Bauprojekt "The Q":Der Quelle-Koloss kommt wieder in die Gänge

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Blick ins Innere des alten Quelle-Versandzentrums: Seit den 1950er-Jahren entstand der Komplex schrittweise nach Plänen des Bauhaus-Schülers Ernst Neufert. Unter anderem gab es hier auch ein Kaufhaus. (Foto: Florian Peljak)

Nach der Pleite des Immobilienentwicklers war wochenlang unsicher, wie es mit dem früheren Versandzentrum von Quelle in Nürnberg weitergeht. Jetzt ist klar: Der gigantische Komplex wird weiter umgebaut - zumindest der erste Teil.

Von Stephan Radomsky und Uwe Ritzer, Nürnberg/München

Das erste Wort gehört Klaus Everest. Er lebt gewissermaßen auf dieser Baustelle, schon seitdem das hier noch eine Ruine des deutschen Wirtschaftswunders war. Bis das Versandhaus Quelle 2009 unterging, hieß der gewaltige Gebäudekomplex am Nürnberger Stadtrand seiner Funktion entsprechend schlicht Versandzentrum. Heute heißt er schnittig "The Q". Trotzdem war in den vergangenen Wochen nicht sicher, ob das alles hier nicht doch wieder zur Ruine wird, einer Ruine des Baubooms der vergangenen Jahre. Nun aber ist klar: Es geht weiter. "Wir bauen wieder, und wir bauen jetzt auch fertig", sagt Everest am Dienstag inmitten der die Großbaustelle. "Das kriegen wir hin." Er steht auf einer improvisierten Bühne und nennt das alles hier abwechselnd "mein Baby" oder "Herzensaufgabe".

Am 11. September war es auch Klaus Everest, der die Arbeiten stoppen und die beteiligten Firmen samt ihrer Mitarbeiter plötzlich nach Hause schicken musste. Denn "The Q" ist ein Projekt der Düsseldorfer Gerch Group, einem großen Immobilienentwickler, der wenige Tage zuvor Insolvenz hatte anmelden müssen. Die Zahlungsschwierigkeiten trafen mit etwas Verzögerung neben anderen Baustellen auch die Projektgesellschaft für das Nürnberger Mammutprojekt. Die Gerch Group und die Bayerische Versorgungskammer (BVK), die den ersten Bauabschnitt bereits gekauft hat, stritten ums Geld, die Verhandlungen scheiterten. Und von einem Moment auf den nächsten ging nichts mehr bei einem der größten Umbauprojekte in Europa.

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Das Quelle-Versandzentrum in Nürnberg war Symbol des Wirtschaftswunders, dann kamen Abstieg, Verfall, Arbeitslosigkeit. Ausgerechnet hier entsteht nun aus Leerstand für Tausende Menschen etwas Neues.

Von Stephan Radomsky, Uwe Ritzer (Text) und Florian Peljak (Fotos)

Im Sog der Krise am Bau

Nur ein paar Wochen nach dem Richtfest drohte der gigantische Komplex mit seinen ursprünglich 255 000 Quadratmetern Geschossfläche damit von der Verheißung zum Problem zu werden - einmal mehr. Die Krise am Bau hatte die Gerch Group voll erwischt, der Käufer eines anderen Großprojekts zahlte nicht und die Firma geriet in Schieflage. So wie etliche andere aus der Branche auch. Inzwischen werden reihenweise Aufträge storniert, allein im September bei mehr als jedem fünften Bauunternehmen im Wohnungsbau, meldete jüngst etwa das Ifo-Institut - ein Rekordwert. Der Schock sitzt inzwischen so tief, dass die Stimmung am Bau so mies ist wie noch nie, seit die Münchner Wirtschaftsforscher 1991 mit ihren Umfragen zum Geschäftsklima angefangen haben.

Und das denkmalgeschützte Areal in Nürnberg ist ein besonders schwerer Fall. Schon seit dem Niedergang von Quelle bereitet es immer wieder Probleme. Jahrelang lag die riesige Immobilie weitgehend brach und verfiel zusehends. In dieser Zeit verschlug es Klaus Everest hierher, als obersten Verwalter des fast menschenleeren Monstrums. Hier lernte er auch seine Frau kennen, allein das werde ihn immer mit alldem hier verbinden, sagt er.

Bauleiter Klaus Everest, hier auf einem Bild aus dem Herbst 2022, hat eine innige Beziehung zum alten Versandzentrum von Quelle. (Foto: Florian Peljak)

2015 übernahm dann ein portugiesischer Konzern das ganze Areal weit unter Schätzwert, entstehen sollte vor allem ein Einkaufszentrum. Der Plan scheiterte, wieder ging lange Zeit nichts an der Fürther Straße. 2018 dann stieg Gerch ein. Der Plan: Der Koloss sollte in Teile zerlegt, ausgehöhlt und völlig umgebaut werden. Mehr als 1000 Wohnungen, Büros, Läden, Gastronomie, eine Kita und ein Hotel sieht der Masterplan vor. In den ersten Abschnitt, nach vorn hinaus zur Straße, sollte die Stadt Nürnberg einziehen mit Sozialamt, Jugendamt, Passamt, Amt für Migration und Kfz-Zulassung. Dazu sollte es Einzelhandel geben und eine Tiefgarage. Als der Umbau begann, wurde Klaus Everest Bauleiter.

700 Millionen Euro sollte das alles ursprünglich kosten, aber die Summe ist längst unrealistisch. Spätestens mit dem russischen Überfall auf die Ukraine gerieten alle Planungen durcheinander. Zuerst schossen die Kosten für Energie und Baumaterialien in die Höhe, danach zogen auch noch die Zinsen in bis dahin unbekanntem Tempo an. Seit Juli 2022 hat die Europäische Zentralbank ihren Leitzins im Kampf gegen die Inflation von null auf zuletzt 4,5 Prozent angehoben. Das hat tiefe Spuren hinterlassen: Kredite sind deutlich teurer geworden, zugleich geraten die Immobilienpreise unter Druck - vor allem für Bürogebäude. Denn auch wenn die Corona-Pandemie vorbei ist, arbeiten noch immer Millionen Arbeitnehmer regelmäßig lieber von zu Hause aus, als in die Firma zu fahren. Ein Trend, der sich wohl nicht so schnell umkehren dürfte und Investoren wie Mieter zögern lässt.

2025 soll der erste Teil fertig sein

Dass die BVK nun, nach nur 43 Tagen, schon den Neustart zelebrieren kann, liegt auch an einer sehr speziellen Konstellation: Die Versorgungskammer ist eine Behörde des Freistaats Bayern und führt nach eigenen Angaben als "größte öffentlich-rechtliche Versorgungsgruppe Deutschlands" die Geschäfte von insgesamt zwölf berufsständischen und kommunalen Altersversorgungseinrichtungen. Und einen Mieter für die Räume gibt es eben auch schon: die Stadt. "Es geht weiter", freut sich deshalb ein erleichterter Oberbürgermeister Marcus König (CSU).

1400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen hier insgesamt 60 000 Quadratmeter beziehen. "Ein Bürgerzentrum als Modell der Zukunft", sagt König. Im Frühjahr 2025 soll es fertig sein - wenn nichts mehr dazwischenkommt. Fünf Wochen nach dem Baustopp seien inzwischen immerhin 80 Prozent der Bauleistungen neu vergeben, heißt es am Dienstag. Mit Accumulata Real Estate ist auch ein neuer Projektentwickler an Bord, umsetzen sollen den Bau weiterhin die beiden Firmen Zech und Wayss & Freitag.

Das alles gilt aber nur für den ersten, gewerblichen Bauabschnitt des alten Versandzentrums, also den Teil mit Büro- und Einzelhandelsflächen. Nur den hatte die BVK gekauft. Ein weiterer Teil ist bereits an einen anderen Investor verkauft, hier sollen Wohnungen entstehen. Für die restlichen zwei Bauabschnitte in dem Komplex sucht die Gerch Group noch nach Käufern. Wie und wann es hier weitergeht, sei noch offen, heißt es vom Unternehmen. Klaus Everest ist trotzdem froh. Seine "Herzensaufgabe" bleibt ihm erst mal. Und das zählt für ihn.

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