Luxusgüter:Bigott in Frankreich

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Eine Filiale der LVMH-Marke Dior in Paris: Die französischen Mitarbeiter des Luxuslabels bleiben von Kurzarbeit verschont, für andere Länder gilt das nicht. (Foto: Cyril Marcilhacy/Bloomberg)

Luxuskonzerne wie LVMH und Kering nehmen in der Krise kein Geld vom Staat - jedenfalls nicht in Frankreich. Ein Lehrstück über Doppelstandards in der Wirtschaft und ein Musterbeispiel für ein französisches Paradox.

Von Leo Klimm, Paris

Mit Maßarbeit kennen sie sich aus. Der eine Konzern, LVMH, zählt berühmte Modemarken wie Louis Vuitton, Christian Dior, Fendi und Bulgari zu seinem Portefeuille. Der andere, Kering, besitzt mit Saint Laurent, Gucci oder Balenciaga nicht weniger klangvolle Labels. Jetzt in der Corona-Krise offenbaren die beiden Pariser Luxuskonglomerate, dass sie auch eine ausgeprägte Fähigkeit haben, mit zweierlei Maß zu messen: Ist es opportun, greifen die beiden größten Luxusanbieter der Welt auf staatlich finanzierte Kurzarbeit zurück. Kommt das schlecht an, lieber nicht.

Gemeinsame Recherchen der ddeutschen Zeitung und des Fachmagazins Textilwirtschaft ergeben, dass sowohl LVMH als auch Kering in diesem Frühjahr in ihrer französischen Heimat zunächst den Rückgriff auf Kurzarbeit planten - bis die Konzerne plötzlich doch verzichteten. Außerhalb Frankreichs dagegen nutzen sie staatliche Jobsubventionen ausgiebig, besonders in Italien. Teils auch in Deutschland.

Das Verhalten der beiden dominanten Unternehmen der Branche des Glitzer und Glamour ist damit nicht nur ein Lehrstück über Doppelstandards in der Wirtschaft, über Krisenmanagement zwischen Imagepflege und finanzieller Nutzenabwägung. Es ist auch ein Musterbeispiel für ein sehr französisches Paradox: Frankreich mag die größten Luxuskonzerne überhaupt hervorgebracht haben. Es hat zugleich ein hoch kompliziertes Verhältnis zu Geld und Reichtum. Bernard Arnault und François Pinault, respektive die Hauptaktionäre von LVMH und Kering, zählen zu den reichsten Menschen der Welt. Doch es ist wohl auch kein Zufall, dass mit dem Ökonom Thomas Piketty einer der derzeit bedeutendsten Forscher zu Vermögensverteilung und sozialer Ungleichheit ebenfalls Franzose ist.

Und so gilt es in Frankreich für Luxusunternehmen, deren Marken bisher Gewinnmargen von teils mehr als 30 Prozent aufweisen, als besonders heikel, Staatsgeld zu beantragen - selbst wenn sie das formale Kriterium eines starken Geschäftsrückgangs wegen der Corona-Krise erfüllen. "Reichtum ist ein Tabu in Frankreich", sagt die Soziologin Janine Mossuz-Lavau, die das Thema erforscht hat. "Heikler als Sex."

In ihrer französischen Heimat tun sich die Konzerndynasten Arnault und Pinault in der Corona-Krise zurzeit denn auch lieber als wetteifernde Wohltäter hervor, anstatt als Profiteure aufzufallen. Früh stellten ihre Unternehmen die Produktion von Mode auf Schutzmasken um oder die von Parfüm auf Desinfektionsgel. Beide spendeten großzügig an Krankenhäuser und an Virusforscher - und ließen das auch wissen. Ebenso wie den öffentlichkeitswirksamen Verzicht ihrer Topmanager auf einen Teil der Bezüge und die Kürzung der Dividende für die Aktionäre. Doch parallel dazu nahmen sie so abrupt wie diskret Abstand von nicht-öffentlichen Plänen, für Mitarbeiter in Frankreich beim Staat "activité partielle" zu beantragen, also Kurzarbeit. Das belegen firmeninterne Unterlagen sowie Aussagen von Personalvertretern.

Auffällig ist: Gestoppt wurden die Pläne kurz nachdem die zwei kleineren Pariser Wettbewerber Chanel und Hermès Ende März imageträchtig darüber unterrichtet hatten, sie verzichteten auf die Jobhilfen. "Das Ziel ist, die öffentlichen Kassen nicht zu belasten, damit der französische Staat zuallererst anfälligeren Unternehmen zu Hilfe kommen kann", teilte Chanel mit. Hermès schloss in einem Kommuniqué nicht allein für die französischen, sondern für alle Mitarbeiter weltweit staatliche Corona-Unterstützung aus. Das wiederum setzte Kering und LVMH in der Heimat unter Druck - und könnte den Verzicht befördert haben. LVMH beschränkt Kurzarbeit in Frankreich nun auf einige wenige Mitarbeiter bei Medientöchtern, also außerhalb des sensiblen Luxusgeschäfts.

Was für Frankreich gilt, zählt nicht für ausländische Mitarbeiter. Besonders in Italien, wo Kering und LVMH viele Waren produzieren lassen, nutzen beide Konzerne die Möglichkeit, Lohnkosten auf den Steuerzahler abzuwälzen. Kering hat für mehrere italienische Tochterfirmen, die sich um Prototypen, die Fertigung und die Logistik der drei Top-Marken Gucci, Bottega Veneta und Saint Laurent kümmern, Kurzarbeit beantragt. LVMH hat das für Bulgari, Fendi, Loro Piana und Stella McCartney getan. Beide Konzerne haben darüber hinaus einen Großteil ihres Ladenpersonals in Kurzarbeit geschickt. Das geht aus Vereinbarungen mit den Gewerkschaften hervor.

Auch in Deutschland wird die Kurzarbeit genutzt: LVMH hat Kurzarbeit für deutsche Gesellschaften von Bulgari, Christian Dior und Louis Vuitton beantragt. Betroffen sind Mitarbeiter in der Verwaltung und im Verkauf. Dabei stockt der Konzern das Kurzarbeitergeld auf, damit die Beschäftigten keine finanziellen Einbußen erleiden.

Hermès und Chanel, auch das zeigen die Recherchen, waren ebenfalls versucht, in Italien Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken. Entsprechende Pläne waren teils weit gediehen. Dann aber besannen sich die beiden Nobelhäuser offenbar ihrer Tugendschwüre in der französischen Heimat.

"Würden Luxusfirmen auf Kurzarbeit zurückgreifen, gälte das in Frankreich als unmoralisch", sagt Mossuz-Lavau. "Der Neid ist hier leicht geweckt", so die Soziologin. "Nach dem Motto: Ist das Geld auch ehrlich erworben?" Die Nutzung von Kurzarbeit sei da schnell zum Diebstahl abgestempelt. Ist Reichtum verdächtig, sind es Arnault und Pinault erst recht. "Es würde sofort einen Skandal auslösen, Steuermittel auszugeben, um damit Reiche zu subventionieren", sagt Mossuz-Lavau.

Erklärungen für das besonders empfindliche Verhältnis zum Vermögen gibt es einige. Angefangen beim Grundwert der "égalité", der Gleichheit, der seit der Revolution das Fundament der französischen Gesellschaft bildet - als Reaktion auf königliche Herrscher, die einem allzu dekadenten Leben in Saus und Braus verfallen waren. Sie hatten damit die Luxusindustrie mitbegründet. Mossuz-Lavau verweist auch darauf, dass Frankreich bis in die Nachkriegszeit von einem bäuerlichen Katholizismus geprägt war, in dem großer Wohlstand nicht gut angesehen war. Und bei der politischen Linken herrsche bis heute die Überzeugung: "Profit ist böse."

Die Corona-Krise setzt nun allerdings auch den erfolgsverwöhnten Luxuskonzernen zu. Überall in der Welt mussten wegen der Pandemie in den vergangenen Wochen Manufakturen und Boutiquen geschlossen bleiben. Bei LVMH brach der Umsatz im ersten Jahresquartal 2020 um 17 Prozent ein, bei Kering um 16 Prozent. Das dürfte auch das Jahresergebnis drücken, wenngleich das Geschäft inzwischen wieder anläuft.

Zu der Frage nach ihrer Kehrtwende bei der Kurzarbeit und dazu, warum sie Jobsubventionen im Ausland dennoch gern annehmen, verhalten sich die zwei Konzerne unterschiedlich. Während Kering eine Stellungnahme ablehnt, bestreitet LVMH einen Sinneswandel. "Der LVMH-Konzern hat eine einzige Entscheidung gefällt, und die war, nicht auf Kurzarbeit zurückzugreifen", erklärt ein Sprecher.

Der Verzicht gilt freilich nur für Frankreich. Mit ihm haben sich die Luxusmagnaten Arnault und Pinault dort vielleicht kein Geld gespart. Dafür aber viel Ärger.

© SZ vom 14.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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