auf den Weg gebracht wird. Dazu würden neben dem Bedarf der Mitgliedstaaten und der Architektur des Systems die Einbindung kommerzieller Partner, die Rolle der Weltraumagentur Esa, das Ausschreibungsmodell und die Finanzierung gehören.

Aus einem deutsch-italienischen Arbeitspapier, das der SZ vorliegt, geht hervor, dass beide Länder Bretons Satelliten-Projekt ausdrücklich unterstützen - allerdings im Rahmen eines geordneten Prozesses. Dabei sollten Mitgliedstaaten und Esa eng eingebunden werden, auch um negative Wechselwirkungen und Doppelungen mit anderen Programmen auszuschließen. Solch eine Konstellation "könnte zur Erfüllung der Weltraumstrategie für Europa, des Europäischen Verteidigungsaktionsplans und der Globalen Strategie der Europäischen Union beitragen", schreiben die Verfasser. Es sei zudem "entscheidend, dass die europäische Industrie wettbewerbsfähig bleibt". Voraussetzungen seien aber, die genauen Ziele und kommerziellen Chancen zu definieren, den Finanzbedarf auch privater Investoren zu ermitteln sowie Start-ups und mittelständische Firmen einzubeziehen. "Italien und Deutschland fordern daher die Ratspräsidentschaft und die Kommission auf, einen Fahrplan zu erstellen, um diese Punkte mit einer kurz- und langfristigen Agenda anzugehen" - zusammen mit den Mitgliedstaaten.

Nach Auffassung der Autoren sollte die Konstellation neben öffentlichen Nutzern auch "eine kommerziell betriebene Infrastruktur für Breitband-Internetdienste mit niedriger Latenz ermöglichen", also mit geringen Verzögerungszeiten beim Signal. "Sie sollte wettbewerbsfähig sein, um nachhaltige und effiziente Marktanteile zu erreichen", dürfe aber andere private Initiativen nicht "beeinträchtigen und verzerren". Die europäische Unabhängigkeit bei der Satellitenkonnektivität sei "von größter Bedeutung" wegen des zunehmenden Wettbewerbs etwa durch Starlink (Space-X) und Kuipers (Amazon), aber auch wegen "der wachsenden Sicherheitsbedenken", die durch die geopolitischen Ereignisse verstärkt würden.

Das Projekt wird wohl mindestens sechs Milliarden Euro kosten

Nicht zuletzt fordern die Initiatoren, dass das System langfristig wirtschaftlich tragfähig sein müsse. In Berlin ist zu vernehmen, dass sich die Bundesregierung mit dem Programm auf keinen Fall eine öffentlich finanzierte Satelliteninfrastruktur mit dauerhaften Milliardenbudgets aufbürden möchte. Auch dürften andere Weltraumprogramme deswegen nicht gekürzt werden. Nach früheren Kommissionsangaben soll das Projekt von EU-Ländern, Esa, Kommission (2,4 Milliarden Euro) und privaten Investoren finanziert werden. In Branchenkreisen ist von mindestens sechs Milliarden Euro die Rede.

Eine Stellungnahme zum deutschen Aktionismus gibt es aus dem Habeck-Ministerium nicht. Grundgedanke der EU-Initiative sollte sein, dass damit "Europas Bürger eine bessere, wirtschaftliche und sicherere Breitbandversorgung erhalten", heißt es dort aber. Dabei solle "das wirtschaftliche Potential von New Space gefördert und genutzt" werden. "Insbesondere öffentliche Dienstleistungsaufträge können erfolgreiche New-Space-Lösungen von KMU und Start-ups und Wagniskapital mobilisieren." Die öffentliche Seite könne dies als Ankerkunde stützen.

Auch der EU-Wettbewerbsfähigkeitsrat beschäftigt sich an diesem Freitag mit dem Thema. Der Grünen-Europaabgeordnete Niklas Nienaß, der das Thema im Industrie-Ausschuss des Europaparlaments verhandelt, begrüßt Bretons Initiative. Die Ziele müssten aber klar definiert sein: "Sie muss einen echten Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger bieten, mit bezahlbarem Internet in strukturschwachen Räumen." Außerdem könne damit eine europäische New-Space-Wirtschaft aufgebaut werden. "Wenn Europa die internationale Raumfahrt mitgestalten will, dann brauchen wir mehr innereuropäischen Wettbewerb."

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